Klösterreise – Von den Orden lernen

Sich mit Zeitgenossen einlassen

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Wormser Konvent
Nachweis

Foto: adobestock / Emanuele Capoferri 

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Bildung bedeutet für die Dominikaner lebenslanges Lernen im Austausch mit anderen.

„Klösterreise – Von den Orden lernen“: Die Jahresserie der Kirchenzeitung führt in Klöster der Region. Heute ist Anja Weiffen zu Gast bei Pater Laurentius Höhn. Er ist Novizenmeister im Wormser Konvent der Dominikaner. Ein Gespräch über Bildung und die Suche nach Wahrheit – und wie Letztere ohne Intoleranz gelingen kann.


Die Dominikaner predigen. Intellektualität ist eines ihrer Merkmale, auch wenn dies keine Exklusivität beansprucht. Das Predigen prägt sie seit Gründerzeiten. Als „Ordo Praedicatorum“ (Predigerorden) wurden sie bereits 1218 in einem Erlass bezeichnet, in dem Papst Honorius III. die Ordensbrüder allen Bischöfen und Prälaten empfahl und sie am bischöflichen Predigtauftrag teilhaben ließ. 1221 starb der Ordensgründer Dominikus, Sohn einer wohlhabenden spanischen Familie, der als besitzloser Wanderprediger das Evangelium verkündete. 
 

Laurentius Höhn Dominikaner
Pater Laurentius Höhn, Novizenmeister Foto: Anja Weiffen

Predigen ist auch nach 800 Jahren Auftrag der Dominikaner. Für das Herzstück ihres Ordens braucht es eine gute (Aus-)Bildung. Pater Laurentius Höhn ist seit sechs Jahren Novizenmeister für den deutschsprachigen Raum. Aktuell betreut er in Worms zwei Novizen. 
Ein gewisser Anspruch, um dem Auftrag des Ordens gerecht zu werden, besteht bereits beim Eintritt in die Gemeinschaft. Pater Laurentius nennt 
Abitur beziehungsweise abgeschlossene Berufsausbildung, Volljährigkeit und das Sprechen mindestens einer modernen Fremdsprache als Voraussetzungen. Der Novizenmeister begleitet die Neuankömmlinge beim Einüben in die Ordens-
praxis. Erstes Ziel seiner Aufgabe ist es, die Berufung eines Anwärters zu prüfen und ihn im Entscheidungsprozess zu unterstützen, erklärt er. 
Mit Ordenseintritt und Profess ist es in Sachen Bildung nicht getan. Lebenslanges Lernen durchzieht wie ein roter Faden die Tradition der Dominikaner und prägt das Ordensleben der Männer, die das Kürzel OP hinter ihrem Namen tragen. Pater Laurentius formuliert es salopp: „Immer was für die Birne tun.“ Beim Gang durch das Kloster in Worms zeigt Laurentius Höhn verschiedene Gemeinschaftsräume und den Trakt des Noviziats. Im Flur reichen die Regale mit Büchern bis an die Decke, viel Lesestoff für die Neuen. „Zum Lernen braucht es auch Schutzzonen und Privatheit. Daher hat jeder sein eigenes Zimmer“, erläutert der Novizenmeister die Raumaufteilung.

Die eigenen Erkenntnisse an andere weitergeben

Wissen nicht als Selbstzweck für sich zu behalten, sondern seine Erkenntnisse weiterzugeben, ist Grundtenor dominikanischen Lebens. Dies fasste der Dominikaner und Kirchenlehrer Thomas von Aquin (um 1225 bis 1274) in dem Satz zusammen: „Contemplari et contemplata aliis tradere“ – Betrachten und das Betrachtete weitergeben. Mit Betrachten schien er nicht nur die Versenkung in der Meditation gemeint zu haben, sondern auch das Beobachten der Umwelt, um daraus Schlüsse für die Theologie zu ziehen. Die Suche nach Gott verband er mit der Suche nach Wissen und Wahrheit, den Glauben mit der Vernunft. Theologie entwickelte sich so zur Wissenschaft. 
Pater Laurentius spricht lieber von Aspekten der Wahrheit als von „der“ Wahrheit und verweist auf eine Stelle im Johannes-Evangelium: In der Passionsgeschichte steht Jesus vor Pilatus. Pilatus fragt Jesus schließlich: Was ist Wahrheit? „Jesus schweigt“, bemerkt der Novizenmeister nachdenklich. „Wahrheit heißt, sich mit Zeitgenossen einlassen“, sagt Pater Laurentius, der sich auch für Journalismus interessiert und während des Gesprächs von einem Praktikum in seiner Heimatstadt Berlin bei der Tageszeitung „taz“ erzählt. Die Sorgen und Nöte der Menschen der eigenen Epoche zu sehen und aus diesem Blick heraus für eine gerechtere Welt einzutreten, auch das gehört zum Charisma der Dominikaner. Ein Beispiel war die Bewegung der Arbeiterpriester in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem in Frank-reich, die unter anderem von Dominikanern ausging und ihnen schließlich Konflikte mit den kirchlichen Behörden einbrachte. Soziales Engagement geriet hier unter Ideologieverdacht.

Den Irrenden lieben, den Irrtum hassen. Heiliger Augustinus

Jahrhunderte früher, im ausgehenden Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit, hatte sich die Wahrheitssuche durch die Inquisition in Verfolgung, Folter und Hinrichtungen verkehrt. Auch Dominikaner waren daran beteiligt. Heute arbeitet die deutschsprachige Provinz dieses dunkle Kapitel der Ordensgeschichte unter anderem mit Beiträgen auf ihrer Internetseite für die Öffentlichkeit auf. 
Wie aber kann die Suche nach Wahrheit gelingen, ohne in Fanatismus abzugleiten? Zugleich ohne Wissen und Wissenschaft der Willkür preiszugeben? Im Zeitalter von Fake News und Desinformation brandaktuell. Dem Bildungsanspruch steht bei den Dominikanern das Prinzip der Gemeinschaft zur Seite. Es ist gemäß der Verfassung des Ordens sogar das Grundprinzip dominikanischen Lebens, das sich auch im demokratischen Mitspracherecht aller Ordensmitglieder äußert. Das am Gegenüber interessierte Gespräch ist nicht nur am Besuchstag beim gemeinsamen Mittagsessen in der Wormser Kommunität zu spüren. Wer sich auf der Internetseite der Dominikaner umschaut, bemerkt eine rege publizistische Tätigkeit. Im Austausch, auch mit Kunst und Kultur, kann sich Wissen weiterentwickeln. Als einprägsamen Leitspruch gegen Intoleranz zitiert Pater Laurentius den heiligen Augustinus: „Den Irrenden lieben, den Irrtum hassen.“ Für das Gelingen von Wahrheitssuche im Miteinander steht für den Novizenmeister auch eine geschichtlichen Tatsache: „Unser Orden hat sich nie gespalten oder sich selbst zerlegt.“ 

Zur Sache: Geschichtsträchtiger Standort

Stiftskirche St. Paulus Worms
Blick auf das Konverntgebäude der Wormser Dominikaner mit der Stiftskirche St. Paulus Foto: Adobestock/ Tobias Arhelger

Nur ein Straßenzug trennt das Dominikanerkloster St. Paulus vom Einkaufsviertel der Wormser Innenstadt. Der Platz, den die kirchlichen Gebäude malerisch prägen, hat es geschichtlich in sich: Bereits die Römer legten hier im ersten Jahrhundert Infrastruktur an. Reste einer ehemaligen Römerstraße sind heute noch zu sehen und zu betreten. Mehrere Schichten Kultur fand man hier bei Ausgrabungen in den 1930-er Jahren. Auf dem Terrain 
stand einmal die Rupertikirche inmitten einer von den Saliern im achten Jahrhundert gebauten Burganlage. Der Name der Kirche bezieht sich auf Bischof Rupertus von Worms, der auch das mittelalterliche Salzburg gründete. Die Rupertikirche wurde zur Pfarrkirche, die später durch Kriege zerstört wurde. Die Stiftskirche St. Paulus ließ Bischof Burchard ab 1002 erbauen, nach mehrmaligem Wiederaufbau steht sie heute noch. 
Die Dominikaner zogen erstmals 1226 an diesen Ort, fünf Jahre nach dem Tod ihres Gründers Dominikus von Caleruega. Albert der Große (Albertus Magnus), eines der herausragenden Vorbilder der Dominikaner, wurde hier zum Provinzial gewählt. 1797 mussten die Dominikaner Worms verlassen, der Orden kehrte 1925 zurück. 
Das Noviziat des deutschsprachigen Raums befindet sich seit 1993 in Worms. Im Herbst zieht das Noviziat ins niedersächsische Vechta um. Hintergrund ist die Fusion der Dominikaner-Provinzen Teutonia und der Provinz vom heiligen Albert. Im Februar 2024 entscheidet das gemeinsame Provinzkapitel über die Zukunft aller Standorte. (red)

Anja Weiffen