Impuls zum Sonntagsevangelium am 03.03.2024

Tut Wut gut?

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Schreiendes Kind
Nachweis

Foto: istockphoto/portsmouthnhcharley

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Kinder schreien manchmal ihre Wut heraus – aber danach ist es auch wieder gut.

Jesus tobt wie eine Furie durch den Tempel. Er schlägt um sich, wirft Tische um, schreit die Leute an. Er rast offenbar vor Wut. Dabei ist Wut doch eigentlich etwas Schlechtes, oder? Fragen an Corinna Paeth und Pater Anselm Grün.

Die Geschichte von der Tempelreinigung berichtet, wie Jesus um sich schlägt. Was ist mit ihm los?

Grün: Er handelt konsequent. Er spürt, dass er die Händler nicht mit Worten überzeugen kann. Die würden ihn auslachen. Manchmal braucht es Symbolhandlungen, die etwas deftiger sind. 

Aber Jesus predigte doch Gewaltlosigkeit. Passt das zusammen?

Anselm Grün
Anselm Grün ist geistlicher Leiter des Recollectio-Hauses. Foto: Abtei Münsterschwarzach/Julia Martin

Grün: Ich denke schon. Wut ist eine Kraft, um etwas klarzustellen. Manchmal muss man auf den Tisch hauen und sagen: Ich meine das ernst. Jesus will auch nicht zerstören, sondern etwas erreichen.

Paeth: Wut ist eine Basisemotion des Menschen, die liegt in unseren Genen. Und der Tempel steht für etwas, das uns heilig ist. Wut zeigt also: Hier wird nicht richtig mit mir oder mit meinen Wertevorstellungen umgegangen. Das sieht man in der heutigen Zeit, wenn viele Menschen auf die Straße gehen, um zu demonstrieren. 

Bei manchen Protesten hat man eher den Eindruck, dass es zum großen Teil darum geht, physische Macht zu demonstrieren, wenn Traktoren und Lkws Straßen blockieren. Ist das nicht eher Lust an Aggression?

Paeth: Es ist auch ein Ausdruck von Wut. Aber Wut ist eine oberflächliche Emotion. Das bedeutet, dass sich die tieferen Gefühle wie Angst, Traurigkeit oder Hilflosigkeit oft hinter der Wut verstecken und zunächst nicht zum Ausdruck kommen. Bei vielen Protestierenden scheint eine enorme Hilflosigkeit im Spiel zu sein. Ihre Proteste zeigen dann: Wir wissen uns nicht anders zu wehren.

Hat Wut auch einen Nutzen?

Grün: Wut ist eine Kraft, um seine Werte zu schützen, aber auch, um etwas zum Besseren zu verändern. Wenn ich mich als Cellerar meines Klosters ärgere, dass etwas schiefgelaufen ist, dann kann ich jammern. Oder ich kann die Wut als Kraft nutzen, um alle Beteiligten zusammenzurufen und das Problem zu lösen.
Unter welchen Bedingungen kann Wut zu etwas gut sein?

Paeth: Eine zerstörerische Wut ist nicht gewinnbringend. Wenn Wut aber dazu führt, dass Menschen miteinander über das sprechen, was sie stört, wenn sie sich artikulieren können und respektvoll miteinander umgehen, dann können Probleme gelöst werden. 

Grün: Es ist wichtig, dass Wut immer mit der Bereitschaft verbunden ist, in ein Gespräch zu gehen. In der Bibel gibt es eine weitere Geschichte, in der Jesus wütend ist. Er ärgert sich über die Hartherzigkeit der Pharisäer. Die wollen ihn verklagen, weil er am Sabbat den Mann mit der verdorrten Hand geheilt hat. Jesus ist voller Zorn und Trauer über sie. Aber er lehnt die Pharisäer nicht ab, sondern er fühlt mit ihnen: Wie mag es aussehen in so einem harten, unbeweglichen Herzen? Man kann sagen, er streckt ihnen die Hand zum Gespräch aus.

Was kann man machen, wenn man wütend ist, aber die Wut zu etwas Gutem führen soll?

Corinna Paeth
Corinna Paeth ist Leiterin des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach. Foto: Abtei Münsterschwarzach/Julia Martin

Paeth: Ein impulshafter Wutausbruch ist sicherlich nicht förderlich. Wenn man merkt, dass man innerlich gerade dabei ist, seinen Vulkan loszulassen, dann ist es gut, aus der Situation erst mal rauszugehen. Um sich selbst zu beruhigen und nach einer gewissen Zeit zu überlegen: Was will ich hier eigentlich, was ist meine Meinung? Wie kann ich sie jetzt angemessen zum Ausdruck bringen? Also erst mal aus der Gefahrenzone raus, auch damit man sich nicht blamiert und sich selbst schadet. 

Und dann? 

Paeth: Letztlich muss man seiner Wut in die Augen schauen. Es ist gut, sich seinen ganzen Wutgedanken zu stellen. Wenn man alleine ist, kann man sich vornehmen, alle Gefühle zuzulassen: Ich darf jetzt mal so richtig wütend werden. Dann macht man die Erfahrung, dass sich die Wut aufbäumt und irgendwann auch wieder nachlässt. 

Kommen dann die anderen Gefühle zum Vorschein?

Paeth: Wenn man sich aktiv mit den Gefühlen auseinandersetzt und sie zulässt, verändern sie sich. Dann erkennt man vielleicht, dass man frustriert oder traurig oder überfordert ist.

Grün: Ich habe Menschen begleitet, die darunter litten, dass sie jähzornig waren. Zu sagen „Reiß dich zusammen!“, hilft ihnen nicht weiter. Ich frage dann, welchen Sinn der Jähzorn hat. Wenn ich weiß, um was es mir eigentlich geht, lebe ich den Zorn weniger aus und kann besser mit ihm umgehen. Er beherrscht mich nicht mehr. 

Was können wir heute aus der Geschichte mit der Tempelreinigung lernen?

Grün: Die Mönche haben solche Geschichten immer persönlich ausgelegt, also so, dass es um die Reinigung des eigenen Tempels geht, der für das Innere des Menschen steht. In uns ist es oft wie in einer Markthalle, in uns sind lärmende Gedanken, die herumschwirren, das Triebhafte oder dieses ständige Denken: Wie werde ich gehandelt auf dem öffentlichen Markt? Tempelreinigung bedeutet dann, sich davon nicht leiten zu lassen. 

Paeth: Es geht auch darum, ob ich meinen eigenen Werten gerecht werde. Hier ist Verantwortung gefragt. Ich muss wahrnehmen, was mich stört, was mich ärgert oder frustriert. Und ich muss handeln und die Probleme ansprechen. Wenn man Wut nur runterschluckt, dann kann sie krank machen. 
 

Barbara Dreiling