Jahresserie 2022: Einfach mal die Welt retten

Schluss mit einer Kauf-und-weg- Haltung

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Einkauf bei einer Billig-Modekette, die für Zwei-Euro-T-Shirts bekannt ist. Ein Ziel: Findet sich mindestens ein Kleidungsstück ohne Polyester, das zeitlos ist und maximal 50 Euro kostet? Am Geld sollte es nicht scheitern. Von Sarah Schroth



„Tolle Mode, tolle Preise“: So wirbt die Modekette auf ihren Einkaufstüten.


Der Einkauf im Laden von „Primark“ in Frankfurt

Kein pinkes Polyester

Die Farben Pink, Neonorange und ein grelles Grün blitzen durch die Ladentüren. Die Schaufensterpuppen des Billigmodeanbieters tragen die Farben der Saison. Dieser Stil hängt bisher nicht im Kleiderschrank. Das macht unsicher. Am Eingang steht ein Mann eines Sicherheitsdiensts und begutachtet die Eintretenden. Drei junge Frauen mit langen, glatten Haaren und kurzen Röcken stürmen auf ihn zu: „Die Sonnenbrillen haben wir beim letzten Mal gekauft, nur, dass Sie’s wissen“, sagt die eine und tippt mit dem Zeigefinger auf die überdimensionierte Brille auf ihrem Kopf. Der Sicherheitsmann sagt nichts, nickt und winkt sie herein. Währenddessen passieren weitere sechs Personen die Ladenschwelle.
32 Filialen von „Primark“ gibt es allein in Deutschland. Das Geschäft in Frankfurt ist mitten auf der Zeil, der großen Einkaufsstraße. Der letzte Besuch hier ist einige Jahre her, denn bisher war der im Kopf abgespeicherte Ruf: viel Plastik, verzogene, löchrige T-Shirts nach dem ersten Waschen, schlechte Arbeitsbedingungen der Näherinnen … Daher ging der Blick meistens am Laden vorbei. Heute nicht. Hereinspaziert.
So wuselig wie auf der Zeil ist es auch im Laden. Die Metallhaken der Bügel klimpern auf den Kleiderstangen. Durch die FFP2-Maske hindurch riecht es nach Gummi und in der Erinnerung nach Klassenfahrt. Das sind die Flipflops.
Der Weg vorbei an Kleiderstangen und Wühltischen mit T-Shirts für drei und Jeans für 17 Euro gleicht einem Besuch im Labyrinth: Rechts, rechts, links, vorbei am Pink, Neonorange, Grün. Umdrehen aufgrund des Kinderwagens, der den Weg blockiert. Ein Schritt über eine heruntergefallene Bluse. Es knarzt. Ein Kleiderbügel unter dem Schuh ist gebrochen. Drei Frauen rangeln um die letzte brauchbare Größe der Leinenhose am Ständer.
In der Ecke mit den kurzen Hosen ist es ruhig.


Viele Teile, 48 Euro. Foto: Sarah Schroth


Die sind ebenfalls aus 90 Prozent Leinen, und daher landen drei Stück inklusive Plastik-Kleider-bügel auf dem linken Unterarm. Ebenso ein hellblaues Top aus demselben Material. Erleichterung. Es gibt etwas Schlichtes, und es ist nicht aus Polyester. Auf zur Umkleide. Auf dem Weg stapeln sich ein Kleid, zwei T-Shirts und ein Rock ebenfalls auf dem Arm. Eines der T-Shirts kostet drei Euro. Der Einkaufswahn setzt ein – ohne Blick auf Preis und Material.
In der Umkleide kichern Mädchen, weil sie pinke Frotteehüte anprobieren und diese dann liegenlassen. Die eigene Anprobe ist zufriedenstellend: Das Drei-Euro-T-Shirt geht zwar zurück, aber zwei kurze Hosen, eine Bluse, ein T-Shirt kommen mit. Zwei sommerliche Outfits. Gemacht – „made in“ – China, Bangladesch, Vietnam. Das Material-Ziel ist erfüllt: hauptsächlich Leinen, und das T-Shirt besteht aus 100 Prozent Baumwolle.
Im Internet wirbt die 1969 gegründete Modekette mit einem Programm für nachhaltige Baumwolle. Sie wollen die Art und Weise ändern, wie sie die Baumwolle beziehen, Lebensbedingungen der Bauern verbessern und den Planten schützen. Große Ziele bis Ende 2023. Außerdem wollen sie Plastik im Laden reduzieren, die Materialien alter Kleidung wiederverwenden und gleichzeitig preislich erschwinglich bleiben. Kann Nachhaltigkeit drei Euro kosten?
Die Schlange vor dem Kassenbereich reicht bis zur Umkleide. Viele Menschen wollen es günstig. Ob sie sich Gedanken über die Umwelt und die Zukunft machen? Der vollgestopfte Einkaufssack einer Frau schleift über den Boden. Ein Chihuahua wuselt zwischen den Beinen der Menschen umher. Er gehört zu den Füßen mit den pinken Fellschuhen. Nach 20 Minuten geht es endlich zur Kasse. „48 Euro, bitte.“ Preisziel erfüllt. Allerdings landet in der Papiertüte auch ein Haarband aus Polyester. Wiederverwertetes zumindest.
Beim Ergreifen der Tüte fällt der Aufdruck in den Blick: „How change looks“ – „Wie Veränderung aussieht“. Die Farben, die Mode, das Nachdenken über Umweltschutz: Es hat sich was verändert. Manches aber auch nicht.

Von Sarah Schroth

 

Grundausstattung für den Kleiderschrank der Frau

Capsule Wardrobe – Kapselgarderobe

Mit „Capsule Wardrobe“ wird eine Sammlung von Kleidungsstücken bezeichnet, die nur aus untereinander austauschbaren Artikeln besteht. Ziel ist es, für jeden Anlass ein passendes Outfit zu haben, ohne überflüssige Kleidungsstücke zu besitzen. Etwa 40 Lieblingsteile pro Saison reichen manch einem schon für die persönliche Kapselgarderobe. Unterwäsche, Socken und Sportbekleidung werden nicht mit eingerechnet. Gürtel, Schuhe und Taschen aber schon. Doch letztlich ist die persönliche Wahl und Zufriedenheit ausschlaggebend. Den Grundstock bieten einfarbige Basisteile in gedeckten Farben, denn die lassen sich gut kombinieren: schwarz, dunkelblau oder braun, weiß, beige und grau. Dazu lassen sich gemusterte oder bunte Accessoires kombinieren, und es entsteht immer wieder ein neuer Look.
Grundausstattung für den Kleiderschrank einer Frau: Jeans, weißes T-Shirt, formelle Hose und Blazer, schlichtes schwarzes Kleid, schwarzer Rollkragenpulli, Hemdbluse, Strickjacke, Midi-Rock, Shorts, Sommerkleid.
An Schuhen reichen vier Paar: Ballerinas, Sandalen, Sneaker, Stiefeletten.
Nur eine große und eine kleine Tasche. (ez)

 

ZUR SACHE


Was gut ist für Mensch und Umwelt

Achten Kundinnen und Kunden beim Textilkauf nur auf den Preis? In einer Umfrage eines Markt-forschungsinstituts aus dem Jahr 2000 unter
2500 Konsumenten bejahten das 57 Prozent. Für 30 Prozent war dagegen Nachhaltigkeit besonders wichtig. Und ganze 71 Prozent der Befragten waren der Ansicht, dass „faire“ Kleidung in den nächsten fünf Jahren weiter an Bedeutung gewinnen werde.
Was zählt als „faire“ Kleidung? Menschen, die sie herstellen, müssen grundlegende Arbeitsrechte haben, vor gesundheitlichen Schäden geschützt sein und von ihrem Lohn leben können. Und das eben weltweit.
Sogenannte nachhaltig produzierte Kleidung geht ethisch noch einen Schritt weiter und bezieht den Schutz des ganzen Planeten mit ein. Kritische Verbraucher erwarten, dass die Textilbranche bei der Herstellung von Rohstoffen und Produkten beides berücksichtigt: den Menschen und die Umwelt.
Sozial und nachhaltig orientierte Unternehmen lassen sich gerne zertifizieren und werben mit einem Siegel. Dutzende Kennzeichen existieren bereits. Nicht alle bringen wirklich etwas. Nicht alles Gutgemeinte lässt sich sofort umsetzen. Selbst das deutsche staatliche Siegel „Grüner Knopf“ hat noch Lücken in seinen sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Bewertungskriterien. Obendrein verwirrt die Fülle der Textilsiegel den Käufer.
Ein Großteil der in Deutschland verkauften Kleidung stammt aus Niedriglohnländern. In Bangladesch, China oder Indien gelten bezüglich des Umweltschutzes eben auch viel niedrigere Standards. Häufig bleiben die Löhne zu gering, werden noch Kinderarbeiter eingesetzt und wird auf Maßnahmen eines gesundheitlich sicheren Arbeitens verzichtet.
Bei fair hergestellten Produkten mit einer Fertigung in Europa garantieren die Hersteller wenigs-tens soziale und ökologische Mindeststandards. Doch auch hier gibt es einige, die sich mehr um ihr umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image kümmern, als dass sie verlässlich an den Grundlagen arbeiten. Die ganze Entwicklung rund um nachhaltige Kleidung wird einen langen Atem brauchen. Bis öko-faire Handelsbedingungen überall selbstverständlich sind, wird es noch Jahrzehnte dauern.
Unsere Vorfahren hatten ein Gewand für den Alltag und eins für den Sonntag. Kann es wahr sein, dass der Durchschnitts-Deutsche sich übers Jahr 60 neue Kleidungsstücke zulegt? Viele dieser Blusen, Hosen, Hemden und Shirts werden nur ein paar Mal getragen und dann als Altkleider entsorgt. Ganze 15 Kilo sollen es sein, die jeder hierzulande pro Jahr in den Container wirft.
Was wäre die Lösung? Langlebige Kleidung: weniger kaufen, dafür mit besserer Qualität. Solche Ware kostet mehr. Aber wenn man den Kaufpreis durch die Anzahl der Tage teilt, an denen solch ein gutes Stück getragen wird, kann selbst Wertigkeit günstig und einer „Kauf-und-weg-Haltung“ finanziell ebenbürtig sein. Wer den eigenen Kleiderschrank so besser kennenlernt, konzentriert sich auf Lieblingsstücke, die er gerne und oft anzieht und die er untereinander immer wieder neu kombinieren kann. Zeitlose Teile kommen nicht so schnell aus der Mode. So entgeht man dem Druck von kurzlebigen Trends und ständig neuen Kollektionen.
Bis eine Jeans im Kleiderschrank hängt, ist sie durch viele Hände in aller Welt gegangen. Angebaut und gepflückt wurde die Baumwolle vielleicht in Kasachstan, gesponnen in der Türkei, gefärbt in China, gewebt in Polen und genäht in Bangladesch. Sogar für die Menschen aus der Textilbranche selbst wird es manchmal unübersichtlich, unter welchen Bedingungen alle einzelnen Schritte der Rohstofferzeugung, der Produktion von Garnen, der Herstellung von Webstoffen, der Veredelung, der Konfektionierung, des Versands und des Exports stattfinden. Doch alle Wege, die ein Kleidungsstück von der Erzeugung bis zum Kunden hinter sich bringt, sollen in den ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen nachverfolgbar und nachhaltig werden. Die Jeans aus dem Beispiel darf dann nicht von Kinderhänden genäht oder mit Giftstoffen versetzt sein. Unternehmen werden durch gesetzliche Regelungen mehr und mehr verpflichtet, Auskunft über diese komplexen Prozesse zu erteilen. Die Konsumenten sind aufgerufen, beim Kauf auf nachhaltige Kleidung zu achten. Das hört sich einfach an, die Umsetzung ist schwieriger.  Unternehmen brauchen Rat von Experten. Konsumenten müssen sich besser informieren können.
Die Bundesregierung will dafür sorgen, dass große deutsche Firmen in die Verantwortung genommen werden, wenn Mensch oder Umwelt bei der Produktion der Textilien leiden. Mode-Unternehmen sollen Strafe zahlen, wenn an unserer Jeans zum Beispiel doch Kinder mitgearbeitet haben. Für Firmen bedeutet die Einhaltung mehr Aufwand, um Transparenz nachzuweisen.
Jedenfalls hält das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) der Regierung ab 2023 alle in Deutschland tätigen Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern dazu an, über ein Risikomanagement-System solche Probleme für Menschenrechte und Umweltschäden zu bewerten, zu mindern und zu überwachen. Ab 2024 gilt das Gesetz auch für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten.
Der letzte Schritt jeder Lieferkette betrifft übrigens die Entsorgung. Etwas, das in starkem Maße den Käufer angeht. Im Fall der Jeans gibt es eine klare Vorgabe: weniger Hosen kaufen und die län-
ger tragen, als „Second-Hand-Ware“ weiterverkaufen oder verschenken. Schließlich recyclen.

Von Evelyn Schwab

Drei Tipps
Eine „nachhaltige Garderobe“ lässt sich mit drei Grundsätzen gut pflegen:
Kleine Gesamtzahl an Kleidungsstücken:
Weniger kaufen schont die Ressourcen.
Hochwertiges wählen: Bei gleichem Budget kann pro Teil mehr ausgegeben werden für öko-faire und langlebige Kleidung.
Weniger Fehlkäufe: Darauf achten, ob der Neu-zugang zur vorhandenen Garderobe passt. Die Wahrscheinlichkeit für Impulskäufe sinkt.

Von Evelyn Schwab