Podiumsdiskussion zur Lage in Syrien und im Libanon

Das Schweigen ist eine Bombe

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Eine Podiumsdiskussion zur Lage der Menschen in Syrien und im Libanon fand in Erfurt statt. Dabei wurde an das Leid des Krieges und die tiefen seelischen Verletzungen erinnert, die besonders Frauen und Kinder erfahren.

Podiumsdiskussion zur Lage in Syrien und im Libanon.    Foto: Holger Jakobi

 

„Wir Menschen leben in der ‚Einen Welt‘. In ihr sollte Solidarität auf unserer Fahne stehen, nicht Entsolidarisierung“, sagte Pirmin Spiegel, der Hauptgeschäftsführer von Misereor zur Eröffnung der bundesweiten Fastenaktion seines Hauses in Erfurt. Das Motto der Aktion lautet „Gib Frieden“. Damit, so Pirmin Spiegel, wolle Misereor zeigen, wie zerbrechlich der Frieden in vielen Teilen der Welt ist. Er sagte: „ Frieden wird verhindert, wo Ausgrenzung besteht, wo Perspektiven fehlen, wo Armut, Ungleichheit und Ungerechtigkeit vorherrschen.“ Weiter kritisierte Spiegel in einer Podiumsdiskussion im Gemeindehaus St. Severi auf dem Domberg, dass das Schweigen und eigentliche Nichtstun Europas gegenüber dem Leid der Menschen im Bürgerkriegsland Syrien und im Libanon, der Geflüchtete aufnahm, ein Skandal sind. Diese Stille, das Schweigen der Welt bezeichnete Spiegel als Bombe, welche die Menschen in beiden Ländern treffe.
„Es ist eine ausweglose Situation. In Syrien und im Libanon leben Kinder, die ihre Sprache verloren haben, die nicht mehr lächeln können, die einfach nur Angst haben.“ Europa, so Spiegel weiter, hat einfach Angst davor, dass die Türkei das Flüchtlingsabkommen aufkündigt. Der Hauptgeschäftsführer mahnte dennoch an, Verantwortung zu übernehmen. So könne die Bundesrepublik Deutschland nicht wegschauen, ein Land, das beispielsweise Saudi Arabien mit Waffen hochrüste. Misereor will hierzu mit der Bundesregierung ins Gespräch kommen. Ein wirtschaftliches Embargo gegen Syrien lehnte Spiegel jedoch ab. „Es trifft die Armen und nicht Assad.“
 

Angebote für Christen und Muslime
Schwester Antoinette Assaf (Gemeinschaft vom Guten Hirten) ist die Direktorin eines Gemeinde-Gesundheitszentrums in Beirut. In der Podiumsdiskussion berichtete sie über ihre Arbeit und die Situation im Libanon. Bis vor wenigen Jahren war der Libanon noch von syrischen Streitkräften besetzt. „Einige Menschen haben dort deshalb große Vorbehalte gegenüber den syrischen Flüchtlingen“, so Schwester Antoinette. Sie machte deutlich, dass das Gemeinde- Gesundheitszentrum für Muslime und Christen da ist. „Wir arbeiten mit einem großem Herzen. Wir wollen die Menschen auf ihrem Weg der Heilung begleiten.“ Ziel der Arbeit ist es unter anderem, dass die Menschen sich kennenlernen, sich begegnen. „Häufig fängt dieser Prozess mit einem gemeinsamen Kaffee an, bei dem man schnell feststellt, dass die Probleme im Alltag dieselben sind.“ Schwester Antoinette Assaf erinnerte an die furchtbaren Kriegserlebnisse und die seelischen Verwundungen, die viele Geflüchtete aus Syrien oder dem Irak tragen. Oft bestimmen diese das Krankheitsbild mit.
Über die Arbeit des Flüchtlingsdienstes der Jesuiten (JRS) – der sowohl in Syrien und im Libanon tätig ist – informierte die Assistentin der Regionalleitung des Dienstes, die Französin Anne Ziegler. Sie machte unter anderem deutlich, dass besonders Frauen und Kinder unter dem Krieg in Syrien leiden. Ein Leiden, das sich in den Flüchtlingscamps fortsetzt. In dieser Situation ist es wichtig, die Geflüchteten aufzusuchen, Verbindungen auszubauen, die Kinder zum Schulbesuch einzuladen. Wir bitten die Eltern darum, ihren Kindern Bildung zu ermöglichen. Syrien ist nach Angaben des JRS ein Trümmerfeld. Fast 12 Millionen Menschen mussten seit Beginn des Krieges im Jahr 2011 das Land verlassen oder in andere Landesteile umsiedeln.
Schwester Antoinette berichtete, dass im Libanon die meisten syrischen Flüchtlinge Schutz suchen. Zahlreiche Flüchtlingsfamilien müssen hier die kalte Jahreszeit in provisorischen Camps überstehen. Kein anderes Land nimmt so viele von ihnen auf. Dazu kommen die Geflüchteten aus dem Irak, die in einer ersten Flüchtlingswelle ins Land kamen. „Sie waren wohlhabend, konnten eine Zeit lang normal leben. Inzwischen sind sie alle verarmt und auf Hilfe angewiesen.“ Nach Angaben von Caritas-International sind seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 über eine Million Menschen in den Libanon geflüchtet, sodass heute jeder sechste Einwohner des Libanons ein Geflüchteter ist. Problematisch für den Libanon, so Schwester Antoinette, ist eine völlig überforderte Regierung, die im Grunde nicht handelt. „Von daher müssen wir zum Teil Aufgaben übernehmen, die eigentlich Sache des Staates sind.“
Angesprochen wurde zudem die aktuelle Lage in Idlib. Derzeit, so Anne Ziegler, ist die Bevölkerung dort auf vier Millionen Flüchtlinge angestiegen. Darunter viele bewaffnete Oppositionelle mit ihren Familien. Eine Rückkehr in ihre Heimatgebiete schließe sich für diese und viele andere aus, da sie mit Verfolgung, Drangsal und Tod rechnen müssen. Die Lage in den Flüchtlingscamps ist dramatisch. Es ist Winter und viele haben nur eine Plastikplane, für die sie bezahlen müssen. Pirmin Spiegel bedauerte, dass das Hilfswerk Misereor und seine Partner derzeit nicht in die Region könne.
Veranstalter der Podiumsdiskussion waren das Katholische Forum unter der Leitung von Niklas Wagner und die Evangelische Erwachsenenbildung.

(jak/kna/ci/jrs)