Caritas Leipzig feiert 100+1 jähriges Bestehen
Geschichte der „Liebesarbeit“
Caritas-Straßensammlung circa um 1950. Foto: St.-Benno-Verlag |
Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, übernahmen sie einen großen Teil der Wohlfahrtsarbeit. Straßensammlungen für die Caritas in Leipzig – wie auf einem der wenigen erhaltenen Fotos zu sehen – waren ungern gesehen, Flugblätter schon verboten. Ehrenamtliche Sammler wurden eingeschüchtert, katholische Kindergärten mussten schließen, die Caritas sollte aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden. So referierte Benjamin Gallin am 5. Oktober zur Geschichte des Caritas-Verbandes in Leipzig. Zusammen mit der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen hatte der Caritas-Verband Leipzig zum Vortrag und anschließendem Podiumsgespräch eingeladen.
Anlass war die Veröffentlichung der Chronik zur 100-jährigen Geschichte des Ortsverbandes, die mit Unterstützung des St. Benno Verlages gerade herausgebracht wurde. Die Chronik birgt viele spannende Aspekte der Geschichte, immer wieder verbunden mit dem Bezug zur gegenwärtigen Arbeit.
Der Historiker Gallin erzählte, dass mit dem geradezu explosionsartigen Wachstum der Stadt Leipzig aufgrund der Industrialisierung auch der Anteil der Katholiken von einem auf rund vier Prozent der Bevölkerung wuchs. Es kamen zunehmend katholische Handwerker und Arbeiter. Aber die Industrialisierung brachte Gewinner und Verlierer hervor, Not und Armut gehörten fortan zum Stadtbild.
Das Königreich Sachsen verbot katholische Männerorden bis 1918, Frauenorden waren zwar zugelassen – durften aber nur in der Kranken- und Armenpflege tätig werden und taten dies auch. Zunächst war die Caritas, die „christliche Liebesarbeit“, an Gemeinden gekoppelt, waren arme Glaubensgeschwister die Adressaten der Hilfe. Aber der sozialen Arbeit fehlte die Struktur, um zielgerichteter der Not zu begegenen. So gründeten sich zunächst verschiedene Katholische Hilfsvereine, aus denen 1921 nach einem Beschluss auf dem sächsischen Katholikentag 1920 der „Caritas-Ausschuss zu Leipzig“ hervorging. Prälat Jakob Stranz, der in Plagwitz und Lindenau die Not der Arbeiter direkt vor Augen hatte, war Gründer und lange Zeit erster Vorsitzender des Verbandes. Die Stadt Leipzig nahm die Hilfe an den Ärmsten dankbar an und unterstützte die Caritas.
Wohlfahrtsarbeit zwischen Diktatur und freier Entfaltung
„Geschichte wiederholt sich“, ist Tobias Strieder, heutiger Vorstand des Caritas-Verbandes überzeugt. „Es ist spannend, welche sozialen Themen immer wieder aufkommen.“ So habe der Verband nach der Gründung, aber auch nach der Wende ab 1990, einen enormen Auftrieb erfahren. Viele neue Dienste kamen hinzu, wurden neu strukturiert. Dagegen war es sowohl unter den Nationalsozialisten als auch während des SED-Regimes nicht erwünscht, dass durch christliche Wohlfahrtspflege zu viel Einfluss auf die Menschen ausgeübt wurde. Wiederkehrend sei auch, so der Historiker Gallin, dass neben der Professionalisierung der Sozialarbeit heute wie vor 100 Jahren ehrenamtliches Engagement unabdingbar sei.
Dagegen habe sich die Annäherung zwischen den Konfessionen und schließlich die Öffnung für Mitarbeiter ohne Glaubenshintergrund erst nach und nach entwickelt. Erster Arbeitszweig, in dem es eine ökumenische Zusammenarbeit gab, sei die Bahnhofsmission gewesen, so Gallin. Die Versorgung von Flüchtlingen war ein immer wiederkehrendes Einsatzfeld – bis heute.
Einschneidend waren die Bombardierungen im Dezember 1943, wobei die Trinitatiskirche, aber auch das Caritassekretariat und Elisabethhaus in der Rudolphstraße zerstört wurden. Somit wurden auch die meisten Dokumente und Fotos aus den Anfängen vernichtet und bis heute ist das exakte Gründungsdatum des Ortsverbandes unbekannt.
In der Propsteikirche Leipzig erfuhr man mehr zur Geschichte der Caritas Leipzig. Foto: Ruth Weinhold-Heße |
Einer der Zeitzeugen, die von ihrer Arbeit erzählen konnten, war Dieter Blaßkiewitz, langjähriger Geschäftsführer am St. Elisabeth-Krankenhaus und von 2015 bis 2019 Ehrenamtlicher Vorstand des Caritas-Verbands Leipzig. Er erzählte von der Neugründung des Verbands nach der Wende, wie man damals schaute, „wie das so läuft im Westen“. Bis heute sei er überzeugt, dass „Gutes zu tun“ das ist, was christliche soziale Arbeit ausmacht. „Das ist unsere Hauptaufgabe. Die Wirtschaftlichkeit ist die Voraussetzung dafür, aber nicht das Ziel“, sagte Blaßkiewitz. Damit das gelingt, braucht die Caritas nach wie vor Spenden und setzt neben den 300 Hauptamtlichen zur Zeit auf die Hilfe von 200 Ehrenamtlichen Mitarbeitern.
Die Chronik „100 Jahre nah am Menschen: Caritas in Leipzig 1921 – 2021“ ist gegen eine Schutzgebühr von 12 Euro zuzüglich Versandkosten erhältlich: info@caritas-leipzig.de
Von Ruth Weinhold-Heße