Entwidmung der Marienkapelle in Richtenberg

Eine letzte heilige Messe

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Die Entwidmung einer Kirche ist schmerzhaft. Das erlebten die Katholiken der Pfarrei Heiliger Bernhard Stralsund, als sie sich von der Marienkapelle in Richtenberg trennen mussten. Im September unterschrieb Erzbischof Koch das Dekret. Am 8. Januar fand die letzte Messe in der baufälligen Kapelle statt.


Weihbischof Matthias Heinrich feierte die letzte Messe in der Richtenberger Marienkapelle und entwidmete sie anschließend.
Foto: Anja Goritzka

 

„Als ich vor 36 Jahren hierher kam, gab es eine große Gemeinde. Viele waren miteinander verwandt“, erzählt Andrea Dirks mit Tränen in den Augen am Ende der heiligen Messe. Die kleine Marienkapelle im vorpommerschen Richtenberg zwischen Barth und Grimmen nahe Stralsund war ihre Heimat. Durch Pfarrer Andreas Sommer, der damals als Kaplan in der Gegend wirkte und heute als Pater Joseph in der Benediktinerabtei Kloster Ettal lebt, kam in den 90er Jahren Schwung in die Gemeinde: Familienkreise bildeten sich, ein kleiner Chor entstand, viel wurde für Kinder und Jugendliche getan. „Die Eltern werden aber immer älter, die Kinder gehen weg“, bedauert die 58-Jährige nach der Entwidmungsmesse der Kapelle Richtenberg. Die Pandemie gab der auf wenige Gläubige geschrumpften Gemeinde den Rest. „Eine Entwidmung ist immer sehr schmerzhaft“, meint auch Pfarrer Johannes Schaan von der Pfarrei Heiliger Bernhard, zu der der kleine Ort Richtenberg gehört. Bis Ende 2019 wurde immer noch einmal im Monat sonntags Messe gefeiert. Doch nun musste die Kapelle endgültig geschlossen werden.

Renaturierung führt zum langsamen Einsturz
Der Rückgang der Gottesdienstteilnehmer ist aber nicht der eigentliche Grund, sondern der bauliche Zustand des 1950 errichteten Gotteshauses. Unter dem Gebäude befindet sich Moorland. Als die Kapelle errichtet wurde, war der See zwischen Richtenberg und Franzburg trockengelegt, das Moor breitete sich kaum aus. Im Zuge des Baus der Autobahn 20, die 2005 eröffnet wurde, wurde der See wieder renaturiert. Das Moorland hatte nun die Möglichkeit sich auszubreiten. Dem Haupthaus mache das gar nichts, es stehe ja auf Steinen, so Pfarrer Johannes Schaan. Aber der Anbau, in dem sich die Kapelle befindet, leide, weil auf Beton gebaut. Überall befinden sich Risse, der Boden im Sitzbereich bricht auf. Während der heiligen Messe zur Entwidmung am Fest der Taufe des Herrn, 8. Januar, fiel im Altarbereich Putz von der Decke. Die Pfarrei hat es sich mit der Entscheidung, das Gebäude zu entwidmen, nicht leicht gemacht, aber eine mögliche Sanierung sei finanziell kaum zu stemmen, geschweige denn ein Neubau.  
„Wir haben in Berlin immer gesehen, wie die Richtenberger um ihre Kapelle kämpften, wie sie zusammenhielten und sich engagierten“, meinte auch Weihbischof Matthias Heinrich, der die Entwidmung vornahm. Diese letzte Messe sei für viele schmerzhaft. „Die frühen Christen hatten gar keine Kirchen gebaut. Sie verstanden die Kirche als pilgernde Kirche. Ein Kirchgebäude verliert seinen Sinn, wenn darin nicht mehr Gottesdienst gefeiert wird, wenn nur Konzerte oder Ausstellungen stattfinden“, so der Weihbischof in seiner Predigt.

 

In diesem Haus befindet sich die entwidmete Marienkapelle.
Foto: Pfarrei Heiliger Bernhard

 

Seelsorge per Dekret aus Berlin
Pfarrer Willibald Kindermann war der erste katholische Priester seit der Reformation, der in Richtenberg ansässig wurde. Er wurde 1935 zum Priester geweiht. Nach der Umsiedlung 1946 in ein Lager in der Nähe von Stralsund wurde ihm per Dekret aus Berlin die Seelsorge in Richtenberg und Franzburg anvertraut. Das Haus in der Kurve, in dem die Marienkapelle ihren Platz fand, wurde 1949 erworben. Die erste heilige Messe zelebrierte Pfarrer Kindermann dort am 6. Dezember 1949. Am 6. Januar 1950 fand die feierliche Einweihung der Kapelle durch Erzpriester Radek aus Stralsund statt.
Eine 74-jährige Gläubige erzählte: „1949 war ich fünf Jahre. Ich bin hier groß geworden. Zur Christnacht sind wir die acht Kilometer bis hierher immer gelaufen.“ Auch an Pfarrer Kindermann und die Jugendstunden bei ihm kann sich die Frau, die heute auf Rügen lebt, noch gut erinnern: „Er war sehr streng. Wenn jemand in Urlaub fahren wollte, meinte er immer, wir sollen schauen, ob es dort heilige Messen gebe. Wenn nicht, sollten wir da bloß nicht hinfahren.“
Der Eucharistiekelch, die Hostienschalen und der Altar aus der Marienkapelle werden weiterhin Verwendung finden: Kelch und Schalen bleiben in der Pfarrei. Denn im Sommer wurde in die Kirche Stella Maris in Binz auf Rügen eingebrochen: Der dortige Kelch wurde gestohlen und noch einiges mehr.
Der Altar ist transportabel. Pfarrer Johannes Schaan würde ihn gerne für Fronleichnam in Stralsund verwenden. Den Rahmen zum Anschlagen der Liednummern bekam Bernardet Kolbe. „Mein Vater hatte ihn mal zusammengebaut. Es ist schön, solche Erinnerung an die Marienkapelle mit nach Haus zu nehmen“, sagte sie.
Die Gläubigen von Richtenberg und den Dörfern um den kleinen Ort herum, fahren schon seit einigen Jahren sonntags zu anderen Standorten der Pfarrei Heiliger Bernhard nach Barth oder Grimmen.

Von Anja Goritzka