Wo das Leben so spielt

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Ein Jahr nach ihrer Gründung lud die Pfarrei St. Nikolaus zum Sommerfest nach Stördorf bei Itzehoe ein. Beim Gottesdienst in der Reithalle hielt Erzbischof Stefan Heße die Predigt und warb für eine Kirche, die zu den Menschen geht.


Große Freude bei der Gabenbereitung: Die einzelnen Gemeinden hatten etwas für sie Typisches mitgebracht. Neben Krabben aus Büsum gab es auch eine Kiste Bier aus Marne. Pastor Dieter Lankes (li.) und Erzbischof Stefan Heße hatten sichtlich ihren Spaß. | Foto: Marco Heinen

Als am 6. Juni vergangenen Jahres in Glückstadt die neue Pfarrei St. Nikolaus in Dithmarschen und Steinburg gegründet wurde, war es eine recht traurige Veranstaltung. Der Gottesdienst fand coronabedingt mit nur wenigen, handverlesenen Vertretern der acht beteiligten Gemeinden zwischen Heide und Itzehoe statt. Es gab eine Online-Übertragung. Aber eine Feier?

Die wurde jetzt nachgeholt. Am vergangenen Sonntag lud die Pfarrei bei schönstem Wetter zum Sommerfest auf den Reiterhof Blum an der Wilster Au in Stördorf ein. Ein Ort, so besonders und eigen wie jeder einzelne Kirchstandort der Pfarrei. Als es noch die Pfarrei St. Ansgar Itzehoe gab, wurde hier regelmäßig an Christi Himmelfahrt Gottesdienst gefeiert. Aber 180 bis 200 Menschen wie am vergangenen Sonntag waren dort noch nie zu Gast.

Dass sie überhaupt zuletzt in einem Gottesdienst so viele Gläubige gesehen habe, das sei bestimmt schon vier Jahre her, sagte Hildegard Frankfurter, Vorsitzende des Pfarrpastoralrates, zur Begrüßung. Im Übrigen habe sie, so ergänzte sie später trocken, in ihrem ganzen Leben noch nicht so viele Geburtstagsgäste gehabt. Da hatte sich Pfarradministrator Pastor Dieter Lankes gerade bei Frankfurter für die Organisationsleitung des Festes bedankt und ganz nebenbei das Geheimnis um ihren 73. Geburtstag gelüftet.

Für Erzbischof Dr. Stefan Heße war es eine Premiere, in einer Reithalle einen Gottesdienst zu zelebrieren. Und für die Messdiener auch. „Es ist komplizierter, anders“, meinte später die 13-jährige Julia Budnick aus Hohenlockstedt.

Aber warum denn auch nicht? Jesus ist in einem Schafstall zur Welt gekommen, da kann ein Gottesdienst in einer Reithalle ja nicht verkehrt sein. Zumal es draußen schon so heiß war, dass alle froh waren, ein schützendes Dach über dem Kopf zu haben. Die Lesungen und das Evangelium des Tages waren eine schwere Aufgabe für einen Festtag, die Erzbischof Heße aber gut zu meistern wusste. Mit Blick auf die „Zucht des Herrn“ aus dem Hebräerbrief (Hebr 12,5–7.11–12) sprach er von „Worten, die uns heute als Kirche gar nicht gut anstehen“, nicht zuletzt wegen der zahlreichen Fälle sexuellen Missbrauchs, so Heße, der auf den historischen Kontext der Entstehung des Textes verwies.

Gemeinden brachten ungewohnte Gaben mit

Auch das Lukasevangelium (Lk 13,22–30) mit dem Gleichnis von der engen und verschlossenen Tür und dem Wort, dass die Letzten die Ersten sein werden und die Ersten die Letzten, ist ja ein bisschen spröde. „Wo sind die frohen Botschaften?“, fragte der Erzbischof – und fand sie in der Eingangssequenz: „Jesus zieht von Dorf zu Dorf.“ Jesus warte nicht ab, dass die Menschen zu ihm kämen, sondern er sei zu den Menschen gegangen. „Wir dürfen keine sitzende, keine abwartende Kirche sein, sondern eine Kirche, die geht, die sich auf den Weg macht“, sagte Heße. Und auch dazu passte die Reithalle dann wirklich ganz hervorragend.

In Zeiten, in denen die Menschen nicht gerade die Kirchentüren einrennen würden, sei es gut, andere Orte aufzusuchen. „Kirche muss, wenn sie eine Zukunft haben will, im Leben der Menschen vorkommen.“ Und: „Kirche muss da sein, wo das Leben spielt.“ Dafür gebe es viele Beispiele in der Pfarrei, angefangen beim Familienzentrum in Itzehoe bis hin zu den beiden großen Schlachthöfen auf dem Pfarreigebiet und den Menschen, die dort arbeiten und deren prekäre Lebensverhältnisse vor gar nicht langer Zeit Schlagzeilen machten. Ein Thema, das der wegen Krankheit aus dem Dienst ausgeschiedene Pfarrer Joachim Kirchhoff schon zuvor immer wieder angesprochen hatte.

Heße verwies aber auch auf die vielen Touristen etwa in Büsum und die Chancen für die Kirche, die damit verbunden seien: „Im Leben der Menschen ankommen, das muss die Strategie von Kirche in dieser Zeit sein.“ Deshalb sei es wichtig, die Tore weit zu öffnen und rauszugehen. Die Weitergabe des Glaubens als reines Wissen, die sei „grandios gescheitert“, so Heße.

Bei der Gabenbereitung wurde dann nach vorne getragen, was dort selbst beim Erntedank nur selten zu finden ist und symbolisch für die einzelnen der acht Gemeinden stand: Brot aus Heide, Krabben aus Büsum, Pralinen aus Brunsbüttel, eine Nikolaus- Ikone aus Glückstadt, eine Fahne mit Handabdrücken von Menschen verschiedenster Herkunft aus Hohenlockstedt, Blumen des Neuanfangs aus Itzehoe, ein Kohlkopf aus Meldorf und – eine Kiste Bier aus Marne.

Als Pastor Lankes zum Ende des Gottesdienstes hin seinen Dank gegenüber Mitwirkenden und Helfern zum Ausdruck brachte, wurde selbstverständlich auch das gastgebende Ehepaar Willi und Frauke Blum sowie deren Familie gewürdigt. „Wir haben das gerne getan und ich bin überwältigt, wie gut das angenommen worden ist“, sagte Willi Blum. Er sprach aus, was auch viele Gäste empfanden: Freude über das gemeinsam Erlebte. Obwohl Einzelne Zweifel äußerten, ob das Gemeinsame wohl von Dauer sei.

Auch die Botschaft der Predigt des Erzbischofs kam in den Köpfen vieler Besucher an. Wobei es eben nicht leicht sei, zu den Menschen zu gehen, wenn kaum Priester und nur wenige Ehrenamtliche da seien, wie etwa Christine Cannon vom Pastoralteam und Kirchenvorstand in Büsum später anmerkte. Sie zeigte sich jedoch begeistert, wie viele der langjährigen Urlauber sich in den Gottesdiensten immer wieder als Musiker oder Ministranten engagierten: „Das finde ich schön, richtig schön“, sagte sie.

Auch Wolfgang Engemann aus Glückstadt pflichtete dem Erzbischof bei, dass die Kirche zu den Menschen gehen müsse. Diese Erfahrung habe er in früheren Jahren im Ruhrgebiet selbst gemacht, allerdings habe es da eigens Priester für eine aufsuchende Kirche gegeben. „Heute muss das eher über das Ehrenamt geschehen. Und das geht nur, wenn es von oben auch gewollt ist“, so Engemann.

Was das Ehrenamt angeht, so zeigte es sich am Sonntag von seiner besten Seite. Denn viele Gemeindemitglieder wirkten mit, hatten Salate und Kuchen vorbereitet, den Grill angeschmissen, Eis für die Kinder organisiert und kühle und heiße Getränke für die Erwachsenen bereitgestellt. Der Reitstall an der Wilster Au war für ein paar Stunden eine Kirche, bei der man gerne ein bisschen länger blieb.

VON MARCO HEINEN