Junge Frauen in der Kirche
„Wir haben eine mega gute Botschaft“
Johanna Müller ist die jüngste Teilnehmerin des Synodalen Weges, Anna-Nicole Heinrich ist Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Im Doppel-Interview erzählen sie, warum sie als junge Frauen sich in der Kirche engagieren und wie sie sie verändern wollen, um wieder mehr Menschen zu begeistern. Vor dem Gespräch sind sie sich nie begegnet. Trotzdem sind sie gleich beim Du.
Warum engagiert Ihr Euch als junge Frauen in der Kirche?
Johanna Müller: Mich motiviert vor allem die Gemeinschaft, die ich erlebe – bei uns in der Gemeinde und auf dem Synodalen Weg. Ich komme aus dem Münsterland, da ist es noch sehr katholisch – was aber stark bröckelt. Ich bin in der Firmkatechese, bei den Messdienern, im Chor und in der Social-Media-Arbeit aktiv. Durch meine Familie habe ich schon früh Interesse für das kirchenpolitische Geschehen entwickelt. Aber so richtig habe ich meine Motivation erst durch den Synodalen Weg erkannt.
Was sagen Deine Freundinnen zu Deinem Engagement?
Müller: Darüber sprechen wir nicht sehr häufig. Aber den Synodalen Weg finden viele dann irgendwie cool. Er wird im Reli-Unterricht thematisiert, und kürzlich haben sie mich ausgefragt, wie es bei der Synodalversammlung in Frankfurt war. Das wird teilweise sogar bewundert. Aber eben vor allem, weil es um Reformen geht. Meine Freundinnen sagen: „Die Kirche, die lebt ja so hinterm Mond – aber du machst ja jetzt was.“ Sie denken: „Boah, da passiert was!“ Das ist für sie fast eine Attraktion. Aber eine Nähe zur Kirche spüre ich da nicht mehr. Manchmal frage ich mich: Was für einen Bezug hat meine Generation in 50 Jahren überhaupt noch zur Kirche?
Anna, warum engagierst Du Dich?
Anna-Nicole Heinrich: Ich komme ja aus einer nichtchristlichen Familie und bin da mehr durch Glück reingeschlittert – durch Schulunterricht, durch Kinder- und Jugendarbeit bei uns vor Ort. Und ich hatte schon relativ früh das Gefühl: Hier kann ich meine Kompetenzen einbringen, hier kann ich wirksam sein und was gestalten. Zur Abizeit ist mir die Einsicht gekommen, dass die Auseinandersetzung mit Glaubensfragen für mich nicht allein im stillen Kämmerchen funktioniert. Ich brauche dafür Menschen um mich herum – und Kirche bringt Menschen zusammen.
Wie hast Du das gemerkt?
Heinrich: Ein Beispiel: Jugendfreizeit im Sommer irgendwo in der Pampa, und es gibt die Aufgabe „Überleg Dir, was Beten für Dich bedeutet“. Wir gehen jeder eine Stunde in den Wald. Ich denke: „Ja, shit, ich weiß nicht, was Beten für mich heißt! Ich weiß es nicht!“ Wir kommen zurück und teilen unsere Antworten. Ich sage: „Joa, ich weiß auch nicht.“ Aber ich kann von dem, was andere erzählen, so viel übernehmen, dass ich nach dem Gespräch eine klarere Vorstellung habe, was Beten auch für mich bedeuten kann.
Heute, als Präses der EKD-Synode, wirst Du vermutlich oft danach gefragt, oder?
Heinrich: Ja. Ich werde wirklich viel häufiger als früher gefragt: Warum glaubst Du an Gott? Ist es immer leicht mit ihm? Betest Du? Was gibt Dir Halt? Auch Leute aus meiner Familie stellen jetzt oft Fragen, was ich total spannend finde, weil die alle mit Kirche gar nichts am Hut haben. Dann denke ich so: „Wow, was ist los mit euch? Die letzten 25 Jahre ist das nie passiert.“ Ich mag die Fragen, denn sie sind eine riesige Chance zu zeigen, wie unterschiedlich wir unseren Glauben gestalten können.
Redest Du gern darüber?
Heinrich: Früher hatte ich das Gefühl: Glaube ist was Privates. Und die ersten Male, als mich jemand öffentlich nach meinem Glauben gefragt hat, habe ich gedacht: „Ey Leute, das ist meins! Hallo, aufhören zu fragen!“ Heute weiß ich, dass das falsch ist. Wenn wir unser Christsein ernst nehmen, müssen wir sagen: Glaube ist was Superpersönliches, aber eben nichts Privates. Er lebt davon, dass wir ihn teilen.
Johanna, welche Rolle spielt die Gemeinschaft für Deinen Glauben?
Müller: Ich bin da so von kleinauf reingewachsen. Sonntags bin ich immer in die Gottesdienste mitgegangen, und durch diese Regelmäßigkeit habe ich ein Fundament gefunden. In den vergangenen zwei Jahren ist dieses Fundament weggebrochen – durch massive Veränderungen hier vor Ort, aber auch durch die gesamte kirchenpolitische Situation.
Was hat sich in Deiner Heimatgemeinde verändert?
Müller: Da kommt einiges zusammen. Die gewohnte familiäre Struktur, mit der ich aufgewachsen bin, ist innerhalb von wenigen Jahren total zusammengebrochen. Wenn man das hautnah erlebt und persönliche Bindungen wegbrechen, schmerzt das sehr. Jetzt frage ich mich: Was bleibt? Ich glaube, ich bin gerade auf der großen Suche.
Inwiefern hilft Dir der Synodale Weg bei der Suche?
Müller: Das sind in gewisser Weise zwei Paar Schuhe. Auf dem Synodalen Weg versuchen wir an den toxischen Strukturen der katholischen Kirche zu arbeiten. Das ist mir sehr wichtig. Aber meine Spiritualität bleibt bei allem Engagement ein bisschen auf der Strecke, das finde ich schade. Da sind die Gemeinschaft und der Glaube einerseits und die riesigen Missstände andererseits – und ich versuche, da meinen Weg zu finden.
Was macht Dir Hoffnung?
Müller: Es ist für mich unglaublich ermutigend, die vielen Menschen auf dem Synodalen Weg zu treffen. Allen, die dort hinkommen, liegt etwas an dieser Kirche, trotz allem. Manche haben total große Hoffnungen, was den Prozess angeht, andere sehen da gar keine Chance. Bei mir schwankt es sehr doll. Aber er ist das einzige Mittel, das wir gerade haben. Deshalb bin ich froh, dass es ihn gibt.
Heinrich: Darf ich dazu was sagen?
Müller: Klar!
Heinrich: Ich beobachte ja den Synodalen Weg intensiv, und ich finde: Das ist irgendwie eine sehr römisch-katholische Art, Synode zu verstehen. Wenn Katholiken sagen „Wir haben gezeigt, dass wir Synode können“, denke ich manchmal: „Hmm, weiß ich nicht, für mich wäre das allenfalls ein Anfang.“
Warum?
Heinrich: Ich habe ein anderes Verständnis von Synode. Bei uns ist das Wichtige die Mischung aus Innenblick und Außenblick. Wir beschäftigen uns mit uns, aber auch mit gesellschaftspolitischen Themen und der Frage, wie wir uns da einbringen können. Und von außen habe ich beim Synodalen Weg das Gefühl: Es gibt nur die Innenperspektive.
Müller: Ich finde diese Beobachtung sehr spannend und kann sie gut nachvollziehen. Das Problem ist, dass der Synodale Weg ganz neu ist. Erst mal soll er ja die Strukturen ändern, die Missbrauch ermöglicht haben. Im nächsten Schritt können wir dann überlegen: Wie wollen wir heute Kirche sein? Das könnte für die katholische Kirche ein gutes Ziel sein: einen synodalen Rat dauerhaft einzurichten. Neulich hat mir jemand gesagt: Ihr habt beim Synodalen Weg gar keine Ökumene drin.
Was hast Du geantwortet?
Müller: Das stimmt. Und ich bin ein totaler Fan von Ökumene. Aber im Moment hilft so ein Gremium uns nichts. Die katholische Kirche muss erst mal sich selber aufräumen. Wir müssen noch sehr viele Schritte gehen, die die evangelische Kirche schon längst gegangen ist.
Heinrich: Was ich auch spannend finde am Synodalen Weg: Da werden auf einmal Leute beteiligt, die an Entscheidungsprozessen in der katholischen Kirche noch nie beteiligt worden sind – zumindest nicht auf dieser Ebene. Leute, die aber auf der Gemeindeebene schon immer die sind, die das Meiste umsetzen. Und ich glaube, jetzt auch an Entscheidungsprozessen beteiligt zu werden, ist eine riesige Bestärkung für diese Menschen vor Ort.
Was ist es, das Ihr als junge Frauen neu in die Kirche einbringt?
Müller: Wenn ich dort mit meiner Haltung hineinkomme, bewirkt das ein Aufbrechen von Männerbünden, ein Aufwirbeln und Verunsichern. Im Bereich der Sexualität diskutieren wir über Sachen, bei denen ich mich frage: Wie können wir darüber jetzt hier noch reden? Das ist doch alles klipp und klar.
Bei welchen Themen geht Dir das so?
Müller: Wenn darüber gesprochen wird, was man jetzt vor der Ehe darf und was nicht, frage ich mich: Was hat Kirche da überhaupt zu sagen? Und ich denke mir: „Boah, das ist einfach nur eine totale Parallelwelt. Die Leute da draußen verstehen das überhaupt nicht mehr, was wir hier diskutieren.“
Und außerhalb des Synodalen Weges, wie geht es Dir da als junge Frau in der Kirche?
Müller: Wenn man die katholische Kirche und ihre Standards sieht und daneben eine junge Frau wie mich – dann sieht man leider direkt gewisse Differenzen. Aber es gibt nun mal auch junge Frauen, die total überzeugt sind von dem, was in der katholischen Kirche gelehrt wird. Das erschreckt mich. Da frage ich mich, wie man das als junge Frau alles mitgehen kann. Da geht’s um Menschenrechte, um Würde, um Selbstbewusstsein. Ich komme in der katholischen Kirche und in meiner Gemeinde gut klar, aber ich setze mich für Veränderung ein, weil die Kirche ein sicherer Ort für alle Menschen sein sollte.
Anna, was bringst Du als junge Frau ein?
Heinrich: Prinzipiell fühle ich mich als junge Frau überhaupt nicht als Gegenüber meiner Kirche, sondern als Teil von ihr – der allerdings manchmal ein bisschen dafür kämpfen muss, als Teil gesehen zu werden. Gerade die evangelische Kirche sagt oft: „Wir verlieren die jungen Leute!“ Und schafft es dann aber doch viel zu wenig, ihre hoch engagierten jungen Menschen ins Licht zu rücken. Insofern habe ich durch mein neues Amt eine tolle Gelegenheit.
Wie willst Du das nutzen?
Heinrich: Ich möchte, so lange es geht, nicht systemblind werden, sondern auch das freie Radikal mitten im System bleiben. Genau deswegen haben mich ja auch viele ermutigt, mich nominieren zu lassen. Sie haben gesagt: „Hey, du hast uns von außerhalb in den letzten drei, vier Jahren immer mal wieder angepiekst – und diese gezielten Irritationen waren gut. Das im System zu haben, wäre noch viel wertvoller.“ Als junge Frau tue ich mich damit auch einfach leichter: Ich rede anders als Ältere, ich gehe anders auf die Leute zu, ich spreche andere Zielgruppen an.
Johanna, wie klingt für Dich „freies Radikal“?
Müller: Ich finde das total bewundernswert und ich liebe dieses Feuer, das Du da reinbringst. Ich weiß nicht genau, was meine Rolle ist, und frage mich häufig, was ich überhaupt für einen Einfluss habe. Aber ich nehme wahr, dass meine Stimme sehr stark gehört wird und ich immer wieder von Medien für Interviews angefragt werde. Ich find’s cool, so Anstöße geben zu können. In der Synodalversammlung würde ich eher uns als junge Gruppe als freies Radikal bezeichnen – auch wenn wir keine Fraktion sind. In der katholischen Kirche ist es noch viel außergewöhnlicher und schwieriger, freies Radikal zu sein. Da hätte ich allein gar nicht die Kraft, etwas zu verändern.
Heinrich: Das kann ich total unterstreichen. In den drei Jahren, die ich vor meiner Wahl zur Präses schon in der Synode war, waren wir auch als Gruppe der jungen Delegierten dieses freie Radikal. Die Kraft kam aus der Gemeinschaft. Erschreckend finde ich, dass mich jetzt manchmal Leute schon überhaupt nicht mehr als freies Radikal sehen.
Nein?
Heinrich: Vereinzelt sagt mir schon mal jemand: „Ach, Anna! Du bist erst zehn Monate im Amt – und schon wirst Du leiser!“ Und es stimmt: Manchmal habe ich jetzt die Haltung, ach, da lohnt es nicht, sich zu verkämpfen. Da tut dann der Hinweis ganz gut: Bewahre Dir Deine direkte Art.
Was willst Du in den nächsten Jahren als freies Radikal bewegen?
Heinrich: Als Synodenpräses muss ich ja zuallererst die Themen moderieren, die anstehen. Den innerkirchlichen Zukunftsprozess. Unsere Anstrengungen für den Klimaschutz. Und natürlich die Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt. Und wir müssen uns überlegen: Wie kommunizieren wir mit unseren Mitgliedern? Wie oft melden wir uns bei denen? Manchmal könnte ich die katholische Kirche bei unseren Diskussionen in dieser Hinsicht fast ein bisschen beneiden.
Inwiefern?
Heinrich: Bei uns kann jede Landeskirche ja eigentlich machen, was sie will. Durch diesen ausgeprägten Föderalismus beginnen viele Diskussionen immer wieder von vorn, auf allen Ebenen. Das ist das, was uns ausmacht. Aber es ist auch das, was es manchmal ein bisschen schwer macht.
Johanna, wo bist Du manchmal fast neidisch auf die evangelische Kirche?
Müller: Gerade bin ich sehr neidisch. Ich finde die Diskussionen im Synodalen Weg, so wichtig sie auch sind, total anstrengend und zermürbend. Man braucht einen megalangen Atem. Ich bin in der Zeit, die dieser Weg jetzt schon dauert, ja immer auch zur Schule gegangen, jetzt mache ich mein Abitur und danach vielleicht meinen Freiwilligendienst. Bei mir ist so viel Leben passiert. Dieser Weg ist für mich wie ein Marathon. Wenn ich dann von Frauen höre, die schon vor 60 Jahren für die Weihe von Diakoninnen gekämpft haben, steigert das nicht gerade meine Motivation. Zumal ich weiß, dass noch viele Rückschläge kommen werden. Mir ging gerade so richtig das Herz auf, Anna, als ich von Dir gehört habe, was bei uns in Zukunft Themen der Kirche sein könnten.
Heinrich: Wenn ich im Synodalen Weg wäre, würde ich mir jetzt die Frage stellen: Was machen wir denn, wenn diese ganzen Texte beschlossen sind? Wie geht’s dann weiter? Was passiert, wenn die Texte angenommen werden und keine Wirksamkeit entfalten? Und was sind unsere Schritte, wenn sie doch direkt wirken? Das habe ich gelernt in den letzten vier, fünf Jahren im Parlament: Nur weil was beschlossen worden ist, heißt das noch nicht, dass es auch umgesetzt wird. Das ist dann noch mal ein richtig zäher Weg.
Die Austrittszahlen in der evangelischen und katholischen Kirche sind hoch. Was macht Euch Hoffnung für die Zukunft?
Müller: Natürlich wird es wehtun, wenn vieles Gewohnte und Liebgewonnene wegbricht. Aber diese Straffung kann auch eine Chance sein. Ich glaube sehr fest daran, dass wir trotzdem immer noch eine Gemeinschaft haben werden. Und dass Menschen da sein werden, die glauben und sich treffen und Gottesdienst feiern. Ich bin auf jeden Fall bereit, da mitzumachen.
Anna, was gibt Dir Hoffnung?
Heinrich: Hoffnung gibt mir, dass wir eine mega gute Botschaft haben. Unsere Erzählungen können Orientierung bieten. Und da draußen sind echt viele Menschen, die im Grunde offene Herzen haben, in die wir nur reinstolpern müssen. Im vergangenen Sommer habe ich ja eine Erkundungstour durch Deutschland gemacht. Dabei habe ich so viele Menschen getroffen, die mit Kirche noch nie was am Hut hatten – die aber total offen sind für unsere Botschaft, für Diskussionen und kritische Fragen. Ich glaube, das trägt weiter.
Interview: Andreas Lesch