Von Amts wegen beerdigt
Wenn Menschen ohne Verwandte sterben, kümmern sich in Lübeck Gesundheitsamt, Kirchen und ein Bestatter um einen würdigen Abschied.
Sie heißen Brigitte, Karl-Heinz, Lisa, Horst, Uwe, Norbert, Ingo und Gretel. Einer wurde nur 56 Jahre alt, eine vollendete stolze 83 Lebensjahre. Es sind die Vornamen von Lübecker Bürgern, die in den vorangegangenen sechs bis acht Wochen verstorben sind. Ihre Urnen stehen vorn auf einem blauen Tuch in dem kleinen Andachtsraum des Bestattungsunternehmens Gebr. Müter in Lübeck. Es wird Psalm 139 gebetet und es gibt eine kurze Predigt, bevor für jeden einzelnen Verstorbenen eine Kerze angezündet und der vollständige Name und das Alter verlesen wird. Es sind die Namen jener Menschen ohne nahe Verwandte, für deren Bestattung die Stadt Lübeck zuständig ist.
Es hat sich nur eine kleine Trauergemeinde eingefunden: Pastor Peter Otto und Pastorin Inga Meißner (die sich mit zwei ev. Pastoren abwechselt) sehen sich regelmäßig bei diesen ökumenischen Trauerfeiern. Außerdem sind da noch zwei Frauen aus der katholischen Kirchengemeinde Herz Jesu, die ebenfalls oft zu diesen Andachten kommen, sowie drei Medienleute vom Erzbistum Hamburg.
Die Einzige, die eine persönliche Beziehung zu einem der acht Verstorbenen hatte, ist eine Frau, die ganz hinten sitzt. Sie hat ihren Partner verloren. Geheiratet hatten sie nicht und das war kein Problem – bis zur Beerdigung.
Denn die Beerdigung ist Sache der Verwandten. Darum zu kümmern haben sich, laut Bestattungsgesetz, Ehepartner, eingetragene Lebenspartner, leibliche und adoptierte Kinder, Eltern, Geschwister, Großeltern oder Enkelkinder und zwar in genau dieser Reihenfolge. Partner ohne Trauschein oder andere enge Angehörige ohne Verwandtschaftsgrad gehören zunächst einmal nicht dazu. Jedenfalls, solange sie nicht ein Erbe antreten, aus dessen Substanz heraus sich eine Beerdigung finanzieren ließe.
Und genau da wird es schwierig, wenn es außer gemeinsamer Erinnerungen nicht viel zu erben gibt. Denn oft gibt es Hinterbliebene, die zwar um Verstorbene trauern, die jedoch nicht das Geld haben, die Beerdigungskosten
zu übernehmen, zumal sie als Nicht-Verwandte nicht mit Zuschüssen des Staates rechnen können. Für solche Fälle gibt es die sogenannten „ordnungsrechtlichen Bestattungen“. Das klingt nach Amtsschimmel und mangelndem Mitgefühl, doch so ist es nicht. Die beiden großen Kirchen lassen die Verstorbenen bzw. deren Angehörige auch in so einer Situation nicht allein.
„Es ist in Lübeck schon immer Tradition gewesen, dass die konfessionell gebundenen Verstorbenen, bei denen es keine Angehörigen gibt, ausgesegnet werden“, erzählt Lars Discher vom Bestattungshaus. Bevor die Stadt Lübeck im Jahr 2012 die Durchführung aller ordnungsrechtlichen Bestattungen zentral an die Firma Gebr. Müter vergab, hatten die verschiedenen Bestatter die jeweiligen Gemeindepastoren angesprochen und es war nicht selbstverständlich, dass entferntere Angehörige und Freunde die Möglichkeit zum Abschied bekamen. Seit es die ökumenischen Trauerfeiern gibt, steht der Termin fest: am letzten Donnerstag eines Monats (Ausnahmen gibt es bei Feiertagen) wird in Lübeck um 16 Uhr dieser Toten gedacht. Wer will, kann dann einfach zum Bestattungshaus kommen und mitbeten.
So wie Silke Arp-Schlabe, die seit Jahren „so gut wie jedes Mal“ kommt. Für sie ist es selbstverständlich geworden, „diese Menschen, die ich nie gekannt habe“, wie sie sagt, ein wenig gedanklich zu begleiten. Sie wisse zwar nicht, wie die Verstorbenen darüber gedacht haben, aber: „Ich kann von mir aus nur sagen: Ich mache es so, wie ich es gerne hätte.“ Das Vaterunser als letztes Gebet auf dem Weg, das ist für Silke Arp-Schlabe dabei am wichtigsten.
Für Pastorin Meißner und Pastor Otto geht es nicht um eine Pflichtaufgabe. „Mir ist es total wichtig, dass jeder Christ in dieser Stadt sicher sein kann, mit dem Segen Gottes aus der Welt zu gehen“, sagt die Pastorin. Pastor Otto findet es „schön, dass wir die Möglichkeit haben, dass die Leute nicht einfach ‚verschwinden‘, sondern dass wir sie uns noch einmal namentlich ins Gedächtnis rufen.“ Dies beschränkt sich nicht auf die Andacht. „Die Verstorbenen werden auch noch einmal in ihrer Wohnortgemeinde vermeldet und in unsere Bücher eingetragen, so dass sie im Allerseelen-Gottesdienst namentlich auch noch einmal in Erinnerung gerufen werden“, so Otto. Ganz ähnlich wird es in den evangelischen Gemeinden gehandhabt, nur dass die Namen dort am Totensonntag verlesen werden.
Die Zahl der ordnungsrechtlich Bestatteten schwankt pro Monat zwischen drei und rund 20. Manchmal kommen viele Freunde dazu und ab und an werden spontan Reden auf die Verstorbenen gehalten – fast wie bei einer Feier im Familienkreis.
Text u. Foto: Marco Heinen