Die Passion bei RTL
Leiden für Anfänger
Foto: imago/epd
2022 gab es „Die Passion“ zum ersten Mal. Live aus Essen und als Idee geklaut aus den Niederlanden, wo die Bühnenshow seit Jahren ein TV-Ereignis ist. Knapp drei Millionen Zuschauer hatte die Übertragung – aber die Meinungen waren geteilt. Genau richtig, um Nicht-Kirchgänger zu erreichen, sagten die einen; fast schon blasphemisch, das Kreuz zwischen Werbepause und Chipstüte, sagten die anderen.
„Ich habe ‚Die Passion‘ im Fernsehen angeschaut und war wirklich berührt“, sagt Matthias Sellmann, Pastoraltheologe und Leiter des Zentrums für Angewandte Pastoralforschung an der Ruhr-Universität Bochum. „Manches habe ich emotionaler und stärker erlebt als bisher.“
Auch er habe im Nachhinein „Stimmen aus jeder Fraktion“ gehört. Da hätten Menschen aus seiner Gemeinde das Format nicht nur „fremd empfunden“, sondern darin die „Eventisierung und Banalisierung einer heiligen Geschichte gesehen“, sagt Sellmann. Anders viele seiner Studierenden: „Für sie war es eine echte Überraschung, dass die Popkultur, in der sie leben, sich verbinden kann mit der Bibel.“
„Die Passion“ inszeniert das Leiden Jesu als Singspiel. Schauspielerische Szenen und Lieder wechseln einander auf der großen Bühne ab. Das Besondere: Es sind bekannte Popsongs, die auf die Passion übertragen werden. „Ich war selbst überrascht, wie gut das funktioniert“, sagt Pastoraltheologe Sellmann. „Andererseits erzählt die Popmusik ja wie die Bibel von großen Gefühlen, vom Leben und Sterben, vom Lieben und Verzeihen. Warum sollte es also nicht passen?“
Dem Vorwurf der übermäßigen Inszenierung der Leidensgeschichte widerspricht der Theologe. „Unsere Liturgie ist auch eine Inszenierung“, sagt er, „eine, an die wir uns gewöhnt haben und die wir als passend empfinden.“ Falsch sei es aber, sie als einzig legitime Inszenierung zu definieren. „Die Kirchen haben auf die Geschichte Jesu kein Monopol“, sagt Sellmann. „Sie gehört den Menschen und sie dürfen sie in ihrer Kultur ausdrücken.“
Entweder so – oder gar nicht
Zumal sich die RTL-Passion an eine andere Zielgruppe richtet als die Karfreitagsliturgie. „Es hat sich gezeigt, dass tatsächlich auch das Stammpublikum von RTL und RTL II eingeschaltet hat“, sagt Sellmann. Und das seien Menschen, die meist nicht zu unseren Gemeinden gehören: „Sie erfahren auf eine Weise von der Passion Jesu, die zu ihnen passt.“ Anders würden sie nichts davon erfahren.
Sellmann verweist auf die Erfahrungen in den Niederlanden, woher die Idee stammt. „Die Niederlande sind noch viel stärker durchsäkularisiert – und trotzdem ist die Einschaltquote dort seit Jahren riesig.“ Offenbar treffe man einen Nerv.
Und das nicht nur wegen des Happenings. „Mir wurde erzählt, dass gerade auf dem Platz in Essen eine wirklich andächtige, berührende Atmosphäre geherrscht hat“, sagt Sellmann. Wie in manchen Momenten auf Festivals, „wenn alle still werden und die Begeisterung in Kontemplation übergeht“.
Auch der Kreuzmarsch durch die Stadt sei stark gewesen. „Eine echte Prozession“, sagt Sellmann. Ihn habe es am Fernseher berührt, wie Menschen „aus Milieus, die ich privat oder beruflich nicht kenne“, über ihren Glauben gesprochen haben. „Für mich ist das echte Verkündigung“, sagt er und lässt den Vorwurf, manche Geschichten seien doch seltsam gewesen, nicht gelten: „Wo sind denn Glaubenszeugen aus unseren Gemeinden, die da mitmachen würden? Warum haben wir so wenig Spannendes vom Glauben zu erzählen?“
Ja, mit manchen Sachen sei er „auch nicht ganz fertig“. Zum Beispiel mit den vielen Werbepausen. Aber insgesamt sei er dankbar, dass RTL auch das kommerzielle Risiko eingeht, die Passion Jesu an ein Millionenpublikum zu bringen, sagt Sellmann: „Sie wagen es groß, professionell, modern. Die Kirchen sollten sich dem nicht verschließen, sondern eher Allianzen suchen.“
Die Passion. Live aus Kassel. Am Mittwoch, 27. März, um 20.15 Uhr bei RTL