Zwischenbilanz zum pastoralen Prozess im Erzbistum Berlin
Zukunft hat, was sich ändert
Markus Weber (rechts) und Erzbischof Heiner Koch bei einer Pfarrei-Eröffnung auf der Fazenda Gut Neuhof. Foto: Walter Wetzler |
Von Beginn an begleitet den Prozess auch Skepsis: Gewinnt Glaube hier wirklich Raum oder geht es um eine schönfärbende Bezeichnung für Abbau? Wie sehen Sie das?
In den Regionen sind die Impulse des Prozesses unterschiedlich aufgegriffen worden. In Greifswald zum Beispiel gab es von Anfang an Akteure, die ihn als geistlichen Prozess verstanden und gelebt haben. Ihnen war klar, dass Strukturfragen mit dazu gehören. Sie haben sie aber als nicht so relevant erachtet. Es gibt mehrere Pastorale Räume, die auf ihrem Weg zur Pfarrei eine Chance darin gesehen haben, die Orte kirchlichen Lebens stärker wahrzunehmen und das geistliche Leben dort weiter zu entwickeln. Von der Stabsstelle aus können wir Dinge nur ansprechen. Gelebt werden sie vor Ort. Es gibt Regionen, in denen im Vordergrund stand, schnell eine Struktur zu schaffen. Die Initiatoren des Prozesses hatten nie den Plan, dass am Ende eine reduzierte Zahl von Gemeinden steht. Dass auch Aufbrüche möglich und gewollt sind, erleben wir in Wandlitz. Hier ist in den letzten Jahren neues Leben gewachsen und die Gemeinde hat sich neu gegründet.
Ein wesentliches Ziel ist es ja, Menschen mit dem Evangelium in Berührung zu bringen. Wo sehen Sie das erreicht?
Mir haben manche pastorale Mitarbeiter gesagt: „Wir nehmen jetzt stärker wahr, dass die Kita, das Krankenhaus, die Schule... zu unserer Pfarrei gehört.“ Einige haben auch entdeckt, dass eine stärkere Vernetzung Chancen birgt. Wenn etwa der Kirchenmusiker in der Kita aktiv wird, kann daraus Neues erwachsen. Das, was bisher eher nebeneinander her lief, gemeinsam zu denken, ist ein wichtiger Schritt. Solche Erkenntnisse sollten aber nicht nur in Pastoralkonzepte geschrieben, sondern umgesetzt und vertieft werden. Da ist gewiss noch Luft nach oben.
Gute Erfahrungen haben wir beispielsweise mit dem Modellprojekt „Sozialarbeit in der Gemeinde“ gemacht. In den drei Modellgemeinden hat sich durch die Arbeit der Sozialarbeiterinnen der Blick des pastoralen Teams vor Ort verändert. „Wir waren überrascht, wie positiv wir als Kirche in unserem kirchenfernen Umfeld wahrgenommen werden“, habe ich aus einer Pfarrei gehört. Diese Erfahrung wollen wir fortführen.
Alle Katholiken einzubeziehen ist in diözesanen Veränderungsprozessen überall schwierig. Gibt es Pastorale Räume, in denen dies besser gelingt? Was machen die anders?
Das hat viel mit Haltung zu tun. Es hängt davon ab, ob diejenigen, die in einem Gremium sitzen, sich dort als Privatperson verstehen oder als Vertreter aller. Sind sie offen, kommunikativ, nehmen sie in das Gremium mit, was sie in ihren Kreisen hören, spiegeln sie zurück, was im Gremium Thema ist? Es kann nur darum gehen, mehr Gemeindemitglieder mitzumehmen, alle bekommt man sicherlich nie. Eine Herausforderung ist es auch, dass sich der Prozess über eine so lange Zeit erstreckt. Corona und ein Bischofs- und Generalvikarswechsel haben ihn noch verlängert. Auch in den Gemeinden gab es Fluktuation. Das bedeutet, immer neu Leute mit ins Boot zu holen, Überzeugungsarbeit zu leisten und sehr viel zu kommunizieren. Dabei sind auch wir an Grenzen gestoßen. In der Anfangszeit haben wir mit 15 000 Leuten gesprochen. Das lässt sich nicht alle zwei Jahre wiederholen. Der Prozess an sich setzt die Haltung voraus, dass wir als Christen verantwortlich sind für alle Menschen und die Kirche mehr ist als ein Schrebergarten, in dem wir uns wohlfühlen. Wer diese Überzeugung teilt, dem wird es naturgemäß besser gelingen, andere für den Prozess zu begeistern.
Damit Seelsorger sich auf ihre wesentliche Aufgabe konzentrieren können, haben sie unter anderem die neue Struktur der Verwaltungsleiter geschaffen. Ist der gewünschte Erfolg eingetreten?
Ich habe noch von keinem Pfarrer Ablehnung gegenüber dieser Neuerung gehört. Da sie vieles tun müssen, was sie nicht gelernt haben – Bilanzbuchhaltung zum Beispiel oder Personalführung – sind sie dankbar für die Unterstützung. Wir haben für die 19 Verwaltungsleiterstellen sehr kompetente Menschen gewonnen, die uns sehr bereichern. Zugleich ist in den vergangenen Jahren die Verwaltung erheblich komplexer geworden, zum Beispiel in Fragen des Arbeits- und Brandschutzes. Manche Themen waren zuvor aufgeschoben worden. Viele Ehrenamtliche, die früher oft einen Teil der Verwaltungsaufgaben in den Pfarreien übernommen hatten, fühlten sich damit zunehmend überfordert. Die Verwaltungsleiter müssen jetzt vieles abarbeiten, so dass der Zeitgewinn, den Pfarrerr für die Seelsorge einsetzen können, am Ende meistens kleiner ist als erhofft. Klar ist: wir haben ein hilfreiches System geschaffen. Sicher werden wir aber das eine oder andere noch einmal überprüfen und nachsteuern müssen.
Manche Pfarrer, die nun als Leiter eines sehr viel größeren Pfarrgebiets eingesetzt sind als bisher gewohnt, ächzen gerade unter Überlastung. Ist Linderung in Aussicht?
Von Anfang an hatten wir geplant, die Pfarrer für diese Aufgaben umfangreich zu qualifizieren. Umgesetzt haben wir dieses Vorhaben leider erst sehr spät, im vergangenen Jahr. An der berufsbegleitenden Fortbildung, die erst kürzlich zu Ende gegangen ist, haben 17 Pfarrer teilgenommen. Der kollegiale Austausch war für sie sehr wichtig, und ein klarer Blick auf die eigenen Rollen und Aufgaben. Wer davon ausgeht, dass er das, was er in der bisherigen Pfarrei getan hat, nun einfach vervierfacht, gerät zwangsläufig in eine Überlastung. Wichtig ist das Bewusstsein, dass etwas Neues beginnt. Dazu gehört, alles anzuschauen, Prioritäten zu setzen und die eigene Rolle neu festzulegen. Auch für die kirchlichen Gremien und das pastorale Personal bietet das Ordinariat Begleitung an bei derNeuordnung der Aufgaben. Der Gemeindereferentin einer neuen Pfarrei würden wir zum Beispiel empfehlen, im Sommer statt bisher einer nun nicht vier Religiöse Kinderwochen zu leiten, sondern stattdessen Teams auszubilden und zu stärken, die in die Leitung hineinwachsen. Bisherige Aufgaben loslassen ist erfahrungsgemäß das Schwerste, auch für Ehrenamtliche.
Welche Unterschiede haben Sie im pastoralen Prozess zwischen Großstadt- und ländlichen Gemeinden, zwischen ost- und westdeutsch geprägten beobachtet?
So pauschal kann ich das nicht sagen. Erkennbar ist auf jeden Fall, dass im ländlichen Raum ganz andere Fragen existieren. Auf dem Land ist es für Katholiken alltäglich, zur Kirche weit zu fahren. Andere Orte der eigenen Pfarrei zu erreichen, ist beispielsweise von Anklam aus eher selten möglich. Berliner hingegen empfinden es zuweilen schon als Zumutung, eine U-Bahn-Station weiter zur Kirche fahren zu müssen. Die Unterschiedlichkeit der Pfarreien müssen wir beim pastoralen Prozess im Auge behalten und jede individuell begleiten. In Köpenick wurde ein zentrales Pfarrbüro eingerichtet und kleinere Büros in den anderen Pfarreiorten. In Friedenau, wo sehr viele Katholiken auf engem Raum leben, braucht es das eher nicht.
Wo wäre das Erzbistum heute ohne den Prozess „Wo Glaube Raum gewinnt?“
Vielleicht wären wir der Gefahr erlegen, eine Pfarrei vom Nachbarpfarrer mit administieren zu lassen. Anstatt gemeinsam zu gestalten, könnte dann nur verwaltet werden. Wir würden in den Pfarreien nicht die Frage stellen, was es Gutes zu bewahren gibt und was wir verändern sollten. An manchen Stellen wäre voreilig „das Licht ausgeknipst“ worden. Und wir würden das riesige Potenzial nicht ausschöpfen, das uns die Orte kirchlichen Lebens bieten.
Was bleibt zu tun?
Anfang 2023 werden 27 neue Pfarreien gegründet sein, dann stehen noch die verbleibenden acht aus. Zwei oder drei werden länger brauchen als 2025. Die Zeit, die sie benötigen, werden sie bekommen. Die bereits gegründeten Pfarrein begleiten wir weiter. Gemeinsam werden wir an der Frage dran bleiben, wie wir uns als Kirche vernetzten und die Gesellschaft mitgestalten können, wie wir in Beziehung mit Menschen treten können, für die sich die Frage nach Gott bisher nie gestellt hat.
Es wird Orte geben, in denen es auf unbestimmte Zeit kein katholisches Gemeindeleben mehr geben wird und andere, an denen Neues entsteht. Auf diese schnellere Dynamik sollten wir uns alle einstellen. Für mich ist klar: Was bleiben will, muss sich verändern. Die Zukunft einer Gemeinde bestimmt nicht das Erzbischöflichen Ordinariats. Sie wird entschieden von Christen, die vor Ort etwas wagen.
Interview: Dorothee Wanzek