Anti-Erschöpfungsstrategie
Immer wieder auftanken
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Ja, es gibt sie, diese Menschen, die fröhlich wirken und ziemlich entspannt, die ihren Alltag meistern ohne Jammern und noch genug Energie finden für ein Ehrenamt oder ein Hobby. Jeder ist gerne mit ihnen zusammen, denn nach einem Treffen mit ihnen geht es den anderen auch gleich besser. Doch was ist das Geheimnis derjenigen, die scheinbar nie ans Limit kommen? Sie bewegen sich genug, essen gerne, aber nicht aus Frust, sie legen Pausen ein und können genießen, sie haben Unterstützer und arbeiten in Bereichen, die ihnen entsprechen, weder über- noch unterfordern und sogar Spaß machen. Darüber hinaus wissen sie, dass nicht alles in des Menschen Hand liegt, dass es Rückschläge im Leben gibt und man Durststrecken durchstehen kann, auch aufgrund ihres Glaubens.
So könnte man die Erkenntnisse zusammenfassen, die der Autor Jörg Berger in seinem Buch „Die Anti-Erschöpfungsstrategie. Sieben Wege zu innerer Kraft“ darlegt. Sie beruhen auf wissenschaftlichen Untersuchungen, die Psychologen durchgeführt haben. Wie viel Kraft wir haben, hängt auch davon ab, wie gut wir unsere Reserven trotz eines stressigen Alltags wieder auffüllen können, ob wir Freunde haben und wie viele schöne Erlebnisse wir sammeln, auch abseits der Routinen, denn der Mensch braucht Anregungen. So bleibt vom Urlaub nicht der faule Strandtag, sondern das Besondere in Erinnerung: der Surfkurs, der Aufstieg zum Berggipfel oder die Einladung durch wildfremde Leute während einer Pilgertour. Ein Tag, an dem wir eine neue Herausforderung meistern, brennt sich in unser Gedächtnis ein.
Erschöpfung als Freundin
Mit seinem Buch richtet sich der psychologische Psychotherapeut Jörg Berger an alle Leserinnen und Leser, die fühlen, dass sie gerade keine Reserven mehr haben – auch keine Reserven, um einen aufwendigen Punkteplan zu absolvieren oder den Kampf gegen Erschöpfung nun diszipliniert anzugehen. Die Erschöpfung solle man als Freundin betrachten, denn sie könne ein Hinweis darauf sein, dass das Leben in Schieflage geraten ist, sagt Berger. „Wer gegen die eigenen Bedürfnisse lebt, überanstrengt sich und muss die Frustration bewältigen, die ungestillte Grundbedürfnisse hervorrufen“, schreibt er. In einem passenden Umfeld dagegen „sind wir voller Lebensfreude, Kreativität und Kraft“, heißt es. Ein Beispiel aus der Tierwelt sind Pinguine: An Land wirken sie zu langsam und ein bisschen lächerlich, im Wasser dagegen bewegen sie sich blitzschnell, denn sie sind in ihrem Element.
Das Buch wendet sich mit dem Thema Erschöpfung nicht an Long-Covid-Betroffene oder Menschen, bei denen eine Erkrankung hinter ihrer Erschöpfung steht; Berger appelliert an alle Leser, sich entsprechend medizinisch untersuchen zu lassen. Falls aber eine Depression hinter der Erschöpfung stehe, könne das Buch helfen, die Wartezeit auf einen Therapieplatz gut zu nutzen.
Dinge, die guttun
Es gibt Erfahrungen, die den Menschen erwiesenermaßen guttun: entspannende Pausen, das Erlebnis von Sinn, zwischenmenschliche Begegnungen, sich an Kleinigkeiten freuen, aber auch die Gelegenheit, etwas Neues zu entdecken. Das Buch enthält Übungen, die helfen können, sich über eigenen Bedürfnisse klarzuwerden, zum Beispiel der Fragebogen „Was mir zutiefst guttut“ („In welchem Moment waren Sie zuletzt in einer Begegnung mit einem anderen Menschen richtig glücklich?“) und die Übung für einen „freundlichen Tagesrückblick“: Man lässt den Tag Revue passieren mit den Augen eines freundlichen Betrachters. „Schätzen Sie wert, was Ihnen Gutes widerfahren ist und was Ihnen gelungen ist.“
Selbstwert stärken
Dabei geht es laut Berger darum, den eigenen Selbstwert zu stärken, nicht immer mit der Stimme des inneren Kritikers auf sich selbst zu schauen. Allerdings, so betont er, solle man das nicht mit einem Zwangsoptimismus wie bei den Vertretern des positiven Denkens verwechseln. Ja, es erleichtere das Leben, zunächst optimistisch an Dinge heranzugehen, aber zwanghafte Selbstoptimierung und positives Denken als Weltanschauung, die Erfolg und Beliebtheit verspricht, sei oberflächlich. „Es gehört einfach zum Menschsein dazu, dass nicht immer alles glattläuft“, schreibt der Autor. Erschöpfte Menschen litten oft unter ihrem Perfektionismus (siehe die Übung „Dem inneren Kritiker widersprechen“!).
Richtige Menschen treffen
Einer der Hauptgründe für mentale Erschöpfung liegt laut Psychotherapeut Berger im Umgang mit Menschen, die anderen nicht guttun – zum Beispiel Grenzüberschreiter, Abwerter, Blender, Einschüchterer, Rächer und Energieräuber. Diesen Menschen dürfe man nicht zu viel Macht über sich geben. Das sei schwer, denn der Mensch habe das Bedürfnis nach Bindung. „Es sind Menschen, die uns motivieren und stark machen. Es sind Menschen, die uns verunsichern, auslaugen oder unter Druck setzen.“ Auch wenn man merke, dass man hohe Erwartungen nicht erfüllen kann, zum Beispiel im Ehrenamt in der Betreuung Hilfsbedürftiger, sei es ratsam, sich professionelle Hilfe zu holen statt auszubrennen.
Das Leben leichter machen
Jörg Berger empfiehlt, sein Leben von Ballast zu befreien, keine Zeit mehr in überflüssige Apps oder in Unternehmungen zu stecken, die nicht wirklich Spaß machen, die man nur anderen zuliebe mitmacht. Wer zu viele Verpflichtungen hat, habe zu wenig Zeit für seine Erholung und die Dinge, die ihm tiefgreifend guttun. Das sei vor allem der Kontakt mit Menschen, die ihm wichtig sind. Und es seien Projekte oder Hobbys, für die jemand wirklich brennt. Denn die Einfachheit brauche auch einen Gegenpol. „Wir sind zu mehr geschaffen als zu einem kleinen Leben.“ Menschen, die viel Energie haben, hätten oft etwas entdeckt, wofür sie ihre Aufmerksamkeit verschwenden, und ihre Kraft erneuere sich dabei (siehe Übung „Finden Sie heraus, was ihr Ding ist!“).
Spirituelle Grundlage finden
Der Autor empfiehlt als Anti-Erschöpfungsstrategie, das Ich und das eigene Umfeld besser in Einklang zu bringen. Dazu gehöre auch, seine Rollen am Arbeitsplatz und im Freundeskreis zu überprüfen (wem wird alles zugeschoben?) und mit den eigenen Schattenseiten leben zu lernen.
Grundlage für ein entspanntes Leben sei letzten Endes die Überwindung des Ego. In der christlichen Tradition gebe es viele Beispiele in der Bibel, wie Jesus die Menschen zu Bescheidenheit, Demut und Hilfsbereitschaft auffordert. „Wie wir uns täglich verhalten, formt unser Leben, prägt unseren Charakter (...).“ Ziel sei die liebevolle Verbindung mit Gott. Die vorgeschlagene Übung „Meditieren wie Ignatius“ führt die Leserinnen und Leser in die christliche Kraftquelle der Meditation ein.
Jörg Berger, Die Anti-Erschöpfungsstrategie,
7 Wege zu innerer Kraft“, Herder, 20 Euro.