Der Alpenverein kauft Wiesbadener Kirche St. Johannes

Eine Kirche zum Klettern

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St. Johannes ist verkauft. Die kleine Kirche in Wiesbaden-Rambach ist die fünfte, die im Bistum Limburg verkauft wurde. Was einmal eine Kirche war, gehört jetzt dem Deutschen Alpenverein, Sektion Wiesbaden. Wird demnächst am Kirchturm geklettert? Von Ruth Lehnen.

Während die Kirche unter den vielen Austritten leidet, ist der Alpenverein auf Wachstumskurs: 5500 Mitglieder. Noch dazu ist Geld vorhanden: Die Sektion Wiesbaden hat sich vor Jahren vom Madlenerhaus im österreichischen Silvrettagebirge getrennt und viel Geld dafür erhalten. Seitdem hat sie nach einem Zuhause gesucht, das naturnah, gut zu erreichen und auch nach einem Umbau nicht zu teuer sein sollte. Win-win? Zumindest war der Verkauf der Kirche ein Deal, der alle Seiten am Schluss relativ zufrieden zurücklässt. Das Bistum Limburg, das mit seiner Immobilienstrategie KIS derzeit versucht, Gebäude loszuwerden, die in guten Zeiten hoffnungsvoll gebaut, jetzt aber kaum mehr genutzt werden. Und die Pfarrei St. Birgid, Großpfarrei in Wiesbaden, zu der ohnehin noch sechs Kirchgebäude gehören, und die viel für den Erhalt zahlen muss. Und der DAV ist sowieso zufrieden und kann nun bald mit dem Umbau beginnen. Aus der Altarwand soll eine Kletterwand für die Handicap-Gruppe werden. Und auch der freistehende 18 Meter hohe Kirchturm der Kirche reizt zum Klettern. Aber der Denkmalschutz will auch noch mitreden. Das Gebäude hat, zumindest in der Ursprungsausstattung, den cleanen Charme der 60-er Jahre ausgestrahlt, und begeistert noch heute Architektin und Alpenvereins-Mitglied Bärbel Hubbes: „ein ganz toller Raum, der sich zum Altar hin öffnet“ und der sein Licht durch die zeittypischen Maßbetonfenster erhält.

Beim Abschiedsgottesdienst Ende 2020 gab es bei Pfarrer Frank Schindling „einen Mix aus Gefühlen“: „Wehmut“ sagte das Herz, „Erleichterung“ sagte der Kopf: Schindling ist froh über die gefundene Lösung, auch wenn er als Pfarrer lieber Kirchen bauen als verkaufen würde. Zum Abschied wurde das biblische Buch Kohelet zitiert: „Alles hat seine Zeit“. Die Kirche stellt sich auf Abbau- und Umbauprozesse ein: Es gehe nicht darum, Menschen in Gebäude zu bringen, sondern den Glauben ins Leben der Menschen, sagte der Limburger Generalvikar Wolfgang Rösch.

St. Johannes war lange ein Ort, an dem Glauben gelebt wurde. Renate Zerbe aus Rambach ist so eine, die bis zum Schluss in den Gottesdienst gegangen ist, die sich im Förderverein engagiert hat, die hier jeden Stein kennt. Zwei ihrer Kinder, zwei ihrer Enkel wurden hier getauft. Doch die 69-Jährige sagt: „Wenn sich keiner findet, der sich kümmert, dann verkommt’s.“ Und dass sich die Menschen, denen St. Johannes eine Heimat war, bald nicht mehr um alles kümmern können, das sei eben absehbar. Deswegen hat sie den Verkauf ihrer Heimatkirche befürwortet: Der Alpenverein bringe wieder Leben in das Gebäude, und er hat sogar vertraglich zugesichert, dass es einen Gedenkort geben soll, der an die Vergangenheit des Gebäudes als Kirche erinnert.

Viele Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und DAV

Uwe Goerttler kennt sich aus mit Abschiedsprozessen: „Ich weiß, wie schmerzlich so was ist“, sagt der Chirurg und Bergsteiger. Dr. Goerttler ist Vorsitzender der Sektion Wiesbaden des Alpenvereins. Er meint die Auseinandersetzungen um die Entscheidung, eine „geliebte Immobilie“ zu verkaufen. Bei der Sektion Wiesbaden war es das Madlenerhaus, von dem sich der DAV nicht leicht getrennt hat.  Auch das Madlenerhaus war traditionsreich, barg Erinnerungen – und Ehrenamtliche hatten Geld und Arbeitskraft hineingesteckt. Kann sein, dass der Protestant und der ganze Alpenverein auch deshalb so „motiviert, nett, entgegenkommend“ auf die kleine Rambacher Katholikengemeinde wirkt – weil er weiß, dass Abschied nicht leichtfällt. 

Pfarrer Schindling betont die vielen Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und DAV: So sei für den DAV Naturschutz, was in der Kirche „Bewahrung der Schöpfung“ heißt. Auch personell gibt’s Bezugspunkte: katholisch und Bergfreund – diese Kombi ist nicht selten. Pfarrer Bertram Rohr, heute Frankfurt, war von 1983 bis 1993 sogar Vorsitzender der Sektion Wiesbaden. Er hatte das Bergsteigen in seiner Jugend in Österreich gelernt und wurde später wegen seines Asthmas vom Arzt in die Berge geschickt. „Wenn schon in die Berge, dann machst Du auch was“, sagt der 88-jährige Rohr heute über sein Engagement für den Alpenverein, Sektion Wiesbaden. Er hat an der Wiesbadener Hütte im Silvrettagebirge 1990 die Kapelle St. Michael gestiftet. In die Höhe und zum Kreuz zieht’s beide: Alpinisten und Katholiken. Und deswegen soll auch das Kreuz von St. Johannes oben auf dem Kirchturm bleiben. Als Gipfelkreuz.

Ruth Lehnen