Junge Katholiken und Wehrersatzdienst
Im Stich gelassen
Der Zivildienst oder Soziale Friedensdienst – wie er in der DDR genannt wurde – war bis in die 1980er Jahre für die katholische Kirchenleitung kein Thema. – Das Foto entstand am Rande der Ökumenischen Versammlung 1988 in Dresden. | Foto: Bernd Bohm/epd |
Die katholische Kirchenleitung in der DDR hat junge Katholiken bei ihren Gewissenskonflikten mit Blick auf den Wehrdienst weitgehend allein gelassen. Grundwehrdienst, waffenloser Dienst als Bausoldat oder Totalverweigerung? Informationen dazu und Hilfen beim Umgang mit diesen Fragen erhielten Betroffene nur vereinzelt, meist von engagierten Jugend- oder Studentenseelsorgern, häufiger aber auch durch Kontakte zur evangelischen Kirche. Zu einem Kurswechsel kam es erst in den 1980er Jahren. – So lassen sich die Forschungsergebnisse des Erfurter Kirchenhistorikers Jörg Seiler zum Thema „Die katholische Kirche in der DDR und ihre Haltung zur Waffenverweigerung“ zusammenfassen, die er bei der Bausoldaten-Tagung in Leipzig Anfang März (TAG DES HERRN berichtete) vorstellte.
Frühzeitig „politische Abstinenz“ verordnet
„Erst relativ spät erkannten die katholischen Bischöfe in der DDR, dass die Akzeptanz von Kirche durch die Gläubigen auch an der Glaubwürdigkeit seelsorglicher Präsenz in einer sozialistischen Gesellschaft hing“, sagte Seiler. Die katholische Kirche in der DDR hatte sich dagegen frühzeitig „politische Abstinenz“ verordnet. „Konflikte mit dem Staat wurden nur bei sehr ausgewählten Themen (Bildung, Jugendweihe) ausgetragen – der Militärdienst und die Wehrdienstverweigerung gehörten nicht dazu.“
1962 führte die DDR die allgemeine Wehrpflicht ein. Das Gesetz war natürlich ein Thema für die katholischen Jurisdiktionsträger. In einer Information für die Gläubigen betonten sie „das Recht auf freie Religionsausübung auch als Soldat“. Der Fahneneid sei ein nicht-religiöser Akt, da der Gottesbezug fehle. Insgesamt sahen die Bischöfe die Einführung des Wehrdienstes, um für einen legitimen Verteidigungskrieg vorbereitet zu sein, als völkerrechtskonform, so Seiler. Ein gewisses Eigeninteresse machten sie allerdings gelten, indem sie sich für die Zurückstellung der Theologiestudenten vom Grundwehrdienst einsetzten.
An der kirchlichen Basis gab es sogleich Kritik. Seiler: Das Jugendseelsorgeamt Magdeburg sprach von einer „furchtbaren Enttäuschung für alle Betroffenen“, da eine „schwerwiegende Angelegenheit“ bagatellisiert werde. Zwar wurden Handreichungen erarbeitet und Einkehrtage zum Thema eingeführt, grundsätzlich änderte sich aber nichts. Besonderen Einfluss dabei hatte der Berliner Erzbischof Alfred Bengsch: „Er sah direkte Interventionen in der Frage der Wehrpflicht als Gefährdung des relativ ruhigen Staat-Kirchen-Verhältnisses an.“ Die Auseinandersetzungen um die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen überließ man der evangelischen Kirche.
Die Magdeburger Jugendseelsorge verbreitete daraufhin die evangelische Handreichung „Zum Friedensdienst der Kirche“ (1965), in der es hieß, dass Bausoldaten „deutlichere Zeugen des gegenwärtigen Friedensangebotes unseres Herrn“ seien. Der Magdeburger Weihbischof Friedrich Maria Rintelen, der davon nichts wusste, verurteilte die Verbreitung als eine bedauerliche, unglaubliche, unvorstellbare Tatsache. Er lehnte die Totalverweigerung entschieden ab: „Wo kommen wir denn da hin?! Wenn sich heute jeder auf sein Gewissen berufen wollte!“ Für Kleriker allerdings gab es eine Anweisung, dass diese im Falle einer Einberufung den Dienst mit der Waffe verweigern müssten.
Das Dilemma der Totalverweigerung
In welchem Umfang sich Priester für die Belange junger wehrpflichtiger Christen einsetzten und welche Rolle die Pfarrer an den jeweiligen Standorten spielten, ist aus Seiler Sicht noch nicht genügend erforscht. Dass Priester sich für Bausoldaten oder Totalverweigerer an ihre Bischöfe gewandt haben, waren Einzelfälle. Viele dieser Priester seien im „Aktionskreis Halle“ (AKH) aktiv. Bei AKH handelt es sich um den einzigen Zusammenschluss von Christen in der DDR innerhalb der katholischen Kirche, die sich entgegen der von den Bischöfen vorgegebenen kirchenpolitschen Linie kritisch zu gesellschaftlichen und kirchlichen Fragen äußerten.
Vor einem besonderen Dilemma standen die Bischöfe in Fällen einer Totalverweigerung aus Gewissensgründen. Zwar ist es kirchliche Lehre, dass eine subjektive Gewissensentscheidung eine Person bindet, die Bischöfe zögerten aber, die Wehrdienstverweigerung als nach katholischer Lehre mögliche Entscheidung darzustellen, um damit der Wehrdienstverweigerung nicht einen Vorrang zuzusprechen.
Appelle an die Bischöfe, sich für einen echte Alternative zum Wehrdienst einzusetzen, gab es: Der Oratorianer und Leipziger Studentenpfarrer Wolfgang Trilling schrieb Bengsch Ende 1967 von seiner „persönlichen Anteilnahme“ am Schicksal der Totalverweigerer. Ihm stelle sich die Frage, in welcher Weise beide Kirchen in der DDR dieses „staunenswerte Zeugnis des Heiligen Geistes in jungen Menschen“ aufnehmen könnten. Die Bischöfe sollten doch zusammen mit der evangelischen Kirche nach Wegen suchen, auf denen es möglich wird, dieses Zeugnis junger Menschen als der Kirche eigenes Friedenszeugnis anzunehmen und dafür einzutreten. Trillings Anregung, in den Fürbitten der Gemeinden an die inhaftierten Totalverweigerer zu erinnern, wurde nur selten praktiziert, in einem Fall von Kardinal Bengsch sogar ausdrücklich kritisiert.
Ein kirchenpolitischer Wandel trat laut Seiler erst nach dem Tod von Bengsch und dem Amtsantritt einer neuen Bischofsgeneration in den 1980er Jahren ein. Nun wurde die seelsorgliche Begleitung katholischer Bausoldaten und Totalverweigerer intensiviert. „Bei seinem Antrittsbesuch als neuer Berliner Bischof begrüßte im Oktober 1982 Joachim Meisner im Gespräch mit Klaus Gysi, dem Staatssekretär für Kirchenfragen, die Einrichtung des Bausoldatendienstes ,und wies darauf hin, dass er es positiv bewerten würde, wenn es noch mehr solcher Möglichkeiten gäbe‘“, sagte Seiler. Von nun an war dies wohl immer wieder Thema in den Staat-Kirche-Gesprächen.
Ein Beleg für den vollzogenen Wandel ist der Friedenshirtenbrief der Ost-Bischöfe von 1983. Darin heißt es: „Wir möchten denen, die aus religiösen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen, unsere Achtung zum Ausdruck bringen. Wir respektieren freilich auch die Überzeugung jener, die den Waffendienst in der Hoffnung ableisten, damit der Sache des Friedens in der Welt zu dienen. Darüber hinaus plädieren wir dafür, dass auch über mögliche andere Formen eines Wehrersatzdienstes nachgedacht und gesprochen werden kann.“ Ein wirklicher Zivildienst wurde in der DDR erst 1990 eingeführt.
Von Matthias Holluba