Dresdner Altbischof Joachim Reinelt feiert 30 Jahre Bischofsweihe

Blick für Wesentliches geschärft

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Der 20. Februar ist für den Dresdner Altbischof Joachim Reinelt der 30. Jahrestag seiner Bischofsweihe. Mit dem Tag des Herrn sprach der 81-Jährige über seine Erfahrungen mit dem Älterwerden.


Auch mit 81 Jahren ist Bischof Joachim Reinelt offen geblieben für Begegnungen mit Menschen jeden Alters. | Foto: Dorothee Wanzek

Was überwiegt im Rückblick auf Ihre aktive Amtszeit: Dankbarkeit oder Bedauern über das, was Sie nicht mehr erreichen konnten?

Beides spielt ineinander. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich manche Aufbrüche erleben konnte, in sehr unterschiedlicher Weise in den Pfarreien unseres Bistums. Es gab nicht eine Gemeinde, von der ich hätte sagen müssen: „Am liebsten will ich da nicht noch einmal hin.“ Auch dafür bin ich dankbar, und für die Gelegenheit, die Päpste aus der Nähe erleben zu dürfen, jeden in seiner Art.
Gewünscht hätte ich mir, dass es  im Volk der Sachsen und Thüringer insgesamt einen Aufbruch hin zum christlichen Glauben gegeben hätte. Sicher, es gibt Hoffnungszeichen, wenn man zum Beispiel die Christvespern  vor der Frauenkirche sieht, da kommen jedes Jahr Zigtausende hin. Es hat sich schon etwas bewegt. Sehr gerne hätte ich noch unendlich viele Menschen in der Osternacht getauft.

Wie sieht Ihr Alltag im Ruhestand aus?

Ich kann endlich vieles ruhiger angehen lassen, bin weniger gejagt, gelassener. Das empfinde ich als Geschenk. Früher hatte ich zum Beispiel kaum Zeit, die Abendmesse in der Dresdner Kathedrale präzise vorzubereiten. Heute kann ich vorher gründlich in mich gehen: Was würde Jesus den Menschen jetzt sagen?
Auch zum Radfahren habe ich jetzt öfters Zeit, und nie habe ich so viele Exerzitien gegeben wie jetzt als Ruheständler. Ich empfinde es als eine Gnade, so in die Tiefe gehen zu dürfen, Gemeinschaft pflegen zu können. Langweilig ist es mir bisher nicht einen Tag geworden. Manche Einladungen sage ich sogar ab, weil es zu viele sind und ich meine Gesundheit erhalten möchte. Recht häufig bin ich bei säkularen Gruppen zu Gast, zum Beispiel bei Rotarier- oder Lions-Clubs, neulich war ich auch bei einem Atheisten-Club. Manchmal staune ich über die Themen, die sie sich wünschen, „Gott ist die Liebe “ zum Beispiel oder die Hoffnungs-Enzyklika. Vor der habe ich die Veranstalter noch gewarnt: „Es wird Ihnen zu schaffen machen, was der Papst da sagt.“ Sie haben mit großer Offenheit reagiert: „Das wollen wir aber gerade hören!“

Nehmen Sie Anteil an neueren Entwicklungen im Bistum oder sagen Sie manchmal auch: Ich muss mich nicht mehr mit allem belasten?

Ich übernehme häufig Vertretungsdienste, habe viel Besuch. Selbstverständlich bekomme ich da die Herausforderungen und Probleme mit, die sich gerade mit den Strukturveränderungen im Bistum ergeben. Das bewegt mich schon sehr. Natürlich: Zusammenlegungen von Pfarreien sind unumgänglich, ich habe das selbst seit 24 Jahren tun müssen. Aber: Vieles ging wohl anfangs so schnell, dass manche Gemeinden nicht mitkamen. Auch wenn sich das Tempo verlangsamt hat, meine große Sorge bleibt, dass Priester in zu großen Pfarreien den persönlichen Kontakt zu ihren Gemeindemitgliedern verlieren und zu reinen Verwaltern werden. Auch die allerbesten Laien können die entstehenden Lücken nicht ohne Weiteres füllen. Die Zeit, die Ehrenamtliche einbringen können, ist naturgemäß begrenzt. Gerade in kleinen Gemeinden ist der gute Wille oft da, es fehlt für manche Aufgaben aber einfach auch an Fähigkeiten. Ich verstehe nicht, dass man nicht den Mut hat zu sagen, die Zeit ist reif, „Viri probati“ die Priesterweihe zu spenden, Männern, die sich als christliche Familienväter bewährt haben.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Ich sehe auch viel Positives an den aktuellen Entwicklungen. Der Vorteil einer bistumsweiten Umstrukturierung ist sicher, dass man sich nicht ewig mit diesem Thema beschäftigen muss. Ich sehe auch gute pastorale Ansätze, aus denen Neues wachsen kann. Wenn ich die erste Pfarrei anschaue, die in der Oberlausitz zusammengewachsen ist, kann ich nur staunen darüber, wie gut es dort läuft. Und: Der gegenwärtige Aufbruch wird nicht der letzte in unserer Kirche sein. Wenn man in der Kirche keine Neuaufbrüche bejaht, hat man die Kirche nicht verstanden. 

Verändert sich mit wachsendem Alter Ihre Sicht auf das Leben, zum Beispiel darauf, was wirklich wichtig ist, was Schönheit bedeutet ...?

Ich habe stärker den Tod vor Augen, weil viele Weggefährten sterben. Dies und das ruhigere Arbeitstempo fördert meinen Blick auf das Wesentliche. Ich kann Schönes bewusster wahrnehmen in der Musik, in der Natur, in der Begegnung mit Menschen ... Dabei schaue ich nicht nur auf Äußeres, sondern auf die Spuren Gottes im Leben der anderen, übrigens beileibe nicht nur im Leben der Christen.
Je älter man wird, desto mehr begreift man, dass man von Gott noch gar nichts begriffen hat. Als junger Theologe bildet man sich vielleicht ein, etwas zu wissen, weil man in den Vorlesungen gut aufgepasst hat. Doch jetzt wird mir immer klarer, wie undurchdringlich das Geheimnis Gottes ist.
Ich bin jetzt eingeladen worden als Referent zum Thema „Es gibt soviel Elend in der Welt, und Gott macht nichts ...“ Die Leute denken, ein Bischof muss da ja Bescheid wissen. Ich werde ganz ehrlich sagen: Auch ein Bischof weiß nichts, auch er versucht nur, sich anzunähern und bleibt auf der Suche. Natürlich findet er die eine oder andere Antwort im Evangelium, aber die ist ja nicht jedem schlagartig zugänglich. Ich meide da auch die fertigen Formulierungen, zum Beispiel „unsere Antwort liegt im Kreuz“. Für diejenigen, die dazu noch keinen Zugang haben, muss man ganz anders um Worte ringen. Dies zu erkennen, macht mich geduldiger mit anderen Menschen. Wir haben ja alle Gott nicht begriffen. 

„Alt werden ist nichts für Feiglinge“ – das Zitat stammt von einer  Hollywood-Diva. Das Alter kann Angst machen, vor Demenz, eingeschränkter Selbst-Bestimmtheit, Einsamkeit, vor dem Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden,  vor dem Sterben ... Kennen Sie solche Ängste auch?

Diese Ängste gehören zum Menschsein dazu. Natürlich hoffe ich, dass ich von Demenz verschont bleibe. Ein Pflegefall, der durch gute medizinische Betreuung lange gequält wird, möchte ich auch nicht werden. Aber ich habe bei vielen erlebt: Wenn es sie traf, bekamen sie auch die Gnade, vieles zu ertragen. Ich halte es jedenfalls für falsch, sich in alle möglichen Szenarien hineinzuspinnen, die einen treffen könnten. Das schwierigste ist sicher das Sterben selbst: Wir müssen alles verlassen und Vertrauen und Hoffnung darauf setzen, alles zu gewinnen. Auch da konnte ich bei vielen beobachten, dass dieser Augenblick mit großen Gnaden verbunden war. Mit Freuden gehen zu können, ist ein Geschenk,um das ich bete.

Haben sie Vorbilder im Altwerden?

Da fällt mir als erstes Kardinal König ein, ein großer Mann, der gegen Ende seines Lebens zwar körperlich entkräftet war, aber geistig immer weiter wuchs. Vorbildlich finde ich auch all die großartigen alten schwer kranken Menschen, die ich Zeit meines priesterlichen Dienstes kennengelernt habe. Manche haben gekämpft wie Löwen. Ich bete jeden Tag für die schwer Kranken, das schafft natürlich auch eine Verbindung zu dieser Realität. Nicht zuletzt darin fühle ich mich mit Papst Franziskus verbunden, der die Schmerzen sieht, die die Menschen leben und gerade dorthin geht.

Der jüdische Theologe Martin Buber hat einmal gesagt: „Altwerden ist ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt“ ...

Das würde ich unterschreiben.  Jeden Tag neu anfangen, darin liegt die Chance, wirklich und bewusst zu leben, auf das Wesentliche ausgerichtet.
Was bräuchte es aus Ihrer Sicht, damit die Gesellschaft stärker von der Weisheit und Erfahrung der Älteren profitieren kann?
Es bräuchte mehr Ehrfurcht vor dem Menschen überhaupt, nicht nur vor den Alten. Der Fokus in der Erziehung sollte nicht so einseitig auf die naturwissenschaftliche, sondern stärker auf die geistige Bildung gerichtet werden. Aufeinander hören ist eine Qualität, die mehr gepflegt werden müsste. Dann würde sich die Wahrnehmung der älteren Generation auch nicht auf das Thema „Betreuung“ reduzieren, wie es gegenwärtig oft geschieht. Je mehr Alte und Junge in Liebe verbunden sind, desto mehr verflüchtigen sich Probleme. Wenn die Generationen Konkurrenzkampf betreiben, dann geht gar nichts mehr. Auch für den Weg der Kirche in die Zukunft ist es entscheidend, dass keiner sich mehr über die anderen erhebt, dass jeder den anderen höher einschätzt als sich selbst.

Interview: Dorothee Wanzek

Aus Anlass des 30. Weihetags wird am 18. Februar um 10.30 Uhr ein festliches Hochamt mit Bischof Heinrich Timmerevers und Altbischof Joachim Reinelt in der Dresdner Kathedrale gefeiert.