Die Abtei St. Hildegard in Rüdesheim als Ruheort

Wenn das Joch drückt

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„Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid!“, sagt Jesus. Dass gerade sie „Ruhe finden für ihre Seelen“, dabei hilft die Benediktinerin Philippa Rath. Und ein Ruheort: die Abtei St. Hildegard in Rüdesheim.

Foto: kna/Julia Steinbrecht
Ein friedlicher Ort: Die Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen Foto: kna/Julia Steinbrecht

Rosensträucher säumen den Weg zur Klosterkirche und verströmen sommerlichen Duft. Hocherhaben steht die mächtige Kirche über dem Rheintal. Weinberge bedecken den Hügel. Der Himmel strahlt blau, nachdem sich noch vor einer knappen Stunde dunkle Gewitterwolken heftig ausgeschüttet haben. Ein Bild fast wie ein Kitschgemälde. Die Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen ist ein Ort mit hoher Anziehungskraft. Für viele eine Oase der Ruhe, so wie Jesus im Evangelium verspricht: „Ihr werdet Ruhe finden für eure Seele.“ 

Doch der Ort allein ist es nicht. Es sind auch die Ordensfrauen hier, die die biblische Verheißung lebendig werden lassen. Eine von ihnen ist Schwester Philippa Rath. Die 64 Jahre alte Theologin ist seit 30 Jahren Benediktinerin und eine der Schwestern, die Besucherinnen und Besucher begleiten. „Ich sehe mich als Werkzeug“, sagt Schwester Philippa. Sie stellt sich in den Dienst Gottes, um „mühselig und beladenen“ Menschen zu helfen, ihre Lasten zu tragen. 

„Kreuzwege gehören zum Leben“

In den vergangenen Monaten hat die Ordensfrau in kirchlichen Kreisen einige Prominenz erlangt. Sie ist Delegierte des Synodalen Weges und hat dort in schonungsloser Offenheit von Menschen berichtet, denen die Kirche Angst macht, die unter der Kirche leiden. Sie hat Erfahrungen mit Menschen, die unter der Last ihres Lebens leiden, die ein Joch tragen müssen, wie Jesu in dem Bibelvers sagt. 

Dieses Bild aus der Landwirtschaft ist für die meisten Menschen heute fremd. Und dennoch: „Man sieht es Menschen oft schon an, wenn sie ein Joch drückt“, sagt Schwester Philippa. Krumm und gebeugt gingen viele. „Wenn die Last leichter wird, ändert sich oft auch die Körperhaltung.“

Aber wie geht das, die Last wegzubekommen? Zunächst einmal müsse man sich seinen Lasten und Ängsten stellen, sagt die Ordensfrau. „Kreuzwege gehören zum Leben. Ich muss stehen bleiben und meiner Angst ins Gesicht schauen, sie konkret benennen.“ Darüber mit anderen Menschen zu sprechen, ist ein erster Schritt, um Ruhe für die Seele zu finden. „Das heißt nicht, dass die Angst weg ist. Aber ich kann lernen, damit zu leben.“ Und: „Geteilte Last ist halbe Last“, sagt Schwester Philippa. 

Ihr selbst helfe der Blick aufs Kreuz. Denn auch Jesus musste Leid ertragen. Ein Gott, der die tiefsten und schlimmsten Erfahrungen der Menschen teilt, ist für Schwester Philippa ein tröstliches Bild. Im Gebet, etwa im Rosenkranz oder im Kreuzweg könne man den leidenden Jesus erfahren. „Wenn es mir gelingt, meine eigenen Lasten mit dem Kreuz Jesu in Verbindung zu bringen, ist ein wichtiger Schritt getan“, sagt sie. 

Eine Leidensmystik, die das Leid geradezu sucht – als Strafe für eigene Schuld oder als göttliche Lehrstunde –, ist ihr aber fremd. Wenn Schwester Philippa von der „Teilhabe am Kreuz Jesu“ spricht, dann meint sie die Hoffnung, dass Gott jedem Leidenden ganz nahe ist und ihn nicht alleinlässt: „Er geht mit uns durch den Karfreitag hindurch. Das Kreuz ist nicht das Letzte. Es wird getragen von der Hoffnung auf die Auferstehung, vom Licht am Ende aller Dunkelheiten.“ Diese Gewissheit will Schwester Philippa den Menschen vermitteln und sie so die Verheißung dieses Sonntagsevangeliums spüren lassen. 

Aber ist das nicht alles ein psychologischer Trick? Fromme Reden, um Probleme und Leid besser bestehen zu können? „Mir hilft diese Zusage Gottes, und ich kenne viele, denen es genauso geht“, sagt die Benediktinerin überzeugt. Sie verweist auch noch auf eine andere menschliche Erfahrung: Oft sind es schwerkranke Menschen, die ihren Angehörigen und Begleitern Kraft geben. 

Vor wenigen Wochen musste Schwester Philippa ihre eigene Schwester, die zugleich ihre Mitschwester im Orden war, im Alter von nur 68 Jahren zu Grabe tragen. Sie war lange Jahre demenzkrank, und Schwester Philippa begleitete sie. „Trotz ihrer schweren Krankheit war sie mein Fels in der Brandung, meine Kraftquelle.“ Wieder zieht die Benediktinerin eine Parallele zu Jesus: Selbst auf seinem Kreuzweg hat er Menschen noch Trost und Kraft gegeben, etwa den weinenden Frauen, denen er auf seinem Leidensweg begegnet.

Das Evangelium dieses Sonntags ist für Schwester Philippa „die Zusage Gottes, dass wir ihm unsere Last anvertrauen können“. In der Zeit ihrer persönlichen Trauer erfährt sie ganz konkret, was das heißt, wenn nämlich andere ihre Trauer teilen, sich ihr zuwenden und die Last leichter machen.

„Christus schaut mich an und ich ihn“

Foto: Ulrich Waschki
Die Benediktinerin Sr. Philippa Rath
Foto: Ulrich Waschki

Doch im Evangelium ist es ja Jesus selbst, der den Menschen Hilfe verspricht. „Kommt her zu mir“, steht da, „ich selbst will euch erquicken“. Dort steht eben nicht „kommt zu meinen Helfern, sie werden euch erquicken“. Genau deswegen ist es Schwester Philippa so wichtig, in der Begleitung von Menschen diese zu Jesus zu führen. „Ich kann und darf mich von Gott begleiten lassen“, das will sie ihren Gesprächspartnern zeigen. 

Sie rät ihnen, sich in ihrem Umfeld einen Rückzugsort zu suchen, um das Gespräch mit Gott zu pflegen. Aber nicht nur einmal, nicht nur dann, wenn die Not am größten ist, sondern regelmäßig. „Zur Lebensbewältigung ist es wichtig, eine geregelte Beziehung nach oben zu pflegen“, sagt Philippa Rath.

Ein guter Ort dafür ist die Abtei, in der Schwester Philippa lebt. Besuchern rät sie, sich in die Kirche zu setzen. In der Apsis über dem Altar ist ein großes Christusmosaik. Jesus in weißem Gewand, mit ausgebreiteten Armen, die Augen auf jeden einzelnen Menschen in der Kirche gerichtet. Ein Ort, um Ruhe zu finden für die Seele. „Ich setze mich hin und lasse mich von Christus anschauen. Er schaut mich an, und ich schaue ihn an“, beschreibt Schwester Philippa. Wer das tut, sieht einen Christus, der jeden in die Arme nimmt. „Er ist ein Gott, der jeden bedingungslos liebt.“ So geliebt können Menschen Kraft schöpfen, ihr Leben meistern und endlich Ruhe finden für ihre Seele.

Ulrich Waschki