Debatte um wiederaufgestellten Marienaltar im Naumburger Dom
Weltkulturerbe in Gefahr?
Sein Werk ist Gegenstand der aktuellen Irritiationen: Der Leipziger Künstler Michael Triegel vor dem von ihm neu geschaffenen Mittelteil des Cranach-Altars im Naumburger Dom. Foto: epd/Rico Thumser |
Mit Unverständnis haben Vertreter der Evangelischen Landeskirche in Mitteldeutschland (EKM) und der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und zu Naumburg sowie der katholische Magdeburger Bischof Gerhard Feige auf die Kritik von Denkmalschützern an der Wiederaufstellung des Marienaltars im Westchor des Naumburger Doms reagiert. „Dieser Altar ist für die Gemeinde von evangelischem und katholischem Bischof an diesem Ort gewidmet worden. Das kann man jetzt nicht einfach so rückgängig machen“, sagte der evangelische Magdeburger Regionalbischof, Johann Schneider. Es sei daher unwahrscheinlich, dass die Installation nach dem 4. Dezember wieder abgebaut werde.
Bis zu diesem Datum soll der Altar im Westchor des Naumburger Doms gezeigt werden. Er wurde am 3. Juli von Bischof Feige und dem evangelischen Landesbischof Friedrich Kramer in einer ökumenischen Vesper geweiht. Der Altar wurde ab 1517 von Lucas Cranach d.Ä. geschaffen. Das Mittelretabel, das die Gottesmutter Maria zeigt, wurde im Zuge der Auseinandersetzungen der Reformation 1541 gewaltsam zerstört. Für die Wiederaufstellung hat der Leipziger Künstler Michael Triegel daher ein neues Mittelteil geschaffen. Es zeigt Maria mit dem Kind auf der Vorderseite, während auf der Rückwand der auferstandene Jesus abgebildet ist.
Altar stört die Sicht auf die Stifterfiguren
Doch diese Aktion stößt bei Denkmalschützern auf deutliche Kritik, die womöglich sogar den Status des Domes als Unesco-Weltkulturerbe gefährden könnte. Die Unesco-Beratungsgesellschaft Icomos International hatte in einem Gutachten bemängelt, dass der wiederaufgestellte Altar die Sichtachsen auf die zwölf Stifterfiguren im Westchor störe.
Die Vereinigten Domstifter weisen diese Kritik deutlich zurück. Es werde nichts in der Substanz verletzt, betonte Stiftsdirektor Holger Kunde. „Wir haben in unserem Schreiben an die Unesco erklärt, dass wir eigentlich einen älteren Zustand wiederherstellen, auch was die Sichtbeziehungen betrifft.“ Man habe hier nichts Neues geschaffen. Dem pflichtete auch Domdechantin Karin von Welck bei. „Uta von Naumburg guckt jetzt nicht mehr ins Leere, sondern ist jetzt wieder auf den Altar ausgerichtet.“ Sie erinnere sich an einen Besucher, der ihr einmal gesagt habe: „Mein Neffe hat immer gefragt, wohin schaut die Uta eigentlich?“ Die Statue der Uta von Naumburg ist eine der zwölf Stifterfiguren im Westchor des Domes.
Einer Stellungnahme zufolge, die Ende vergangener Woche veröffentlicht wurde, haben die Domstifter Anfang März das Unesco-Welterbezentrum in Paris über ihren Plan unterrichtet, den Altar befristet auf drei Jahre aufzustellen. Danach sollte eine gemeinsame Evaluierung des Projekts „Triegel trifft Cranach“ gemeinsam mit Icomos stattfinden. Auf Wunsch des Landes Sachsen-Anhalt habe man nun die Dauer der temporären Ausstellung bis zum 4. Dezember 2022 verkürzt.
Der Naumburger Dom ist seit 2018 UNESCO-Weltkulturerbe. Er zählt zu den bedeutendsten Kathedralbauten des Hochmittelalters. Foto: epd/Steffen Schellhorn |
In ihrer Stellungnahme weisen die Domstifter auch darauf hin, dass der Marienaltar „lange vor der Entstehung von Denkmalschutzbehörden“ für den liturgischen Dienst im Dom geschaffen worden sei. Auch das jetzt durch Michael Triegel wiederhergestellte Mittelretabel diene dem Gottesdienst sowie weiteren liturgischen Handlungen. Die Domstifter verweisen zudem auf den Vertrag der Evangelischen Landeskirchen mit Sachsen-Anhalt von 1993, demzufolge die Denkmalbehörden verpflichtet sind, „die kultischen und seelsorglichen Belange“ vorrangig zu beachten. Dem pflichtet auch Landesbischof Kramer bei: „Der Naumburger Dom ist ein Gottesdienstraum. Er hat dem Gottesdienst und den Bedürfnissen dort zu dienen“, so Kramer. „Bei dem Altar handelt es sich nicht um unverrückbare Einbauten, sondern um einen liturgischen Gegenstand.“ Den Weltkulturerbe-Titel sehe er nicht in Gefahr, betonte er.
Ökumenische Dimension des Altarprojektes
Darüber hinaus unterstreichen die Vereinigten Domstifter die herausragende ökumenische Dimension des Projekts. Von Anfang an habe man diesen Aspekt verfolgt und versucht, breite Unterstützung dafür zu bekommen, so Stiftsdirektor Kunde. So hätten sowohl der Lutherische Weltbund als auch der Päpstliche Rat für die Einheit der Christen das Altarprojekt unterstützt – ebenso auch die beiden Bischöfe in Magdeburg. „Es hat alle überzeugt, dass eine solche bilderstürmerische Aktion, wie sie 1541 vollzogen worden ist, nicht das letzte Wort der Geschichte sein kann“, so Kunde. Die Patronin des Westchors, Maria, sei damals gewaltsam entfernt worden. „Wir haben versucht, sie mit dieser Aktion zurückzuholen.“ Gerade in Zeiten, in denen beide Kirchen gesellschaftlich unter Druck geraten seien, sei es höchste Zeit, „dass wir den Schritt zur wahren Ökumene gehen“, sagte der Stiftsdirektor. Dieser Altar sei ein wichtiges Symbol dafür.
Dem pflichtet auch Propst Schneider bei: Die Wiederaufstellung des Marienaltars diene dazu, die in der Reformationszeit aufgebrochenen Wunden symbolisch zu heilen. Die gemeinsame Altarweihe durch die beiden Bischöfe sei Ausdruck des Heilungsprozesses. Auch Bischof Gerhard Feige betrachtet die Wiederherstellung des Marienaltars als „ökumenisch höchst bedeutsames Zeichen“ und als „Wiedergutmachung“ der gewaltsamen Zerstörung vor fast 500 Jahren. „Ich bin sehr dankbar dafür, so selbstverständlich daran beteiligt worden zu sein“, lobte Feige die Zusammenarbeit.
Damit, so Bischof Feige, zeige sich der Westchor „als Gesamtkunstwerk wieder so, wie er in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert erlebt werden konnte.“ Es handle sich seiner Meinung nach nicht um einen „grobschlächtigen modernisierenden Eingriff in den sakralen Raum“, sondern eine „sehr feinsinnige Rückinterpretation und zeitgemäße Integration.“ Außerdem werde deutlich, dass der Naumburger Dom kein Skulpturenmuseum sei, sondern ein lebendiges Gotteshaus mit einer fast tausendjährigen liturgischen Tradition, so Feige weiter. Dabei könnten Christen „auch neuere Erkenntnisse und Bedürfnisse gestalterisch umsetzen“, betonte der Bischof.
Von Oliver Gierens