Die Dombibliothek – eine Schatzkammer

Mehr als alte Schinken

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Eine Schatzkammer – prall gefüllt mit Büchern. Die Dombibliothek am Domhof gehört zu den ältesten und wichtigsten Sammlungen in Deutschland. Spannend und informativ erzählt Direktorin Monika Suchan Geschichte und Geschichten ausgewählter Werke.


Ein Buch erzählt Geschichte: Monika Suchan präsentiert die Indianer-Bibel im Dialekt der Algonquin.

Anders als heute hat Hildesheim im Mittelalter aufgrund seiner Verbindungen zu politischen und kirchlichen Herrschern in der ers­ten Liga gespielt. Die Domschule gehörte zu den wichtigsten Bildungseinrichtungen des damaligen Reiches. Und auch deshalb kann Monika Suchan, Direktorin der heutigen Dombibliothek, auf eine wahre Schatzkammer zurückgreifen: aufwendig gestaltete Inkunabeln und wertvolle Bücher in dicken Ledereinbänden mit dem Wissen von tausend Jahren sind in den langen Regalen des Archivs gelagert. Aber die wahren Schätze lagern hinter einer dicken Stahltür – gut geschützt bei immer gleicher Temperatur. Zugang hat nur, wer den Code kennt.

Wer wenn nicht Monika Suchan weiß genau, dass hinter vielen der Bücher spannende Geschichten stecken. „Bücher zum Sprechen bringen“ ist ihr schon seit Jahren ein wichtiges Anliegen. Das geschieht durch kleine Ausstellungen, durch Präsenta­tion einzelner Werke im Internet und jetzt auch so, wie es sich für eine der ältesten und wichtigsten Bibliotheken in Deutschland gehört: durch ein Buch.

Vom Stundengebet bis zur Indianermission

„Buchgeschichten in Raum und Zeit“ ist der Titel, vorgestellt wird eine sicherlich nur winzige Auswahl des riesigen Bestands. Die neun Werke allerdings haben es allesamt in sich – weil sie als kostbare Dokumente von einer längst vergangenen Zeit erzählen: vom Weltbild der Menschen, von ihrem Leben und Glauben, von ihren Forschungen und Entdeckungen.
 


Der betende David – dargestellt im Codex Rotundus, einem mittelalterlichen Stundenbuch.

Nehmen wir nur mal als Beispiel den Codex Rotundus, ein einzigartiges Gebetbuch. Wie der Name vermuten lässt, ist es kreisrund und nicht größer als ein paar gestapelte Bierdeckel. Zum Niederknien schön sind die Seiten aus Pergament, den feinen Illustrationen links ist jeweils ein Text gegenübergestellt. Am Beispiel dieses Stundenbuches erzählt Monika Suchan die Geschichte ihres Besitzers, Herzog Adolf III. von Kleve und Herr zu Ravenstein und Winnendahl, eingeordnet in wirtschaftliche und geistliche Zusammenhänge des 15. Jahrhunderts. Wir lesen im entsprechenden Kapitel von Tuchhandel, alltäglicher Frömmigkeit, einer ritterlichen Laufbahn und einem Gott gefälligen Lebenswandel. „Reich, schön und fromm. Im Mittelalter war das kein Widerspruch“, fasst Monika Suchan s0Historische Bücher sind eine Wissenschaft für sich. Und wer sich damit befasst, erliegt nur zu leicht der Versuchung, seine Nachforschungen bedeutungsschwer und unverständlich zu formulieren. Ganz anders die Hildesheimer Autorin: Sie schreibt spannend, kurzweilig und informativ zugleich. Egal, ob sie sich Georg Eders in Leder gebundenen Schinken „Evangelische Inquisition wahrer und falscher Religion“ (1574) vornimmt und an diesem Beispiel erzählt, wie der Rattenfänger nach Hildesheim kam. Das „Tausendblatt des Polycarp von Münster“ (1688) berichten lässt, wie sich die Menschen jener Zeit gefühlt haben, als sie plötzlich protestantische Nachbarn hatten. Oder mithilfe „Indianerbibel“ (1685) aus der Bibliothek des Hildesheimer Domherrn Johann von Reuschenberg die Leser mitnimmt auf Missionsreise nach Nordamerika.

„Mir ist bewusst geworden, wie wenig ich weiß“, sagt Monika Suchan über ihre Recherchen. Die Leser ihrer Buch-Geschichten jedenfalls sind nach der Lektüre um einiges schlauer.

Stefan Branahl

Monika Suchan: „Buch-Geschichten in Raum und Zeit“, Verlag Schnell & Steiner in Zusammenarbeit mit Bernward Medien, 128 Seiten, ISBN 978-3-7954-3594-3, 24,95 Euro