Marcellus Klaus ist Propst und Bischöflicher Kommissarius in Heiligenstadt

Helfen, im Glauben zu leben

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Seit fünf Monaten ist Marcellus Klaus Propst und Bischöflicher Kommissarius in Heiligenstadt. Im Interview erzählt er, wie er die aktuelle kirchliche Situation sieht und was im Eichsfeld und darüber hinaus ansteht.

Herr Propst, Sie haben in schwieriger Zeit die Leitung der Pfarrei St. Marien Heiligenstadt und die Aufgabe des Bischöflichen Kommissarius für das Eichsfeld übernommen. Was lässt Sie zuversichtlich an ihre Aufgaben gehen?

Wir sind hier im Eichsfeld keine Volkskirche mehr, sondern Kirche für die Gesellschaft wie anderswo im Bistum und darüber hinaus auch. Genau in diesem Sinne möchte ich Seelsorger bei den Menschen sein. Hier wird gelebt, auch der Glaube: Es wird getauft, geheiratet, leider lassen sich auch Paare scheiden, hier wird gestorben ... und Menschen suchen Begleitung dabei. Das ist mein Platz. Da bin ich zuversichtlich.

Was macht Sie nachdenklich, vielleicht besorgt?

Die Corona-Krise hat das kirchliche Leben sehr verändert. Der Gottesdienstbesuch ist erheblich zurückgegangen. Davon haben wir uns auch hier im Eichsfeld bis jetzt nicht erholt.
Für mich stellt sich zunehmend die Frage: Was macht unsere Religiosität aus? Hängt sie am Gottesdienst oder an anderen Formen einer Alltagsspiritualität, die uns bislang verborgen bleiben? Macht sich die Religiosität hier im Eichsfeld an Wallfahrten fest, die scheinbar auch die junge Generation mitträgt? Zeigt sie sich daran, dass Menschen gern Lichter in den Kirchen anzünden?
In unserer Pfarrei St. Marien erlebe ich eine große Bereitschaft, sich in Gruppen und Kreise einzubringen, in Gremien Verantwortung zu übernehmen, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Ist es möglicherweise so, dass sich die Religiosität der Menschen über ihr Tun ausdrückt? Dass sie aber gleichzeitig ziemlich sprachlos sind, ja in Not kommen, wenn es darum geht, etwas über ihren Glauben zu sagen?

ZUR PERSON
1973 in Bad Langensalza geboren, Abitur in Neudietendorf, Philosophie- und Theologiestudium in Erfurt und Salzburg, 2001 Priesterweihe in Erfurt, Kaplan in Leinefelde, 2003 Jugendpfarrer für das Eichsfeld, 2011 ein Jahr Mitarbeit am Internationalen Priesterzentrum der Fokolare-Bewegung in Grottaferata (Italien), 2012 Pfarrer der Innenstadt-Pfarrei St. Laurentius in Erfurt, seit 1. September 2022 Propst und Bischöflicher Kommissarius im Eichsfeld.
Foto: Eckhard Pohl

Sie waren lange Seelsorger in der Landeshauptstadt Erfurt. Ist die Situation in Heiligenstadt, im Eichsfeld, anders?

Wie in unserer ganzen Region gibt es auch hier im Eichsfeld große Probleme bei der Weitergabe des Glaubens. Es herrscht viel Ratlosigkeit, wie es besser gelingen kann, den Glauben attraktiv zu leben. Auch unsere Bischöfe oder die Engagierten beim Synodalen Weg haben da keine schlüssigen Antworten.
Im Eichsfeld gibt es ebenso wie anderswo Menschen, die auf der Suche sind und die sich fragen: Was bewirkt das, was ich tue und um mich herum erlebe, in mir? Unlängst kamen Leute aus unserer Pfarrei zu einem Austausch zusammen. Dabei wurde die Not deutlich, bei allem Einsatz in der Gemeinde nicht über den eigenen Glauben sprechen zu können.
Bei meinen Repräsentationsaufgaben als Kommissarius, als Vertreter des Erfurter Bischofs im Eichsfeld, begegnen mir immer wieder Menschen, die sich engagieren. Ja, ich bin sehr erstaunt, wie viele Menschen sich hier für das Gemeinwohl einsetzen, ohne, dass sie vielleicht regelmäßig zum Gottesdienst gehen oder obwohl sie gar keine Christen sind. Da wird Verantwortung und Mitmenschlichkeit gelebt. Die Kraft dazu kann unter anderem eine Religiosität geben, die auf den ersten Blick nicht sofort sichtbar und für uns Hauptamtliche, die immer alles gleich in der Hand haben wollen, nicht messbar ist.

Wie lässt sich damit umgehen?

Es ist gut, dass es Riten gibt, an die man sich halten und in die man sich hineinfallen lassen kann, etwa bei Beerdigungen. Aber wir brauchen auch neue Feierformen, bei denen der Mensch mit Gott in Berührung kommt. Angebote, bei denen der einzelne seine Seele baumeln lassen kann. Es gibt zum Beispiel junge Christen, die in Nightfever-Angeboten eine Form finden, religiös zu leben.
Wie gut Angebote sind, müssen wir an der Qualität festmachen und nicht daran, wie viele sich darin wiederfinden. Bei der Begleitung von Menschen heute müssen wir schauen, was auch kleinen Gruppen gut tut.
Corona hat wie ein Brennglas gewirkt für das, was schon längst da war. Corona hat die Glaubensnot zu Tage gebracht: Christlichen Familien wurde deutlich, dass sie zu Hause nicht selbst beten können. Manchen wurde bewusst: Wir sind auch religiös nur Konsumenten. Sie alle brauchen viel Ermutigung und Begleitung, sich über ihren Glauben zu vergewissern und ihm Ausdruck zu verleihen. In der Pfarrei St. Laurentius in Erfurt, wo ich vorher war, haben wir erlebt, dass sich Familien unter Begleitung des Gemeindereferenten gern in die Vorbereitung einer ihnen gemäßen Feier der Kar- und Ostertage eingebracht haben, die Vollform des Triduum Paschale (österliche drei Tage) aber für sie nicht passend war. Wichtig ist, dass wir bei der Suche nach entsprechenden Formen und deren Gestaltung gemeinsam auf dem Weg sind, Gemeindemitglieder und Seelsorger.

Bischof Ulrich Neymeyr hat mangels geeigneter Priester in Arnstadt zwei hauptamtliche Laien und in Erfurt einen Diakon als Gemeindeleiter eingesetzt. Wie stehen Sie dazu?

Wir diskutieren viel über neue Strukturen und Methoden und werden dabei schnell von immer neuen Realitäten eingeholt, so bei der Besetzung der Pfarreien. Es gilt, sehr flexibel zu sein, damit Menschen ihren Glauben leben können. Hier gibt es eine Verbindung zu dem bereits Gesagten: Wir haben es versäumt, viele darin zu befähigen, sich mit ihrem Glauben in die Gestaltung unseres Lebens als Christen einzubringen und die Möglichkeiten, die das Konzil eröffnet hat, zu nutzen. Stattdessen wurde weiter hierarchisch vorgegangen. Wir haben nicht genügend Gemeindemitglieder dazu befähigt, Erstkommunionkinder vorzubereiten, Wort-Gottes-Feiern zu leiten, Menschen zu begleiten. Das fällt uns auf die Füße und das System kippt irgendwann.

Was heißt das für die Leitung der Gemeinden im Eichsfeld?

Es wird auch im Eichsfeld auf die jeweilige Situation zu antworten sein. Man wird jeweils entscheiden müssen, was vor Ort passt: ob man einen Diakon, eine Gemeindereferentin, ein Team einsetzt, ob ein Priester zur Verfügung steht. Das ist anstrengend, aber anders wird es nicht gehen.

Welche Rolle spielen für die Eichsfelder Katholiken die Fragen, wie sie beim Synodalen Weg diskutiert werden?

Die Frage nach der gleichberechtigten Teilhabe der Frauen an den Weiheämtern und der Leitung in der Kirche ist besonders für junge Leute schon von Bedeutung, zumal sie in der übrigen Gesellschaft eine andere Praxis erleben. Auch die Beteiligung an der Macht ist bei manchen durchaus im Blick. Unsere Kirchorträte kümmern sich wirklich. Wir müssen die Leute mehr ernst nehmen, die Kompetenzen der Gremien akzeptieren. Das ist dann bereits gelebte Synodalität.

Was wollen sie bei Ihrer Aufgabe im Eichsfeld besonders in den Blick nehmen?

Vor allem geht es darum, dass junge Menschen glauben können. Es gilt, Familien darin zu unterstützen, ihren Glauben zu leben. Wir haben zum Beispiel vor, eine Familienwallfahrt nach Rom zu unternehmen, um miteinander Gemeinschaft zu erleben und zu beten. Das kann auch die Beziehungen der Familien untereinander fördern.
Wichtig ist – auch über die Pfarrei und ihre Kirchorte hinaus – die Aussöhnung in der Gesellschaft zum Beispiel hinsichtlich der Energiefrage. Wir müssen daran arbeiten, die Spaltungen selbst in den Familien zu überwinden.
Wichtig scheint mir auch, dass wir als Hauptamtliche in der Kirche gemeinschaftlich unterwegs sind und fragen: Was ist heute dran? Das hat eine durchaus spirituelle Dimension. Da gilt es, Sichtweisen auszutauschen, Einwände ernst zu nehmen, Schwierigkeiten durchzutragen.

Was wünschen Sie sich für Ihren Dienst von den Eichsfeldern, vom Bistum, vielleicht von Rom?

Zunächst einmal, dass wir hier in guten Beziehungen miteinander unseren Glauben zu leben versuchen. Ich wünsche mir im Bistum, dass wir den Mut haben, Grenzen zu überschreiten, Dinge gegen den Strich anzugehen.
Von der verfassten Kirche in Deutschland, auch von Rom, wünsche ich mir, dass sie ihre Ängstlichkeit überwindet. Sie sollte Mut haben, manches aufzugeben. Sie sollte nicht zurückschauen auf das, was war, sondern sich im Blick auf die Zeichen der Zeit konsequent den Menschen zuwenden, das Evangelium leben und das Reich Gottes verkünden. Sie sollte keine Angst haben vor einem Bedeutungsverlust. Wer sich bewusst an die Seite der Menschen stellt, wird immer gebraucht. Davon bin ich überzeugt.

Interview: Eckhard Pohl