Gedenken in Zeiten von Corona

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In Lübeck wurde am 77. Jahrestag ihrer Ermordung der vier Lübecker Märtyrer gedacht – wegen Corona unter erheblichen Einschränkungen.

Eine Frau kniet vor der Märtyrergedenkstätte in Lübeck
Einzeln wurden am Mahnmal für die Opfer der Nazi-Diktatur Blumen im Gedenken an die Lübecker Märtyrer Johannes Prassek, Eduard Müller, Hermann Lange und Karl Friedrich Stellbrink niedergelegt. Die gemeinsame Kranzniederlegung fiel aufgrund der Corona-Pandemie aus. Foto: Marco Heinen

Es ist ein Gedenken in Zeiten von Corona: Am Dienstagabend wurde in der Lübecker Propsteikirche Herz Jesu in einem Pontifikalamt mit Erzbischof Stefan Heße der vier Lübecker Märtyrer gedacht. Die katholischen Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange sowie der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink waren am 10. November 1943 von den Nationalsozialisten im Hamburger Gefängnis am Holstenglacis hingerichtet worden.

Wo sonst kein Platz in den Kirchenbänken von Herz Jesu frei bleibt, galten diesmal strenge Regeln für die maximale Besucherzahl, weshalb das Erzbistum den Gottesdienst auf seiner Internetseite übertrug. Die gemeinsame Kranzniederlegung an dem in der Nähe von Herz Jesu befindlichen Mahnmal für die Lübecker, die in den Jahren 1933 bis 1945 Opfer des NS-Regimes wurden – ist ausgefallen. Stattdessen hatte der ökumenische Arbeitskreis 10. November darum gebeten, im Laufe des Tages einzelne Blumen abzulegen. Auch die Kranzniederlegung am Lübecker Rathaus war abgesagt worden. 

„Wer sterben kann, wer will den zwingen?“

Da der Beginn des Gedenkgottesdienstes mit dem Redaktionsschluss zusammenfiel, kann hier nur aus dem Predigtmanuskript des Erzbischofs zitiert werden. Darin greift der Erzbischof den Begriff der Freiheit auf. Die Lübecker Märtyrer hätten „eine umfassende Einschränkung und Eingrenzung, reine radikale Isolation, Quarantäne und Fixierung ohne Freiheit“ erlebt. In dieser Situation habe Johannes Prassek folgenden Satz in sein Neues Testament geschrieben: „Wer sterben kann, wer will den zwingen?“ 

Dieser Satz verweise auf eine ganz andere Sicht der Dinge. Prassek erlebe seine Gefängniszelle „offenbar nicht als ein ‚immer weniger’, sondern geradezu als ein Tor, als eine Öffnung zu einer viel größeren Freiheit“, heißt es im Manuskript des Erzbischofs, der von der „Freiheit von der Macht des Todes“ spricht. „Wenn der Mensch von alldem frei ist, dann wird er frei für etwas ganz Neues, dann wird in ihm die Freiheit zu einem neuen Leben geboren.“ Christen seien durch die Taufe in diese neue Freiheit hineingeboren. „Wir haben also diese Freiheit empfangen und zugleich den Auftrag, sie ein Leben lang zu bewahren und zu gestalten, eine Freiheit in Verantwortung, vor Gott und den Menschen. Deswegen hat es etwas geradezu Befreiendes, am Ende unseres Lebens im Tod vor dem Gericht Gottes zu stehen“, schreibt Heße.

Bereits am vergangenen Sonntag wurde auch in der Lutherkirche ein Gedenkgottesdienst gefeiert, bei dem Propst Christoph Giering die Pfarrei Zu den Lübecker Märtyrern als Zelebrant vertrat und Dörte Holthöfer, Enkelin von Pastor Stellbrink, das Matyrologium verlas. Unter den etwa 70 Gottesdienstbesuchern war außerdem der frühere CDU-Politiker Heiko Hoffmann, der als Mitglied der evangelischen Kirchenleitung die juristische Rehabilitierung von Pastor Stellbrink auf den Weg gebracht hatte. 

Der frühere evangelische Bischof Karl Ludwig Kohlwage würdigte in seiner Predigt die Bedeutung der vier Geistlichen für die Ökumene: „Sie sind ‚Gründungsväter‘ der Ökumene in einer Stadt, in der ein tiefer, schier unüberbrückbarer Graben zwischen den Konfessionen, zwischen evangelisch und katholisch verlief. Sie haben uns zusammengebracht. Und sie fragen uns: Wo steht ihr? Lasst ihr euch anstecken von dem, was wir entdeckt haben? Wir haben Grenzen überschritten, kommt ihr mit?“

Text u. Foto: Marco Heinen