Historisches Open-Air-Theater „Pest und Liebe“ in Crostwitz

Stärker als Angst und Tod

Image
Das historische Open-Air-Theater „Pest und Liebe“ zeigt, wie Sorben vor 600 Jahren aus der Kraft ihres Glaubens eine Pandemie überstanden. In Crostwitz ist das Stück an diesem Wochenende (16. bis 18. September) zum letzten Mal zu erleben.

Eine Szene des Crostwitzer Pest-Stückes: Inmitten bunten Kamenzer Markttreibens verbreitet der tanzende Tod Angst und Schrecken.    Fotos: Dorothee Wanzek

 

Trotz inständiger Gebete machte die Pest auch vor frommen Sorben nicht Halt. Das zeigt das Stück „Pest und Liebe“, das vorigen Samstag im Crostwitzer Pfarrgarten Premiere hatte. Wie vielerorts in Europa starben auch in der Lausitz komplette Familien an der Seuche, auch hier erstarren Menschen vor Angst, wenn sie vom „Schwarzen Tod“ reden hören. Das Gebet am Familientisch oder in der Kirche des nahe gelegenen Klosters St. Marienstern gibt Trost und Halt, ist der Geschichte rund um die Crostwitzer Familie Warnack zu entnehmen, es motiviert die Überlebenden, für die Kranken und Schwachen im Dorf zu sorgen und sich trotz der erlittenen Verluste wieder dem Leben zuzuwenden.

Mit großem Ernst widmen sich die mitwirkenden Kinder dem Stoff – hier auf der Flucht vor dem sinnbildlichen Tod.


Die Pest-Überlebenden in Crostwitz hadern mit Gott, erkennen aber auch dankbar, was er ihnen mitten im Leid Gutes geschenkt hat: Wie kostbar ihr begrenztes Leben ist, hat ihnen die Pest erst so richtig bewusst gemacht. Zu Ehren des heiligen Sebastian, Patron der Pestkranken, haben sie eine Bruderschaft gegründet, die das gemeinsame Gebet mit der Sorge für Witwen, Waisen und Kranke verbindet. Nicht zuletzt ist auch das „Happy End“ des Stücks Folge der Pest, denn der ungeliebte Verlobte von Warnack-Pflegetochter Hanka ist tot. Sie darf nun ihre große Liebe heiraten.
Trotz des schweren Stoffs erlebten mehr als 1 200 Zuschauer in den ersten beiden Aufführungen zwei unterhaltsame Stunden, in denen Tod und Lebensfreude stets nah beieinander liegen. Wieder einmal haben die Katholiken aus Crostwitz und umliegenden sorbischen Dörfern für ein religiöses Volkstheater alles genutzt, was sie zu bieten haben: weit über 100 spielfreudige Männer, Frauen und Kinder, dazu Ziegen, Reitpferde und Gespanne, historische Kostüme und moderne Licht-, Bühnen, Film- und Übersetzertechnik, den Kirchenchor, die Tanzgruppe Wudor, Geigen und Rauschpfeifen ...

Mit Liebe zum Detail: Beim Bader wurden vor 600 Jahren nicht nur Pestbeulen behandelt, sondern auch Zähne gezogen.

Mit Beharrlichkeit zum dritten Anlauf
Besonders eindrucksvoll sind die symbolischen Darstellungen der Krankheit in Tanz- und Puppenspieleinlagen geraten, aber auch die großen Szenen, in denen sich viel Volk auf der Bühne tummelt. Auf dem Kamenzer Wochenmarkt etwa übertönen sich die Marktschreier. Während Kunden schlachtreife Hühner begutachten, wetteifern Händler einige Schritte weiter um die Qualität ihres Honigs. Unter das Volk haben sich mit sichtlicher Spiellust auch acht Bewohner des Behinderten-Wohnheims aus Panschwitz-Kuckau gemischt.
Einige Spielszenen hat die Crostwitzer Laienspielgruppe gefilmt und als Video auf die Kulissen projeziert. Während Kinder bei Hankas Hochzeit durchs Schlüsselloch der Kirchenkulisse spähen, sehen die Zuschauer als Film, was im Kircheninneren geschieht. Die Gründung der Sebastian-Bruderschaft wird mit Filmsequenzen von historischen und zeitgenössischen Prozessionen der bis heute bestehenden Bruderschaft untermalt.
Mehr noch als bei den im Zehnjahres-Rhythmus aufgeführten Passionsspielen oder dem Stück zum 1000. Geburtstag des heiligen Benno brauchten die Crostwitzer für die Aufführung von „Pest und Liebe“ Beharrlichkeit.

Beim Volksaufstand gegen die Anti-Pest-Verordnungen spielten die Darsteller auf aktuelle Protestbekundungen an.


Dreier Anläufe bedurfte es, bis das für 2020 zum 600-jährigen Bestehen der örtlichen Sebastian-Bruderschaft geplante Freilufttheaterstück bühnenreif war. Ausgerechnet eine Pandemie bremste das Mysterienspiel über die dominierende Seuche des 14. und 15. Jahrhunderts aus.
„Wir mussten immer wieder neue Schauspieler finden“, sagt Georg Spittank, der die Grundidee des Stücks entwickelt hat und die Gesamtleitung übernahm. Dabei gelangen auch Glücksgriffe. Die Totengräber spielen zwei Männer, die auch im wahren Leben in diesem Beruf arbeiten. „Auch ich habe eigentlich mich selbst gespielt“, erzählt Frank Zschornack mit einem Schmunzeln. Er war drei Jahre als Handwerker auf Wanderschaft und hat die Rolle eines Pilgers übernommen, der in der Pilgerherberge der Familie Warnack Unterkunft sucht.
Bei einigen Szenen konnten sich Georg Spittank und Mit-Autorin Eva-Maria Zschornack auf historische Fakten stützen. Das verheerende Gewitter, das in der Einstiegsszene vorkommt, hat beispielsweise 1416 tatsächlich stattgefunden, eine Visitation im Kloster St. Marienstern ist ebenfalls überliefert. Über weite Strecken aber nutzen die Autoren und Regisseurin Sabina Sauer ihre künstlerische Freiheit. Erfunden sind natürlich die Appelle zum Händewaschen oder Abstandhalten, die im Publikum immer wieder für Heiterkeit sorgen. Auch für den Charakter der schusseligen Priorin von St. Marienstern gibt es kein historisches Vorbild. Die Mariensterner Zisterzienserin Maria Laetitia Klut, die am 11. September mit im Publikum saß, sieht das ganz gelassen. Sie hat die Aufführung genossen und findet: „Sie haben uns glaubwürdig dargestellt!“

Weitere Vorstellungen mit deutscher Übersetzung beginnen im Pfarrgarten Crostwitz am 16., 17. und 18. September um 19.30 Uhr

Von Dorothee Wanzek