Bremer vermittelt Kinderpatenschaften in Indien

Neue Paten sorgen für ruhigen Schlaf

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Karl Böhme in seinem Indienzimmer mit einem Fotoalbum
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Foto: Anja Sabel

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Karl Böhme aus Bremen hat eines seiner vielen Indien-Fotoalben aufgeschlagen. Foto: Anja Sabel

Die Indienhilfe ist sein Lebenswerk. Karl Böhme aus Bremen hat den Subkontinent mehrmals bereist, Schulen wesentlich mitfinanziert und viele Kinderpatenschaften vermittelt. Das reicht ihm aber noch lange nicht. Für sein Engagement wird der 87-Jährige jetzt mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

„Kommen Sie, wir gehen ins Indienzimmer.“ Karl Böhme steigt noch mühelos die Stufen zum Dachgeschoss seines Wohnhauses hinauf. Über sein Lebenswerk spricht der Bremer am liebsten umgeben von Erinnerungen. Im Indienzimmer mit Schreibtisch und bunt gemusterter Sitzecke bewahrt er Bilder und Skulpturen auf, die er von seinen Reisen mitgebracht oder als Geschenke erhalten hat. Dort blättert er gern in Fotoalben, dort pflegt er Kontakte per E-Mail und dokumentiert in Ordnern die Kinderpatenschaften. Rund 300 hat er bisher vermittelt, überwiegend im Freundes- und Bekanntenkreis sowie in der Kirchengemeinde. „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich wieder neue Paten gewonnen habe, dann kann ich ruhiger schlafen“, sagt er und lacht.

Der indische Subkontinent, auf dem heute rund 1,4 Milliarden Menschen leben, beschäftigt Karl Böhme seit 63 Jahren. Er und seine Frau haben nach der Geburt ihrer ältesten Tochter nicht nur zwei indische Kinder adoptiert, sondern kontinuierlich Entwicklungsarbeit geleistet. Als Chefkonstrukteur im Maschinenbau, sagt Böhme, sei er in der Lage gewesen, drei große Schulgebäude und eine Slumschule wesentlich mitzufinanzieren. Stolz legt er eine gerahmte Urkunde auf den Tisch, die das belegt.

Die Hilfe begann mit einer Zwei-Dollar-Spende. Karl Böhme schickte das Geld in einem Briefumschlag an den deutschen Pallottinerpater Hanns Weidner, damals Apostolischer Administrator der Diözese Raipur. 1977 flog er nach Indien, um die Priesterweihe seines allerersten Patenkindes mitzuerleben. Elf weitere Reisen folgten, oft begleitete ihn sein Sohn, später waren auch die Enkeltöchter dabei.

Mittlerweile strengt ihn das Reisen an – die schweißtreibenden Temperaturen, die vielen Impfungen und unbequeme Betten setzen ihm zu. Dennoch machte sich Karl Böhme vor drei Jahren noch einmal auf den Weg – auf Spurensuche mit seiner jüngeren Tochter, die in den Slums von Mumbai geboren, ausgesetzt und von katholischen Ordensfrauen, den „Helpers of Mary“, gerettet wurde.  

Für eine gerechtere Welt ist Bildung wichtig

Nach dem Glauben des Hinduismus ist die Seele auf einer ständigen Reise. Ob Armut oder Reichtum, Krankheit oder Gesundheit – all diese Dinge weisen auf das vorherige Leben hin. Aus diesem Glauben heraus ist auch das Kastensystem begründet, das noch immer die gesellschaftliche Rangordnung in Indien festlegt: Jedem Hindu wird seine Rolle im jetzigen Leben entsprechend seiner Verfehlungen im vorherigen Leben zugewiesen.

Mit vorherbestimmter Armut und Ungleichheit will sich Karl Böhme aber nicht abfinden. Er ist überzeugt: Für eine gerechtere und bessere Welt ist Bildung und damit auch das Vermitteln christlicher Werte wichtig. „Selbst  die höchste Hindukaste, die Brahmanen, schicken heute ihre Kinder in die christlichen Schulen und Internate, weil sie die besten sind“, sagt er. Eine dieser Schulen wurde im Dorf Jairamnagar gebaut, wo die älteste Missionsstation der Diözese Raipur steht. Dort besuchen 2500 Schülerinnen und Schüler den Unterricht. Die 1989 eingeweihte Schule heißt St. Joseph – wie die frühere katholische Grundschule in Bremen-Oslebshausen.

Blick ins Fotoalbum
Auf seinen Reisen hat Karl Böhme auch Jyoti kennengelernt, eine junge Frau, die von einer Kinderpatenschaft profitiert hat. Sie konnte die Schule besuchen, hat Mathematik und Physik studiert und arbeitet heute als Lehrerin. Foto: Anja Sabel

Gern hätte Karl Böhme auf seiner letzten Indienreise auch noch eine kleinere Schule im Urwaldort Aundhi besucht, die Pragya High School mit 500 Mädchen und Jungen. Er war schon öfter dort. Doch diesmal, sagt er, sei es zu gefährlich gewesen. Erst wenige Tage zuvor hatten Maoisten, die vor allem in Dschungelgebieten gegen die indische Regierung kämpfen, in der Nähe zwei Autos in Brand gesetzt. „Die Projektleiter haben uns dann aber im Pastoralzentrum in der Stadt Raipur besucht.“

Es waren katholische Christen aus Raipur, die sich als Erste für die bitterarmen Ureinwohner, die Tribals, in Aundhi einsetzten. 1986 wurde dort aus Lehm die erste Kirche, St. Isidor, gebaut, benannt nach dem spanischen Heiligen Isidor, der im sechsten Jahrhundert lebte und viele Schulen und Bibliotheken errichtet hatte. 2016 entstand dann ein gemauertes Gotteshaus im Urwaldort.

Mehr als 300 Patenkinder haben seit 1991 lesen, schreiben und rechnen gelernt

30 000 Menschen, darunter etwa 350 katholische Familien, leben heute im Einzugsgebiet von Aundhi. Die meisten von ihnen sind Analphabeten, sie wohnen überwiegend in Lehmhütten und ernähren sich vom Reisanbau. „Viele Eltern sind deshalb dankbar, wenn ihr Kind durch eine Patenschaft in einem Internat aufgenommen werden und eine Schule besuchen kann“, sagt Karl Böhme. Er freut sich, dass im vergangenen Jahr ein Schülerwohnheim für 125 Jungen eingeweiht werden konnte, gesponsert vom Kindermissionswerk in Aachen. Ein Mädcheninternat gibt es bereits.

Ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Kindermissionswerk entstand 1991 das erfolgreiche Kinderpatenschaftsprogramm – inzwischen sind es fünf Patenschaftsgruppen an verschiedenen Orten. In Aundhi allerdings sei die Armut, bedingt durch die Coronapandemie, wieder größer geworden, „so dass es auch wieder mehr hilfsbedürftige Kinder gibt, denen mit einer Patenschaft ein besseres Leben geschenkt werden kann“.

Mehr als 300 Patenkinder haben seit 1991 lesen, schreiben und rechnen gelernt. Davon erzählt Karl Böhme mit einem Lächeln im Gesicht. Jyoti, eine junge Frau aus einer armen Brahmanenfamilie, ist so ein Beispiel. Böhme traf sie mehrmals auf seinen Reisen. Ihrem Vater, einem Gemüsehändler, konnte nicht allen vier Töchtern eine gute Schulbildung ermöglichen. Er bat die Schulleitung um Hilfe, die vermittelte der damals sechs Jahre alten Jyoti eine Patenschaft. Nach ihrem Schulabschluss studierte sie Mathematik und Physik und wurde Lehrerin. Seit acht Jahren ist Jyoti glücklich verheiratet und Mutter eines Sohnes.


Kinderpatenschaften

Die Patenschaft für ein Kind in Indien kostet monatlich 18 Euro (bis etwa zum 18. Lebensjahr). Das Geld kommt zu 100 Prozent beim Kind und dessen Familie an. Finanziell abgedeckt sind damit der Schulbesuch und ein Internatsaufenthalt einschließlich Verpflegung. Oft reicht die Summe sogar noch für neue Kleidung. Wer möchte, kann sich mit seinem Patenkind per Brief austauschen oder es sogar besuchen.

Vermittelt wird die Patenschaft über das Kindermissionswerk in Aachen. Interessenten wenden sich an Karl Böhme, Telefon 04 21/4 67 55 16, E-Mail: karl.boehme1@nord-com.net

Anja Sabel