Über die Frage des Mose und viele Antworten
"Wie heißt du, Gott?"
Mose begegnet Gott im brennenden Dornbusch. Dass er ihn wie einen neuen Kollegen nach seinem Namen fragt, klingt ungewöhnlich. Damals war es aber die normalste Frage der Welt. Und sie bewegt uns noch heute.
Von Susanne Haverkamp
Als Mose lebte, hatten die Götter Namen. Auch in Ägypten, wohin es das Volk Israel verschlagen hatte. Der Sonnengott zum Beispiel hieß Ra. Der Gott des Totenreiches Osiris. Und der Pharao galt als Verkörperung des Gottes Horus. Das Anliegen des Mose ist deshalb völlig verständlich: „Wenn ich den Israeliten sage: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen sagen?“ Die Antwort Gottes ist revolutionär, denn er nennt keinen der üblichen Namen. Er nennt überhaupt keinen richtigen Namen. Er sagt: „Ich heiße: JHWH.“
JHWH – Ich bin (da)
Die hebräische Buchstabenkombination JHWH für Gott hat in der Lesung aus dem Buch Exodus ihren ersten Auftritt; danach kommt sie im Alten Testament noch fast 7000-mal vor. Ausgesprochen werden darf der Name von Juden nicht. Wer aus der Bibel vorliest, sagt an diesen Stellen „Adonaj“ oder „Edonaj“ (Herr).
Im ersten Jahrhundert nach Christus kam es in Gebrauch, die hebräische Konsonantensprache mit Vokalzeichen zu versehen, damit alle alle Worte gleich aussprechen. Auch vor dem unaussprechlichen JHWH machte diese Neuerung keinen Halt und man stellte zwischen die Konsonanten die Vokale aus Adonaj/Edonaj, also a/e und o. Herauskam JaHWeH – seit der Zeit der Kirchenväter bei den Christen die bekannteste Aussprache. Aber auch JeHoWaH wurde populär, etwa bei den „Zeugen Jehovas“.
Allerdings ist JHWH eben kein Eigenname wie Ra oder Baal und im Kern geht es auch nicht darum, wie man ihn ausspricht, wenn man das möchte. Vielmehr beschreibt sich Gott in JHWH selbst; er teilt darin mit, wie er ist, was sein innerstes Wesen ist. Zumindest versucht er es, denn wie genau diese Beschreibung in Worte zu fassen ist, ist umstritten. Auf jeden Fall steckt das Verb „hjh“ (sein) drin. Experten sagen, dass dieses Verb zu verstehen ist im Sinne von „da sein“ oder auch „da sein für“ und „wirksam sein für“. In Anlehnung daran stand in der alten Einheitsübersetzung an dieser Stelle: „Ich bin der Ich-bin-da“. Zu verstehen ist das wohl als Versprechen Gottes: Was immer passiert, ich bin da! Und dass ich da bin für dich, ist mein innerstes Wesen. Ein schöner Gedanke.
Ab etwa 250 vor Christus passierte etwas, das auf das weitere Verständnis der Bibel entscheidenden Einfluss hatte: Juden aus dem hellenistischen Kulturraum begannen, die hebräische Bibel ins Griechische zu übersetzen. Um 100 vor Christus war der größte Teil der Arbeit erledigt und das neue Werk, die sogenannte Septuaginta, verbreitete sich. Für die christliche Theologie war sie jahrhundertelang die einzige Quelle für alttestamentliche Texte; Hebräisch zu lernen, kam für christliche Theologen erst in neuester Zeit infrage.
Wer sich mit Literatur auskennt, weiß: Übersetzen heißt immer auch interpretieren. Das gilt umso mehr für eine so komplizierte und uneindeutige Sprache wie Hebräisch. Womit wir bei JHWH sind. Denn die philosophisch geschulten Griechen verstanden die Buchstabenkombination etwas anders: „Ich bin der Ich-bin“. Ein kleiner, aber feiner Unterschied: Der „Ich-bin“ steht für sich, er könnte sich selbst genügen. Er ist einfach – immer schon und für immer – „der Seiende“, sagen Philosophen. Der „Ich-bin-da“ genügt sich nicht selbst, er ist da für seine Geschöpfe. Das Erste ist philosophisch klug: Gott ist. So steht es auch in der aktuellen Einheitsübersetzung. Das Zweite ist warmherzig: Gott ist da für uns. Was richtig ist? Wer weiß?! Vielleicht haben die Juden ja recht, wenn sie JHWH einfach so stehenlassen.
Immanuel – Mit uns sei Gott
„O, komm, o, komm Immanuel“ – so lautet die erste Zeile eines bekannten Adventsliedes. Zurück geht es auf eine Messias-Vision im Buch Jesaja, wo es heißt: „Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben.“ (Jesaja 7,14)
Immanuel (Mit uns sei Gott) war ursprünglich wohl ein Heilsruf in der Jerusalemer Tempelliturgie. Etwa in Psalm 46 (Verse 8 und 12) wird das Wort so benutzt. Erst später wandelte sich dieser Ruf in einen Eigennamen, der heute noch bekannt und beliebt ist.
Die Endung -el bedeutet Gott: El war der Göttervater im kanaanitischen Götterhimmel, sein Name wurde (und wird) in der hebräischen Sprache benutzt, wenn man über Gott sprechen will, ohne seinen Namen auszusprechen. Wie selbstverständlich El für „Gott“ benutzt wird, sieht man an vielen Namen: Samu-el (erbeten von Gott), Gabri-el (meine Stärke ist Gott), Isra-el (der streitet mit Gott) oder El-isabet (Gott ist Fülle). Wie nah El und der eine Gott der Juden einander sind, entdeckt man im Namen des Proheten El-ija: El ist JHWH.
Christen glauben, dass der angekündigte Messias im Stall von Betlehem zur Welt kam – und nicht Immanuel heißt. Matthäus löst dieses Problem so: Er lässt Josef im Traum einen Engel erscheinen, der sagt: „... ihm sollst du den Namen Jesus geben.“ (1,21) Der ursprüngliche Eigenname Immanuel wird zur Wesensbeschreibung: Jesus ist der Immanuel, der Gott mit uns. Deshalb zitiert er Jesaja zu Beginn seines Evangeliums (1,23) und endet mit dem Satz Jesu: „Ich bin mit euch alle Tage ...“ (28,20)
Jeshua – JHWH rettet
Der Name Jesus ist die latinisierte Form des hebräischen Jeshua (JHWH rettet). Zur Zeit Jesu ist es ein Allerweltsname. Der Historiker Flavius Josephus zählt allein zwanzig Männer dieses Namens auf, und auch in der Bibel gibt es diverse andere Jeshuas – vom alttestamentlichen Weisen Jesus Sirach bis zu dem Judenchristen Jesus Justus (Kolosser 4,11). Zudem ist ungewiss, ob Jesus wirklich Jeshua oder doch Joshua gerufen wurde – zu dieser Zeit waren die Vokale, also e oder o, noch austauschbar. Für Matthäus ist auch dieser Name Programm: Jesus ist, der sein Volk rettet, indem er es von seinen Sünden erlöst (Matthäus 1,21).
„Sie werden mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen sagen?“ Diese Frage des Mose aus der Lesung klingt naiv, aber sie ist bleibend aktuell. Denn der Name Gottes ist eine Wesensbeschreibung: Ich bin. Ich bin da. Ich bin mit euch. Ich rette. Welcher Name gefällt Ihnen am besten?