Fastentücher als Zeichen der Ökumene

Gewohntes aufbrechen

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Von Aschermittwoch an verhängen Repliken der Zittauer Fastentücher in Osnabrück die Altäre im Dom und der evangelischen Marktkirche St. Marien. Es sind geistliche Impulse mit ökumenischem Zeichen.


Das Große Zittauer Fastentuch aus dem Jahr 1472 hängt in der Kirche zum Heiligen Kreuz. Ab Aschermittwoch ist eine Replik in Osnabrück zu sehen. Foto: Städtische Museen Zittau/René Pech

„In der Fastenzeit werden die Reliquien und Kreuze verhüllt und ein Tuch zwischen dem Allerheiligsten und der Gemeinde aufgespannt.“ Um das Jahr 1000 erläuterte Abt Aelfric von Winchester einen Brauch, der heute in den Misereor-Hungertüchern weiterlebt. Sollten zunächst schlichte weiße oder violette Fastentücher den Blick auf Altar und Messfeier verknappen, so wurden diese im Laufe des Mittelalters immer aufwendiger gestaltet.

1472 stiftete der wohlhabende Getreide- und Gewürzhändler Jacob Gürtler der Zittauer Johanniskirche ein solches 8,20 mal 6,80 Meter messendes, opulent bemaltes Tuch mit 90 Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament. Weil Kunsthistoriker in dem beeindruckenden Werk Parallelen zu mittel- und nordeuropäischen Wandmalereien sehen, kommt als Künstler der Zittauer Ordensbruder Vincentius infrage, der einige Jahre später das Gewölbe der dortigen Franziskanerkirche ausmalte. 

Historischen Schriften zufolge wurde das Große Zittauer Fastentuch seither alljährlich zwischen den östlichen Vierungspfeilern der Johanniskirche aufgehängt: „Nachdem es 200. Jahr gehangen hatte, wurde es anno 1672, gar abgeschafft, weil es von dem Staube ziemlich verderbet und mürbe worden“, heißt es in einer Quelle von 1716 weiter.

Damit hatte die evangelische Bürgerkirche an einem Brauch festgehalten, den Martin Luther eigentlich als „päpstisches Gaukelwerk“ abschaffen wollte. Während sich das Zittauer Bürgertum damals der Lehre des Reformators zuwandte, blieb die Oberlausitz – wie das Osnabrücker Land nach 1650 – insgesamt bikonfessionell. Noch bis 1570 fanden in vielen Kirchen sowohl katholische als auch evangelische Gottesdienste statt. Noch erstaunlicher ist, dass die Johanniskirche 1573 sogar ein neues 4,30 mal 3,80 Meter messendes Fastentuch mit der Kreuzigung Christi in Auftrag gab – umgeben von den Werkzeugen und Zeugnissen seines Leidens.

Soldaten nutzten es für russische Badestube

Zunächst verblieb das Große Fastentuch nach 1672 wohl ungenutzt hinter dem Altar der Kirche und wurde um 1700 in die Ratsbibliothek überführt. Dort 1840 wiederaufgefunden, präsentierte man es in den folgenden 100 Jahren in Ausstellungen in Dresden und Zittau. Kriegsgefangene transportierten das kostbare Stück im Februar 1945 in eine nahegelegene Klosterruine. Dort entdeckten es nach der Besetzung im Mai russische Soldaten, schnitten es in vier Teile und – so ein zeitnaher Bericht – nutzten es „14 Tage lang als Wand und Deckenverkleidung der russischen Badestube“. Ein Holzsammler stellte den ramponierten textilen Schatz schließlich gemeinsam mit dem Pfarrer sicher, nachdem das Militär weitergezogen war.

Nach dem Mauerfall entdeckte Volker Dudeck als neu berufener Direktor der Städtischen Museen Zittau diverse Teile des Großen Fastentuches zertrennt in einem Depotraum und stellte – unterstützt durch Medien und Fachwissenschaft – die Weichen für eine fachgerechte Restaurierung durch die renommierte Abegg-Stiftung im schweizerischen Reggisberg. Trotz der in der russischen Sauna 1945 unwiederbringlich verblassten Partien bestaunen seit 1999 alljährlich über 30 000 Menschen aus der ganzen Welt das Tuch in der Zittauer Museumskirche Zum Heiligen Kreuz, wo es durch die – laut Guinnessbuch der Rekorde – größte Vitrine der Welt vor schädlichen Einwirkungen geschützt ist. Das Kleine Zittauer Fastentuch ist zudem seit 2005 in einem gesonderten Ausstellungsraum im Kulturhistorischen Museum Franziskanerkloster zu sehen.

Eine Ausstellung begleitet das Projekt

Das Osnabrücker Domkapitel und die Verantwortlichen von St. Marien sowie die Zittauer Kooperationspartner und das Osnabrücker Diözesanmuseum als Initiatoren verfolgen mit dem Fastentuch-Projekt mehrere Ziele: Die Repliken der Zittauer Tücher sollen sowohl in der Kathedrale als auch in der Marienkirche sechs Wochen lang für veränderte Ein- und Durchblicke sorgen und so vor Ostern nicht nur zu Nachdenken und Besinnung anregen, sondern im Miteinander beider Orte auch ökumenische Schlaglichter werfen. 

Darüber hinaus öffnet eine begleitende Ausstellung mit Fotos und Texten den Blick in eine Region, die im Grenzgebiet zwischen Sachsen und Böhmen ein jahrhundertelang eingeübtes, nicht nur konfessionell tolerantes Miteinander entwickelt hat. Informationen zur „Via Sacra“ durch die Oberlausitz sowie Polen und Tschechien sollen darüber hinaus mit Zielen wie den Zisterzienserinnenklöstern Marienstern und Marienthal oder der Herrnhuter Brüdergemeine Facetten eines christlichen Abendlandes beleuchten, das heute als polemisches Argument im politischen Diskurs missbraucht wird. Nach Ostern sind weitere Stationen in Lingen und Bremen vorgesehen. 

Hermann Queckenstedt


Zur Sache

Im Dom startet Bischof Franz-Josef Bode das Fastentuch-Projekt mit dem Aschermittwochsgottesdienst um 19 Uhr. Im Kreuzgang des Domes werden die Misereor-Hungertücher auf einem Monitor zu sehen sein. Am Donnerstag, 27. Februar, gibt Volker Dudeck als langjähriger Hüter der Zittauer Fastentücher um 19 Uhr in einem Vortrag im Forum am Dom (Domhof 12) Einblicke in deren Geschichte und Gegenwart.