Wildkräuter wieder entdecken
Vitamine aus Wald und Flur
Lange bereicherten Wildkräuter die tägliche Nahrung und linderten sogar manche Leiden. Das Wissen um den Mehrwert der Pflanzen ist jedoch in Vergessenheit geraten. Im Wald kann man die Naturapotheke heute noch kennenlernen.
Es lohnt der Blick auf das, was da blüht und sprießt. Und das vom Frühjahr bis in den Herbst. Jetzt im August etwa, kann man bei einem Spaziergang oder einer gezielten Kräuter- und Pflanzenwanderung Superfood mit Nachhaltigkeitseffekt entdecken. Statt Chia-Samen und Goji-Beeren aus fernen Ländern zu importieren, lassen sich die Früchte des Holunderbaumes entdecken und pflücken. Sie gelten wegen des hohen Vitamin-C-Gehaltes als das Superfood vor der regionalen Haustür. Ein Hinweis in eigener Sache: Wer die im Folgenden beschribenen Tippszur Selbstmedikation einsetzt, sollte vorher einen Arzt oder Apotheker fragen.
Das Gänseblümchen
Multifunktionalität bietet das kleine Gänseblümchen. Es ist zum einen verlässlicher Wetterindikator: Zeigt sich die Blume geschlossen, wird es bald regnen. Zum anderen lässt sich mit ein paar Gänseblümchen ein Salat nicht nur optisch, sondern auch aromatisch verfeinern. Nicht zuletzt wirkt das Marienblümchen oder die Marjenblome, wie die Pflanze auch genannt wird, bei Verstauchungen. Dazu muss die Blume aber zuvor für einige Zeit in Öl gelegt worden sein.
Das Johanniskraut
Gelb leuchtet im August der Italiener unter den Kräutern: das Sonnenlichtliebende Johanniskraut. Als wärmender Tee kann es gegen den Winterblues in der kalten Jahreszeit wirken. Und als sogenanntes Rot-Öl hilft es bei Sonnenbrand, kleineren Wunden und Verspannungen.
Dazu nimmt man von der Spitze der Pflanzen immer nur eine „heilende“ Handbreit Knospen nebst Blüte und bedeckt das in einem Glas mit Öl. Zuschrauben und für drei Wochen in den Schatten stellen. Zwischendurch kurz öffnen, damit die Restfeuchte der Pflanze entweichen kann und sich kein Schimmel bildet. „Immer wieder das Glas schütteln, damit die Blüten stets mit Öl im Kontakt sind“, empfiehlt der ausgebildete Heil- und Wildkräuterpädagoge Jürgen Roß. Sammler sollten sich jedoch vorher genau informieren und das Kraut auf keinen Fall mit dem giftigen Jacobskreuzkraut verwechseln, das dem Johanniskraut sehr ähnlich sieht.
Die Brennessel
Einen Boom erlebt im August auch der grüne Brennesselsamen. Getrocknet bietet er eine Vielzahl an Mineralstoffen, die der menschliche Körper braucht. Ein paar Teelöffel ins morgendliche Müsli oder in den Salat reichen. Weiterverfeinern lassen sich Kürbissuppen mit in Öl und Knoblauch gedünstetem Brennesselsamen.
Der Spitzwegerich
Ist man mit der Brennessel unangenehm in Berührung gekommen oder piesackt ein Insektenstich, hilft Spitzwegerich. Ein Blatt zusammengerollt und gepresst, träufelt man den austretenden Pflanzensaft wahlweise auch mit etwas Speichel auf die betreffende Stelle.
Kleingeschnitten und mit heißem Wasser übergossen, lässt sich nach ein paar Minuten der Tee abseihen. Er ist ein probater Hustenlöser. Der große Bruder des Spitzwegerichs ist der Breite Wegerich. Auch er hilft prima unterwegs, wenn man sich etwa eine Blase gelaufen hat. Zusammenrollen, Saft auspressen und auf die Stelle geben.
Die Scharfgarbe
Ein Klassiker unter den Heilpflanzen nicht nur im August ist die Schafgarbe. Ihre Blätter („Augenbrauen der Venus“) sind geschmacksreiche Zutaten im Salat. Noch auf Hildegard von Bingen geht Kundiges zurück, dass die Wundheilung bei einer Zahnoperation beschleunigt werden kann: Dazu werden Fenchelsamen zu einem Tee aufgekocht und abgeseiht. Dann drei Teelöffel pulverisierte Schafgarbe in die Flüssigkeit geben. Drei Tage vor und zehn Tage nach der Opera-
tion sollte das wiederholt werden.
Der Holunder
Im Grunde gehört der Holunder als sogenannter Apothekerbaum wegen seiner Vielseitigkeit an jedes Haus. Zwei Teelöffel frische oder getrocknete Blüten (Mai/Juni) können mit heißem Wasser zu einem Tee abgeseiht werden, der bei Erkältungen wirkt. Als Sirup mit Wasser gemixt, dient der Holunder als exquisiter Durstlöscher. Für laue Sommerabende dient der Holundersaft als Basiskomponente für einen erfrischenden Hugo. Geschätzt ist der Holler, wie die Holunderbeere in Süddeutschland genannt wird, wegen der Vitamine auch als Marmelade. Eine Holler-Suppe lässt sich beispielsweise mit Rote Bete als warme Mahlzeit oder Kaltschale zubereiten – ein Teller voller Energie.
Die Kornelkirsche
Ein wenig in Vergessenheit geraten, obschon sie in vielen Gärten wächst. Wem ist noch bekannt, dass man aus den Früchten Saft oder Marmelade herstellen kann? Aber auch aus den unreifen grünen Früchten lassen sich Oliven produzieren. Früher wusste man zudem, dass aus Blättern, Knospen und Rinde des Baumes Salbe hergestellt werden kann, die nicht nur bei Verletzungen sondern auch gegen Krampfadern wirkt.
Dieselben Zutaten können als Tee bei Gastritis, Fieber und Durchfallerkrankungen getrunken werden. Für den Smoothie dünstet und püriert man gut 250 Gramm der wirklich reifen und süßen Früchte und gibt einen Apfel und eine Banane mit rund 100 ml Wasser und dem Saft einer halben Zitrone dazu.
Tipps zum Sammeln
Erste Einblicke in die Vielfalt der Pflanzenwelt gibt es durch Führungen und Bücher. Gut prägen sich einem die Kräuter ein, wenn man sich zunächst nur auf eine Art konzentriert, rät Jürgen Roß. Durch feste Strecken und Rundwegen können Veränderungen beobachtet werden und man erkennt sie schneller wieder.
Kräuter und Pflanzen nicht im feuchten Zustand sammeln: Warten bis sie die Sonne am Morgen getrocknet hat. Niemals einen Standort vollständig „abernten“, sondern mit Augenmaß entnehmen. Empfehlenswert sind auch nicht Pflanzen zu nehmen, die an Straßen mit Autoverkehr oder an Feldern wachsen, die gespritzt werden.
Stefan Buchholz
Literaturtipps:
Margot Spohn u. a., Was blüht denn da? (Kosmosverlag), 19,99 Euro
Celia Nentwig, Hella Henckel, „Wildpflanzen: Genuss pur!“ (Bloom’s -Verlag), 24,90 Euro
Informationen, Kräuterwanderungen, Einführungen und Weiterbildung unter:
www.meller-wildkraut.com
www.phytaro.de
Zur Sache
Alljährlich am Fest „Mariä Himmelfahrt“ (15. August) findet in der katholischen Kirche seit Jahrhunderten das Ritual der Kräutersegnung (Kräuterweihe) statt. Hierbei werden unterschiedliche Kräuter zu Sträußen gebunden und dann zur Segnung bzw. Weihe gebracht. Schon seit frühester Zeit sind Kräuter und ihre heilende Wirkung für die Menschen aller Kulturen lebenswichtig. Außerdem wurden sie häufig als Geschenke des Himmels oder der Gottheit angesehen. Der Brauch der Kräutersegnung selbst geht auf eine alte Legende zurück, nach der die Jünger das Grab der Jungfrau Maria geöffnet hätten und dort statt ihres Leichnams Blüten und Kräuter vorgefunden haben. Erstmal wurde diese Tradition in der katholischen Kirche im neunten Jahrhundert erwähnt.