Impuls zur Sonntagslesung am 08.12.2024: Zweiter Advent
Einfach mal auf andere vertrauen
Foto: Stephanie Jegliczka
Kann der das? Kann die das? Sind die dafür ausgebildet? Solche Fragen stellen sich oft. Im Beruf zum Beispiel, aber auch im Verein, im Chor, in der Nachbarschaft, der Familie.
Solche Fragen stellen sich aber natürlich auch in der Kirche, in der Gemeinde. Können Eltern das, Kinder auf die Erstkommunion vorbereiten? Die waren doch selbst ewig nicht in der Kirche. Können Laien das, predigen? Die haben doch gar nicht Theologie studiert und selbst wenn sie es haben, sind sie doch nicht geweiht. Können die Jugendlichen das, ein Zeltlager leiten? Die sind gefühlt doch selbst erst gerade aus den Windeln raus und haben noch kein richtiges Gefühl für Verantwortung entwickelt.
Diese Fragen sind verständlich und – ja – manchmal ertappe ich mich selbst dabei. Manchmal sind sie zweifellos berechtigt. Manchmal sind sie aber auch einfach nur arrogant und besserwisserisch. Weil: So gut wie ich kann es ja sowieso niemand. Oder doch? Man könnte ja mal ausprobieren, anderen einfach zu vertrauen. Vielleicht jetzt im Advent.
Der Apostel Paulus wäre dafür eine Inspiration. Die heutige Lesung ist der Anfang des Briefes, den er an die Christen in Philippi geschrieben hat, eine der ersten Gemeinden, die er gegründet hat und der er sich eng verbunden fühlt. Die Apostelgeschichte erzählt, wie Paulus dorthin kam und predigte. Wie Gott Lydia, einer Purpurhändlerin, „das Herz öffnete“, sodass sie sich als eine der Ersten taufen ließ und in ihrem Haus eine Gemeinde zusammenkam. Wie Paulus später verhaftet und aus der Stadt vertrieben wurde.
An diese Gemeinde, die ihm am Herzen liegt, schreibt Paulus, der wieder einmal irgendwo in Haft sitzt. Ein Gemeindemitglied aus Philippi, sein Name war Epaphroditus, war gekommen, um ihn finanziell und seelisch zu unterstützen; er nahm auf dem Rückweg den Brief mit.
Wenn Frischgetaufte verkündigen
Der Anfang des Briefs, die heutige Lesung, zeigt, wie sehr Paulus den Christen in Philippi vertraut – obwohl sie alle erst gerade getauft waren, Jesus nicht selbst gekannt haben und auch von Paulus nur eine kurze Ausbildung erhalten hatten. Paulus schreibt ausdrücklich: „Ich danke für eure Gemeinschaft im Dienst am Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt. Ich vertraue darauf, dass er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird.“
„Vom ersten Tag an“, soll das wohl heißen, waren die Frischgetauften hineingenommen in den Dienst am Evangelium, in die Verkündigung. Paulus hatte offenbar keine Zweifel, ob die das wohl können. Stattdessen hatte er jede Menge Vertrauen. Auch deshalb, weil Paulus davon überzeugt war, dass die Getauften nicht nur aus eigener Kraft sprachen und handelten. Gott selbst hat das Werk begonnen, schreibt er. Und er würde auch vollenden, was vielleicht bruchstückhaft bleibt. Anfängerfehler sind also erlaubt.
Wirklich inspirierend finde ich das. Und, ja, auch riskant, Menschen ohne Titel und Ausbildung das Evangelium verkünden zu lassen. Wer weiß, was die da sagen? Ob das alles korrekt ist? Ob das wirklich das ist, was Jesus gesagt und gemeint hat? Ob es das ist, was Paulus immer so klug und durchdacht auf den theologischen Punkt bringt?
Nein, vielleicht nicht. Deshalb schickt Paulus ja immer wieder Briefe: um Leitplanken zu setzen, was zur christlichen Lehre gehört und was nicht. Innerhalb dieser Leitplanken können sich die Getauften aber offenbar recht frei bewegen. Und recht frei verkünden.
Vielleicht wäre das mal einen Versuch wert: dass alle erfahrenen Haupt- und Ehrenamtlichen, die Bischöfe und Kardinäle in Rom und anderswo, den sogenannten einfachen Gläubigen mehr vertrauen. Sogar denen, die nur getauft sind und sich länger nicht haben in der Kirche blicken lassen. Den Erstkommunioneltern, den theologischen Laien, den Jugendlichen. Dass auch sie von Gottes Geist erfüllt sind. Dass Gott auch in ihnen sein „gutes Werk begonnen hat“. Dass er alles vollenden wird, was bei uns und durch uns Stückwerk bleibt, anhängerhaft.
Und wenn wir in der Kirche damit angefangen haben: Wer weiß, vielleicht setzte sich der Gedanke ja anderswo im Leben fort. Beim neuen Arbeitskollegen, der noch gar nicht weiß, wie der Laden läuft. Bei der fremden Medizinerin, die gerade in die Praxis des altgedienten Hausarztes eingetreten ist und zu der niemand gehen will, oder bei dem blutjungen blauhaarigen Friseur. Vielleicht auch bei der Neuzugezogenen, die sich für den Elternrat bewirbt. Oder dem 16-Jährigen, der das Training der Bambinis übernimmt. Vielleicht wäre es ein Anfang, ihnen allen einfach zu vertrauen. So als Selbstversuch und erst mal nur vier Wochen lang.