Anstoss 30/19

Geschenkt

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Kannst du mich verlieben? Diese Frage stellt mir mein Sohn des Öfteren. Er ist in dem Alter angelangt, in dem die Fragen von Freundin, lieben und heiraten interessant werden.

„Mama, kannst du mich verlieben?“ – nein, mein Lieber, das kann ich nicht. Verlieben kann man sich nur selbst. Klar, es braucht bestimmte Bedingungen dazu. Zum Beispiel, dass es jemanden gibt, in den man sich verliebt. Es ist sogar so, dass man sich nicht auf Knopfdruck verlieben kann, selbst dann nicht, wenn man es unbedingt wollte. So, ich verliebe mich jetzt, und schwupp flattern die berühmten Schmetterlinge im Bauch, das geht nicht. Dazu gehört viel mehr, und zwar etwas, was nicht in unserer Hand liegt. Die Nichtromantiker erklären das ganz nüchtern mit biochemischen Prozessen im Gehirn der jeweils ineinander Verliebten. Also, wenn es mit der Chemie stimmt, kann es auch mit der Liebe klappen. Wenn nicht, dann nicht. Was nun so gar nichts mit biochemischen Prozessen zu tun hat, aber eine gewisse Ähnlichkeit aufzeigt, ist der Glaube an Gott. Kannst du mich glaubend machen? Diese Frage müsste ich auch mit Nein beantworten. Jemanden ausführlich und sachkundig vom Glauben zu erzählen, ihn darin vielleicht sogar tiefgründig zu unterrichten, würde ihn noch lange nicht zu einem Glaubenden machen. Selbst das gelebte Glaubenszeugnis kann lediglich Interesse wecken, den Glauben anziehend machen. Dass jemand aus tiefstem Herzen glauben kann, liegt nicht in unserer Hand. Den Boden bereiten ja, säen ja, aber dass die Saat aufgeht und Frucht bringt ... das ist nicht unser Werk. Ich finde das sehr befreiend. Es befreit von der Verzweiflung, wenn der andere trotz meiner Bemühungen und meines redlichen Glaubenszeugnis‘ nicht zum persönlichen  Glauben an Gott findet. Es befreit von der Vorstellung, dass alles machbar ist, wenn man sich denn nur Mühe gibt. Es befreit von dem Frust, versagt zu haben. Glauben können wir nicht machen. Gott sei Dank! Was uns als selbst Glaubende betrifft: dass wir glauben können und dürfen, verdanken wir nicht uns. Es ist ein Geschenk! Die Freude daran, die können wir weitergeben. Am besten ohne Worte. Oder um es mit dem Papst zu sagen, „nur wenn es notwendig ist, auch mit Worten“.
 
Andrea Wilke, Erfurt