Priesterkandidaten und andere Studenten leben in Erfurt zusammen

Ein Seminar öffnet sich

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Im Erfurter Regional-Priesterseminar wohnen Priesterkandidaten und Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen seit einem Jahr im Pius-Kolleg zusammen. Die dabei gewonnenen Erfahrungen sind überwiegend gut.

Der wöchentliche Gemeinschaftsabend der Bewohner des Pius-Kollegs im Erfurter Priesterseminar beginnt immer mit einer von Studenten gestalteten Andacht.     Fotos: Eckhard Pohl

 

Montagabend, 18.15 Uhr, im Erfurter Regional-Priesterseminar.  In der Hauskapelle versammeln sich junge Männer und Frauen, Regens, Spiritual und zwei Ordensschwestern zur gemeinsamen Andacht. Es wird gesungen und gebetet, eine Studentin hält eine kleine Ansprache. Im Anschluss treffen sich alle zum Essen und danach ist Gemeinschaftsabend mit dem Spiritual.
Seit einem Jahr gibt es im Priesterseminar Pius-Haus mitten im Zentrum von Erfurt das Pius-Kolleg, vorher bestand bereits seit 2016 eine Pius-WG (Wohngemeinschaft). Im Kolleg leben und wohnen die aktuell nur drei Priesterkandidaten aller fünf Studienjahre (!) gemeinsam mit 14 anderen Studentenn unter einem Dach. „Die Zahl der Priesterkandidaten  in unserer Region ist sehr gering“, sagt Regens Ansgar Pohlmann. Zuletzt sei sie nochmals stark gesunken, da die (Erz-)Diözesen Berlin, Dresden-Meißen und Görlitz im Gegensatz zu Erfurt und Magdeburg ihre Priesterkandidaten vor allem an die Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt (Main) geschickt hätten. „Wir standen vor der Frage: Wenn wir weiterhin in Ostdeutschland Priester ausbilden wollen, müssen wir eine Möglichkeit finden, wie die Studenten pastoral, aber auch sozial kompetent, wie das ja auch für die Priesterausbildung gefordert ist, auf ihre Aufgabe vorbereitet werden.“ Daraus sei „die Idee entstanden, ein Zusammenleben mit Studenten anderer Fachrichtungen und Auszubildenden zu organisieren“, so Pohlmann.
„Wir nehmen alle am wöchentlichen Gemeinschaftsabend, an der Hausmesse am Donnerstagabend und an den Kolleg-Sonntagen teil, die dreimal im Semester stattfinden“, sagt Johannes Grote aus Beverbruch im Oldenburger Münsterland. Der gelernte Landwirt studiert an der Fachhochschule Erfurt Gartenbau und findet das Zusammenwohnen von jungen Christen im Pius-Kolleg eine gute Sache. „Manchmal ist es auch nicht möglich, abendliche Lehrveranstaltungen und das verpflichtende Kolleg-Programm unter einen Hut zu bekommen. Aber meistens geht das schon“, sagt Grote, und: „Ich bin sehr dankbar für die geistlichen Impulse und genieße zugleich die Freiheit, die ich im Kolleg auch habe.“
 
Wohngemeinschaft auf zwei Fluren
Auf zwei Fluren des Priesterseminars Pius-Haus wohnen je acht bis zehn Studenten, unter ihnen derzeit fünf Frauen. Jedes Zimmer hat Nasszelle und Internetanschluss. Zu jedem Flur gehört eine gemeinsame Wohnküche. Im Haus gibt es die Pius-Lounge, wo auch mit Besuchern gefeiert werden kann, zudem Tischtennis- und Fitnessraum. Auch die Seminarräume und der Meditationsraum können von allen genutzt werden. Die Bewohner versorgen sich grundsätzlich selbst. Frühstück und Mittagessen sind gegen Bezahlung auch im Speisesaal möglich.
Alle Kolleg-Bewohner übernehmen im Wechsel Dienste wie Einkauf oder Mülltrennung, aber auch den liturgischen Wochendienst. Vor allem das Abendgebet am Montag und die Hausmesse am Donnerstag sollen jeweils von zwei bis drei Studenten gemeinsam vorbereitet werden. Zudem kann der Küster-, Kantoren- und Ministrantendienst übernommen werden. Auch die Nicht-Priesterkandidaten haben die Möglichkeit, sich von einem geistlichen Mentor in Fragen von menschlicher Reife und Entwicklung, geistlicher Formung, Studium und intellektueller Bildung sowie pastoraler Befähigung monatlich begleiten und beraten zu lassen.
„Durch die anderen Kommilitonen im Pius-Kolleg sind wir nicht mehr nur unter uns. Das ist gut so“, sagt Priesterkandidat Lukas Henneke aus Bernterode. In der Pfarrei lebe man als Pfarrer ja schließlich auch nicht abgeschottet, betont der Theologiestudent im zehnten Semester. „Das Miteinander mit den anderen Studenten sichert ein Stück Alltagsnormalität. Bei unseren gemeinsamen Themenabenden zum Beispiel muss ich bei Glaubensfragen eben anders formulieren als im Theologiestudium“, sagt Henneke. „Wenn es da etwa um die Taufe geht, ist es wichtig, einfach und allgemeinverständlich zu sprechen.“ Im übrigen sei es durchaus beeindruckend, eine „größere Vielfalt von Spiritualität und Frömmigkeitsformen“ zu erleben, die die Kolleg-Bewohner einbringen. Dies sei etwa bei den Montags-Andachten der Fall mit Lobpreisliedern zur Gitarre über Marienandachten bis zur eucharistischen Andacht.
 
Am Kolleg-Sonntag zum Semesterabschluss waren die Kommilitonen auch in der Natur unterwegs.

 

Dem Kolleg kritisch gegenüberstehende Stimmen würden nicht völlig zu Unrecht beklagen, dass für die Priesterkandidaten jetzt vielleicht zu wenig die Liturgie in ihrer Hochform gefeiert und eingeübt wird, sagt Hennecke. „Doch was nützt es, mehrere Jahre in einer Sonderwelt zu leben, die dann in den Gemeinden kaum noch erfahren wird.“ Außerdem habe sich bei den Laien-Theologiestudenten durch die neue Form des Zusammenlebens das Außenbild des Seminars zum Positiven gewandelt. „Jetzt kommen sogar manchmal Laien-Studenten morgens ins Seminar, um an der Messe teilzunehmen.“
Theresa Baudisch aus Heiligenstadt und Pauline Cholewczynski aus Beuren im Eichsfeld gehören zu den jungen Frauen im Kolleg. Sie finden es gut, dass man hier über den Glauben sprechen und ihn vertiefen kann. Im übrigen sei das freundschaftliche Miteinander Grund genug, im Kolleg zu wohnen, sagt Cholewczynski, die Theologie und Philosophie studiert. Auch Gartenbau-Student Janik Weiß aus Gera schätzt die vorhandenen Möglichkeiten. Er sei in einer nichtchristlichen Familie aufgewachsen, habe aber durch eine katholische Oma eine Ahnung vom Glauben und sehe das Leben im Kolleg als Chance, sich über seine eigenen Glaubensauffassungen klarer zu werden, sagt Weiß.
 
Priesterausbildung in der Diaspora - ein Experiment
Regens Pohlmann, Subregens Egon Bierschenk und Spiritual Augustinerpater Jakob Olschewski verstehen das Pius-Kolleg zunächst als Experiment. Die Erfahrungen seien jedoch sehr positiv: „Das Zusammenleben im Seminar hat größere Weite bekommen. Es leben Frauen mit im Kolleg, die jungen Leute studieren in verschiedenen Fachrichtungen, die Gespräche sind nicht mehr nur innerkirchlich orientiert. Durch die Selbstversorgersituation und das Zusammenleben besteht ein Übungsfeld, übernommene Aufgaben durchzutragen und Konflikte auszutragen.“ Pohlmann ist  überzeugt: „Auch wenn die Zahl der Priesterkandidaten wieder wachsen sollte, würden wir das Zusammenleben im Pius-Kolleg beibehalten.“ Den Bestand eines Priesterseminars in der besonderen Diaspora-Situation Ostdeutschlands hält der Regens für unerlässlich: „Es ist gerechtfertigt, nahe der jeweiligen Ortskirche ein Seminar zu unterhalten.“

Bewerbungen, im Kolleg zunächst für ein Jahr zu wohnen, sind bis Anfang September möglich:      
Regens Angar Pohlmann, Tel. 03 61 / 5 97 30; E-Mail regens@priesterseminar-erfurt.de
 
Von Eckhard Pohl