Michael Kunze betreibt Bautzner „Antiquariat zum Dom“

Wertvolles weitertragen

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Seit gut einem Jahr verdient Michael Kunze sein Brot nicht mehr als Journalist, sondern als Antiquar. Mit seinem Bautzner „Antiquariat zum Dom“ hat der Katholik einen Kommunikationsort geschaffen, an dem gesellschaftliche Umbrüche anschaulich werden.

Rund 35 000 Bücher umfassen Michael Kunzes Bestände im Antiquariat zum Dom, dazu Bilder, Schallplatten und Postkarten.    Fotos: Dorothee Wanzek

Die Familie wünscht sich einen großen Flachbildfernseher, doch das Bücherregal ist im Weg. Michael Kunzes Antiquariats-Bestände speisen sich nicht nur aus Nachlässen. Zunehmend bekommt er von Kunden Buchbestände angeboten, die von schwindender Wertschätzung des Kulturguts Buch zeugen.
In der Religionsabteilung seines Bautzner Antiquariats sammeln sich Bibeln. Bei manchen zeugen intensive Gebrauchsspuren davon, dass sie über Jahrzehnte hinweg bedeutsam waren. Zuweilen sind Daten aus der Familiengeschichte der ehemaligen Besitzer eingetragen, zurück bis ins 19. Jahrhundert. „Wenn Sie das Buch nicht nehmen, werfe ich es weg“, hört der Antiquar nun immer wieder. Eine Bibel wegzuwerfen, bringt der überzeugte Christ nicht übers Herz, obwohl er weiß, dass sich sein Lebensunterhalt mit Bibeln nicht sichern lässt.
Einen 20-bändigen West-Brockhaus mit Goldschnitt würde er dagegen kein weiteres Mal in seinen Laden stellen. „Anfang der 1970er Jahre war das ein unvorstellbarer Schatz; in der DDR hat man viele tausend Mark dafür bezahlt, heute will den niemand mehr haben“, stellt Michael Kunze nüchtern fest.

„Stöbern kommt aus der Mode“
Viele seiner Kunden kennen den gebürtigen Westsachsen als „den katholischen Antiquar“. Würde er nur mit alten Büchern und Kunstwerken handeln, die seine eigenen Interessenschwerpunkte Geschichte, Theologie und Politikwissenschaft umfassen, hätte er allerdings in einer Kleinstadt wie Bautzen nicht die geringste Überlebenschance. Er hat im Angebot, was gefragt ist: Regionalgeschichte steht zum Beispiel hoch im Kurs, historische Reiseberichte, Kunstbände mit regionalen Motiven, Technik und Sport, literarische Klassiker, Kochrezepte, Vogelkunde ... Stöbern sei ein wenig aus der Mode gekommen, konstatiert der 40-Jährige, viele betreten die ehemalige Bankfiliale in der Nähe des Doms mit einer Suchliste.
Dass sich Inhalte mit der eigenen Überzeugung decken, ist kein Kriterium bei Michael Kunzes Entscheidung, ob er Bücher ankauft oder Schenkungen annimmt. Die Erinnerungen eines Wehrmachtsgenerals etwa hat er im Bestand, weil er darin einen Beitrag zur historischen Meinungsbildung sieht. Auch im Bereich Religion legt er Wert darauf, eine große Bandbreite an theologischen Positionen und spiritueller Ausrichtung abzudecken.
An seine Schmerzgrenze gelangt er bei pornografischer Literatur. Ein Buch über Rassekunde hat er an einen Völkerkundler in seinem Bekanntenkreis weitergegeben. „So etwas zu verkaufen, verträgt sich nicht mit meinem Glauben“, stellt er klar. Ein Birnenholzkreuz, das der frühere Werdauer Pfarrer Werner Klose ihm einst schenkte, hängt unverkäuflich an der Wand, als sichtbares Bekenntnis seines Glaubens.
Seine Meinungen und seine Glaubensüberzeugung trägt er als Verkäufer nicht vor sich her. „Ich bin kein Erzieher. Wenn ich gefragt werde, rede ich den Kunden aber nicht nach dem Mund, sondern stehe klar zu meiner Haltung“, erläutert er.
Eher und ausgiebiger als beim Verkauf neuer Bücher entspinnen sich in der ruhigen Atmosphäre des Antiquariats Gespräche mit den Kunden. Mancher erzählt die persönliche Geschichte, die hinter der Suche nach einem Buch steckt. Ein Kunde, der nach einem Buch von Bischof Spülbeck suchte, ließ zum Beispiel einfließen, dass der seinen Vater gefirmt habe. Er freute sich zu erfahren, dass auch Michael Kunzes Vater ein Spülbeck-Firmling war.
„Wie können Sie das bloß lesen!?“, ist mitunter aus der Belletristik-Ecke zu hören. Kaufinteressenten mit der eigenen Meinung zum ausgewählten Buch zu konfrontieren, ist für Antiquaritas-Kunden kein Tabu.
Auch politisch prallen zwischen den Regalen Gegensätze aufeinander. Hier sind ehemalige Häftlinge des Bautzner Stasi-Gefängnisses anzutreffen, aber auch Männer, die das DDR-System als Offiziere der Nationalen Volksarmee von der anderen Seite kannten.
Dass in seinem Geschäft um Geschichtsdeutungen gerungen wird, dass gesellschaftliche Spannungen und Umbrüche hier so deutlich zutage treten, macht die Arbeit im Antiquariat für Michael Kunze besonders spannend. Immer wieder merkt er dabei, dass es zwischen Sorben und Deutschen, Impfgegnern und -befürwortern, Rechten und Linken, Putinverstehern und Kriegsgegnern zwar Spannungen gibt, dass viele Trennlinien aber weniger scharf sind als vermutet.

Gern holt Michael Kunze fachlichen Rat bei Arnd Keller, der 26 Jahre lang selbst ein Antiquariat in Bautzen betrieb.


Überrascht hat ihn beispielsweise, dass Kunden aus dem nahegelegenen Polen und Tschechien sich für Heimatkundliches aus Schlesien und Böhmen aus der Zeit vor 1945 interessieren. „Wir möchten den Deutschen, die auf unseren Friedhöfen die Gräber ihrer Vorfahren suchen, erzählen können, wie ihre Verwandten hier gelebt haben“, begründen sie ihr Interesse.und sind dabei selbst neugierig, wie die früheren Bewohner der Region damals gedacht haben.
Mit Lesungen und anderen kulturellen Veranstaltungen befördert er den Austausch gezielt.

Lukrative Sammelleidenschaft
Sein Überleben sichern kann er hingegen weder mit den Lesungen noch mit den Lesern. Geld verdienen lasse sich in Antiquariaten mittlerweile vor allem mit Sammlern, die für die Objekte ihrer Sammelleidenschaft bereit sind, gut zu zahlen, zum Beispiel für aufwendig illustrierte historische Reiseerzählungen oder bestimmte Buchreihen. Auch Sammler kirchlicher Gesang- und Gebetbücher sind Michael Kunze schon untergekommen.
Wenn er ausgefallene Sammlerwünsche nicht selbst erfüllen kann, hört er sich bei Kollegen um oder zieht das Internet zurate. Mit einigem Aufwand gelang es ihm neulich, die jahrelange Suche eines Priesters nach einem vergriffenen Marienmessbuch mitsamt Fürbittbuch zum erfolgreichen Abschluss zu bringen – hier ging es allerdings nicht um Sammellust, sondern um eine liturgische Nutzung.
Die Christen unter seinen Kunden legen ihr Augenmerk in der Mehrzahl auf Bücher, die sie in ihrem Glauben stärken. Biografien gehen gut, aber auch klassische Erbauungsliteratur, etwa von Teresa von Avila, Franz von Assisi oder Dietrich Bonhoeffer. „Wer heute noch bewusst Christ ist, der will nicht immerzu mit Religionskritik konfrontiert werden“, glaubt der Antiquar.

Antiquariat zum Dom: An den Fleischbänken 3, 02625 Bautzen; 0 35 91/ 5 79 20 52

Von Dorothee Wanzek

MEINUNG
Ein Vergleich
Manches, was den Antiquar Michael Kunze besorgt, macht auch der Kirche zu schaffen: Es ist nicht mehr selbstverständlich, zu hüten und weiterzutragen, was den Vorfahren heilig war. Es scheint aus der Mode zu kommen, sich ohne festgefügte Erwartungen und Vorgaben auf offene Suchbewegungen einzulassen.
Dorothee Wanzek

Michael Kunze lamentiert nicht, er nutzt seine Spielräume. Während man in Kirchengemeinden bei spärlicher werdenden Sprechzeiten zunehmend vor verschlossenen Türen steht, hat man im Antiquariat gute Aussichten, ins Gespräch zu kommen: über Gott und die Welt, über Fragen, die einen zutiefst bewegen – auch wenn man eigentlich nur nach einem Buch Ausschau halten wollte. Dabei kommt man kaum vorbei an anderen Kunden, die konträre Ansichten vertreten.
Die Kirchen haben in den vergangenen Jahren große Konzepte entwickelt und einiges an Geld dafür ausgegeben, Orte zu etablieren, die Sinn- und Glaubensgespräche fördern und Menschen zueinander bringen. Die Erfahrungen von Christen wahrzunehmen, die aus eigenen Stücken in der gleichen Richtung unterwegs sind, könnte für die kirchlichen Konzeptentwickler durchaus inspirierend sein.