"Wir müssen reden!"

Wie es sich anfühlt, da vorn zu stehen

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„Wir müssen reden!“ heißt die Jahresserie 2019. „Hör doch auf zu predigen!“ heißt es in der Alltagssprache, wenn sich jemand vor zu viel guten Ratschlägen schützen will. Ist die (Sonntags-)predigt ein Monolog ohne Echo? Fragen an den Priester und Prediger Simon Schade aus Dillenburg. Von Ruth Lehnen.

 

„Keiner ist alleine und zum Einzelkämpfer berufen.“ Das gab Simon Schade im vergangenen Jahr Messdienern mit, die bei der internationalen Ministrantenwallfahrt nach Rom dabei waren. Er predigte in der Kirche Sant Ignazio di Loyola.

Was macht Ihnen Spaß am Predigen, und was macht die größten Schwierigkeiten? 

Für mich persönlich ist es am schönsten beim Predigen, wenn ich merke, dass die Leute, die zuhören, bei den Gedanken mitgehen können. Wenn ich spüre, dass sie etwas mitnehmen. Ich predige ja, um den Menschen etwas von dem mitzugeben, was mir selbst Freude und Hoffnung im Glauben gibt. Und damit sind wir auch schon bei der größten Schwierigkeit, denn es ist gar nicht so leicht, die Menschen dort abzuholen, wo sie selbst gerade grübeln. 

Wie oft predigen Sie? 

Häufig. Ich predige in jeder Werktags-Messe, weil ich es manchmal sehr schwer finde, ein Evangelium unkommentiert einfach stehenzulassen. Dann gibt es Wochenenden, an denen ich mit Hochzeit, Taufe und Sonntagsgottesdienst sehr unterschiedliche Predigten zu halten habe. 

Wie haben Sie gelernt, zu predigen? 

Die ersten vorsichtigen Versuche gab es bei den Morgengebeten im Internat. Ich war acht Jahre lang auf dem Musischen Internat der Diözese Limburg. Da war man als Schüler der Oberstufe alle paar Wochen einmal dran, den anderen einen Gedanken für den Tag mit auf den Weg zu geben. Natürlich waren in dieser Zeit besonders die Predigten von Franz Kamphaus beeindruckend. 

Im Studium habe ich vor allem von Pater Friedhelm Mennekes gelernt, einem sehr kritischen Jesuiten, bei dem ich auch später in Homiletik meine Diplomarbeit zum Thema „Taufe als Event“ geschrieben habe. Er war für uns Studenten so etwas wie Dieter Bohlen in seiner Show: Seine Kommentare waren gefürchtet und berüchtigt. Aber ich empfand das persönlich als sehr gute Herausforderung für mich. Und dann gab es auch genügend negative Beispiele, die einem in der eigenen Entwicklung begegnet sind. Da habe ich mir gesagt: Das willst du auf gar keinen Fall so machen. 

Was geht denn gar nicht beim Predigen? 

Langeweile – das geht gar nicht. Ich kann nicht von einer frohen Botschaft erzählen und dabei vor den Leuten stehen wie die Lethargie in Person. Das braucht schon Feuer. 

Was möchten Sie in erster Linie mit einer Predigt erreichen? 

Für mich ist eine Predigt vor allem dann gelungen, wenn ich eine Brücke zwischen der Botschaft Jesu und dem Leben der Menschen schlagen konnte. Wenn die Zuhörer verstehen, was hinter dem Text steht und ihnen ein Zugang eröffnet wird, für das eigene Leben etwas mitzunehmen. 

Bekommen Sie Rückmeldungen dazu, ob Sie das erreichen? 

In einem normalen Gottesdienst ist das natürlich schwierig – aber Gott sei Dank gibt es kritische Zuhörer wie Eltern und Freunde, die einem manchmal sehr deutlich sagen: Das war gut oder das war nichts! Beides ist wichtig, Lob ermutigt, und Kritik verbessert. 

Wie bereiten Sie sich vor? 

Das hängt von der Predigt ab. Für einen normalen Sonntagsgottesdienst schaue ich mir am Dienstagmorgen die Texte für den kommenden Sonntag an. Dann gehe ich bis Freitag damit schwanger und schaue, wo mir zu dem Thema im Alltag etwas begegnet. Mein Freitagvormittag besteht darin, zur entsprechenden Bibelstelle Kommentare zu lesen. Mir ist wichtig, dass die Leute die Hintergründe erfahren, die in die Stelle mit hineinspielen, und einen Schlüssel bekommen, was historisch und theologisch hier gesagt wird. Denn dieser Hintergrund vertieft das Glaubenswissen. 

Dies verbinde ich mit meinen eigenen Eindrücken und halte die Predigt in Stichworten fest. Meistens nehme ich am Freitag eine kurze Version meiner Predigt auf Video auf, und schaue es mir selbst noch mal an, ob das so okay ist. Wenn das Ergebnis in Ordnung ist, stelle ich es bei Facebook und Youtube online. Damit bin ich zwar nicht der Einzige, aber doch ein Exot in meiner Zunft. 

Wenn man sagt, jemand „predige einem“, ist das ja nicht gerade positiv besetzt. Wie sehen Sie das? Ist Predigen als Monolog des einzelnen Klerikers out? 

Natürlich ist es viel spannender, in einen Dialog einzutreten, aber das ist in einem Gottesdienst schwierig. Für mich ist deswegen auch das Video so wichtig, da bekomme ich online Rückmeldungen und Gedanken dazu, die auch manchmal die Predigt am Sonntag mit beeinflussen. 

Wenn ich mir anschaue, wie viele Blogger und Youtuber es gibt, ist die Form des Monologs gar nicht so out, sondern eher topaktuell. Die Frage ist nur, wie die Menschen dann darüber ins Gespräch kommen. Ich versuche, mir nach dem Gottesdienst immer noch ein wenig Zeit zu nehmen, falls es Rückmeldungen gibt. 

Haben Sie Vorbilder beim Predigen? 

Ich mag gute Geschichtenerzähler, die so berichten und erzählen, dass es einen anrührt, und dass man etwas mit auf den Weg nimmt. 

Gibt es eine Länge für die Predigt, die nicht unter- oder überschritten werden sollte? 

Im Prinzip kann eine gute Predigt, wenn sie die Spannung aufrecht erhält, auch mal 15 Minuten dauern. Normalerweise predige ich so zwischen sieben und acht Minuten. Spätestens sollte man aufhören, wenn man anfängt, um das Thema zu kreisen, anstatt auf den Punkt zu kommen. 

Wird über Predigten viel geredet, unter Priestern, mit Freunden? Oder sind Sie da allein auf weiter Flur? 

Dass untereinander über Predigten viel geredet wird, das kann ich nicht sagen – aber es kommt immer mal wieder vor. Vor allem in meiner Zeit als Kaplan war es noch häufiger, wenn man mit anderen Priestern zusammen am Frühstückstisch gesessen hat. 

Was machen Sie, wenn Ihnen überhaupt nichts einfällt? 

Dann geht es erst mal zum Sport, denn wenn der Kopf blockiert ist, gibt es nichts Besseres, als sich erst einmal auszupowern. Ich gehe ins Fitnessstudio um die Ecke und regelmäßig ins Training zum Inlinehockey und Eishockey. 

Wie wichtig ist die Körpersprache beim Predigen? 

Die fällt meist eher ins Gewicht, wenn es komplett schiefgeht: Wenn der Prediger sich mal in der Geste vergreift oder eine falsche Miene macht. Ich erinnere mich an meine Predigtausbildung im Studium, damals gab es an der Haltung oft sehr deutliche Kritik („So steht jemand in der Disco, der ein Mädchen anmacht, aber niemand beim Predigen“ etc...) Später in der Ausbildung für die Priester war alles etwas braver und weniger körperbetont. Aber ich glaube, die Körpersprache ist schon wichtig, weil sie hilft, dem Gesagten mehr Substanz zu geben. 

Kommt es auch auf das passende Gewand an beim Predigen? 

Normalerweise würde ich sagen, es hat eine völlig untergeordnete Rolle, denn wenn wir Christus verkünden, verkünden wir jemanden, der nicht auf ein bestimmtes Gewand geachtet hat. Natürlich gibt es aber auch Situationen, in denen das Gewand eine Hilfe sein kann, um ernst genommen zu werden. Das klingt jetzt relativ banal, aber als junger Priester musste ich mir oft anhören, ich sei rein optisch nur ein besserer Messdiener, zumindest, bis ich das Gewand angezogen hatte. 

Ist es ein Problem für Sie, dass Frauen/Laien nicht predigen dürfen? 

Ja, das ist für mich ein großes Problem. Wir Menschen in all unserer Vielfalt haben alle etwas im Glauben zu sagen, und deswegen ist das Glaubenszeugnis eines jeden Menschen kostbar und wertvoll. Und ich glaube, dass eine Aufschlüsselung des Evangeliums aus vielen Perspektiven, besonders auch aus einer weiblichen, ein großer Schatz ist, den wir nicht verstecken sollten.

Ruth Lehnen