Gedanken zu Weihnachten
Aus allen Wassern gezogen
Gedanken zum Fest der Hoffnung von Caritasdirektor Achim Eng.
Weihnachten und Wasser gehören im Tiefsten zusammen. Infolge unserer Seenotrettungs-Kampagne „Du sollst nicht ertrinken lassen“ habe ich mich in diesem Jahr viel mit der Gefahr des Wassers beschäftigt. Eine Geflüchtete, deren Schlauchboot bis zu ihrer Rettung drei Tage im Wasser trieb, hat ihre Not mit den Worten von Psalm 69 beschrieben: „Rette mich, Gott, denn das Wasser steht mir bis zum Hals. Wo ist Rettung? Kein Benzin mehr, kein Trinkwasser. Die Wellen schwappen ins Boot. Einer ist einfach aufgestanden, meinte, er nähme jetzt ein Taxi und ging über Bord. Weil er sich vor Kälte nicht mehr rühren konnte, versank er sofort. Wäre ich geblieben, wäre ich jetzt schon tot. Fliehen war die einzige Möglichkeit. Aber nun wartet hier der Tod, dunkel, kalt und mächtig.“
Spenden aus dem Bistum Hildesheim trugen zu Rettungseinsätzen der Organisation Sea-Eye bei. Wir fieberten bei den Einsätzen auf dem Mittelmeer mit, und waren erleichtert, wenn die Geflüchteten endlich an Land gehen konnten.
Urmeer oder Urflut symbolisieren nach dem Verständnis des Alten Testaments das Element des Chaotischen in der Schöpfung. Aktuell lernen wir durch das Corona-Virus neu, welche Kräfte die Natur besitzt. Die christliche Taufe mit Wasser erinnert an diese Urflut und die Rettung vor dem Tod. Untertauchen und zum Leben zurückkehren, symbolisiert durch das Übergießen mit Wasser, bedeuten: Gott ist der Spender allen Lebens.
Weihnachten beginnt eine neue Wirklichkeit
In der orthodoxen Kirche ist der Gedanke des Wassers zu Weihnachten präsenter als bei uns. Indem Gott Mensch wird, reißt er uns heraus aus den bedrohenden Urfluten, aus allem, was Leben, Menschlichkeit und Miteinander zerstört.
Die Herbergssuche an Weihnachten ist ein eindrückliches Bild für die Suche nach einem Ort, an dem wir bleiben können. Die Angst vor Herodes, das Gefühl, bedroht zu sein, steht für die allgegenwärtige Furcht, die wir vor dieser Pandemie und ihren Folgen empfinden. Doch die Weihnachtsbotschaft besagt: Fürchtet euch nicht. Diese Zusage an die Hirten gilt auch heute für uns.
Gemeinschaft ohne Besuch
Wir müssen Weihnachten feiern ohne die wichtigste aller Zutaten: Besuch und Miteinander. Jede und jeder von uns trägt Verantwortung für Angehörige, Freunde und Bekannte. Der Schutz der Gemeinschaft hat Priorität. Wir gehen neue Wege, um Beziehungen lebendig zu halten.
Der Weihnachtsspot der Caritas „Weihnachten bleibt Weihnachten – auch wenn wir zu Hause bleiben“, zu finden auf Youtube, behandelt das Thema Miteinander: Eine einsame Frau betrachtet in der Heiligen Nacht die Fotos ihrer Lieben auf der Fensterbank. Plötzlich blinkt auf ihrem Tabletcomputer ein Stern. Sie öffnet den Videoanruf und wird Zuschauerin und Protagonistin eines Krippenspiels: Auf dem Bildschirm erscheinen Tochter und Schwiegersohn mit Baby auf dem Arm – die Heilige Familie. In weiteren Skype-Fenstern schlüpfen zwei Nichten in die Rolle der Hirten, und drei Freunde übernehmen froh gelaunt den Part der Heiligen Drei Könige. Eine moderne Weihnachtsgeschichte mittels moderner Kommunikationsmittel!
Weihnachtsbotschaft ist besonders aktuell
Wenn ich das Kind in der Krippe mit den Augen der Caritas anschaue, denke ich daran, dass Jesus sich gerade der Schwachen, Kranken, Verstoßenen und Sünder annahm. Er lebte uns vor, dass die Annahme eines Menschen das Wichtigste ist. Für Gottes Sohn gab es keine Fremden. Aus diesem Glauben lebt das beeindruckende Engagement der Christen für Seenotrettung. Wir gehen erst vor Anker, wenn kein Mensch mehr ertrinken muss. Humanität zählt zu den Kennzeichen der Welt seit der Geburt im Stall von Betlehem.
Schon damals gingen Menschen auf Distanz zu Jesus, weil er sich um die Kranken kümmerte, weil er zeigte, dass sie dazu gehören. Gehören sie auch aktuell noch dazu, oder werden sie total isoliert, weil wir Ansteckung fürchten? Wir haben neu gelernt, was es bedeutet, kranken und sterbenden Menschen, entsprechende Schutzmaßnahmen vorausgesetzt, nahe zu sein.
Wir lernen allmählich, welchen unfassbaren Job die Krankenhäuser sowie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Alten- und Behindertenhilfe machen. Ich erinnere mit an eine Pflegerin in weißem Schutzanzug. Sie stand auf dem Balkon des Hildesheimer Caritas Alten- und Pflegeheims Teresienhof, Schutzbrille auf die Stirn und Mund-Nase-Maske unters Kinn geschoben. Sie machte eine kurze Verschnaufpause, tiefe Striemen im Gesicht, rot unterlaufen wie winzige Schnitte in der Haut.
Corona-Leugner gefährden Leben
Jesus stellt im Markusevangelium (Mk 4, 35-41) inmitten von Sturm und Not Kleingläubigkeit infrage und vertreibt Hysterie und Panik durch Vertrauen. Wer Corona leugnet oder Verschwörungstheorien anhängt, geht intellektuell unter.
Gott will, dass wir Distanz überwinden, indem er auch heute immer wieder darauf aufmerksam macht, dass Not nicht nur von Spezialisten oder Idealisten zu lindern ist, sondern jeder berufen ist, menschlich zu sein. In den Armen und Notleidenden, in den Geflüchteten und Einsamen zeigt sich Gott uns. Jede Hilfeleistung ist eine an ihm, und jede verweigerte Hilfeleistung eine Absage an ihn.
Jesus hätte sich ganz sicher desinfiziert. Er hätte darin aber keine Weigerung gesehen, zu berühren. Reinheit und Desinfektion bedeuten noch lange nicht, dass ich innerlich rein bin. Ich bin nicht besser, ich bin nur vorsichtig, um besser solidarisch und nahe zu sein. Abstand-Wahren darf nicht zum inneren Prinzip werden, weil unsere Gesellschaft schon genug Anonymität kennt.
Und es begab sich, dass ein jeder zu Hause blieb, um niemanden anzustecken. Und eine jede und ein jeder überlegten Tag für Tag bewusst, wem ein Gespräch am Telefon guttäte, und dies bewusst über den engeren Freundeskreis hinaus.
Die Kirchen werden offen sein. Ich wünsche Ihnen während der Weihnachtstage und danach viel Freude beim Entdecken und Vergleichen der Krippen.
Achim Eng