Kardinal Zenari zur schwierigen Lage in Syrien
"Jetzt werden wir gebraucht"
Wie steht es um das christliche Leben in Syrien? Ein Besuch bei Kardinal Mario Zenari in Damaskus.
Die Sonne steht fast senkrecht über Malki, dem Diplomatenviertel von Damaskus. Versteckt hinter hohen Bäumen liegt die Apostolische Nuntiatur, umgeben von einer hohen Mauer. Wenn Besuch aus Deutschland kommt, begrüßt Kardinal Mario Zenari die Gäste gern auf Deutsch. Vier Jahre habe er in Bonn gelebt, sagt er und nimmt sich Zeit für ein ausführliches Gespräch.
Seit Anfang 2009 sei er Botschafter des Vatikan in Damaskus. Trotz des Kriegs habe er nicht einen Tag an Abreise gedacht. Es sei die Zeit für eine "offene Kirche an der Peripherie", man müsse den Menschen zeigen, dass man an ihrer Seite sei, so der Nuntius. "Haben Sie die Frauen, die Kinder gesehen? Was sie erlebt haben, wie sie es durchstehen. Auf sie müssen wir unseren Blick richten". Syrien in diesem Krieg erlebt zu haben, sei eine besondere menschliche und spirituelle Erfahrung: "Das verpflichtet."
Rund 2,8 Millionen Christen, etwa zwölf Prozent der Bevölkerung, lebten 2011 in Syrien. Mehr als die Hälfte von ihnen haben ihre Heimat seitdem verlassen, kaum ein Kirchengebäude blieb vom Krieg verschont.
Auf die Frage, ob die Tage für die Christen in Syrien gezählt seien, folgt eine kurze Pause. Dann sagt der Kardinal mit Nachdruck: "Nicht Hunderte, eine halbe Million Kirchen wurden zerstört und mehr als eine Million beschädigt. Die wahre Kirche ist der Mensch. Das Heiligste sind die Kinder. So viele wurden getötet, verletzt, verstümmelt." Im Bericht der UN-Nothilfeorganisation (OCHA) sei nachzulesen, dass 33 Prozent der Wohnhäuser in Syrien durch den Krieg zerstört worden seien, das sei "die eigentliche Katastrophe".
"Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir bei ihnen sind"
Die Christen würden in Syrien nicht verfolgt, es herrsche Religionsfreiheit, fährt der Kardinal fort und erinnert daran, dass einer der Gründerväter Syriens ein Christ gewesen sei: "Faris al-Khoury war Ministerpräsident und vertrat Syrien bei der Gründung der Vereinten Nationen 1945." Womöglich fühlten sich einige Christen in Syrien "als Menschen zweiter Klasse", doch es sei keine Bestrafung, in Syrien geboren zu sein, es sei eine Mission. "Jetzt werden wir gebraucht, gerade weil wir Christen sind müssen wir den Menschen zeigen, dass wir bei ihnen sind."
Zenari hofft, dass jene, deren Häuser nicht zerstört wurden und die als Ärzte oder Ingenieure arbeiten könnten, ins Land zurückkehren. "Wenn man nicht unter Bomben leben muss, hat man eine Verantwortung." Die größte Verletzung für das Christentum sei, "wenn die Kirchen leer bleiben".
Dann spricht der Geistliche über das kirchliche Hilfsprogramm für das vom Krieg zerstörte Syrien. Allein 2016 hätten katholische Organisationen aus aller Welt 200 Millionen US-Dollar für die Menschen in Syrien und für die syrischen Flüchtlinge in Jordanien und im Libanon gegeben. Schulen und Krankenhäuser seien unterstützt worden. Mitte September soll in Rom mit 40 kirchlichen Hilfsorganisationen das weitere Vorgehen besprochen werden.
Seit November 2017 unterstützt die katholische Kirche drei "offene Krankenhäuser" in Aleppo und Damaskus, um Kranken und Armen eine kostenlose Behandlung zu ermöglichen. Das Gesamtvolumen des Projekts umfasst 18 Million Euro und wird von der Hilfsorganisation AVSI getragen. Bisher seien pro Woche 400 Kranke operiert worden, berichtet der Kardinal. Nun sollten auch ambulante Untersuchungen und Behandlungen übernommen werden.
Beim Abschied im Innenhof zeigt der Kardinal auf eine Stelle oben am Gebäude. Im November 2013 sei dort eine Granate eingeschlagen und habe den gesamten linken Flügel des Hauses heruntergerissen. Glücklicherweise sei niemand verletzt worden. Zu sehen ist der Schaden nicht mehr. Dennoch wirke die Erschütterung des "unfassbaren Krieges" nach. "Niemand hat diesen Krieg verstanden", zitiert Zenari den ehemaligen UN-Sonderbotschafter für Syrien, Lakhdar Brahimi. "Daran hat sich bis heute nichts geändert."
kna