Hoffnung

Stärken, was uns Kraft gibt

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Menschen an einem Sommerabend am Grill
Nachweis

Foto: istockphoto/Halfpoint

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Beim Grillen geht es nicht nur ums Essen, sondern darum, Gemeinschaft zu erleben. Das Gefühl der Verbundenheit mit anderen kann uns stärken. Foto: istockphoto/Halfpoint

Manchmal fällt es schwer, zuversichtlich zu bleiben. Doch man kann es lernen: Es ist möglich, die Hoffnung zu trainieren, sagt Andreas Walker. Er hat Positive Psychologie studiert und forscht schon lange zur Frage, welche Lebensweise Menschen Hoffnung gibt.

Herr Walker, warum rücken wir oft eher die Risiken in den Fokus als die Chancen?

Das lässt sich einerseits evolutionsbiologisch erklären. Obwohl wir in unserem konkreten Leben nicht um das Überleben kämpfen mussten, scheint die Anlage dafür stark in uns verankert zu sein. Die Bedürfnisse nach Sicherheit, Stabilität, Klarheit und Berechenbarkeit sind sehr stark – und darüber dürfen wir uns nicht lustig machen. Sei es politisch oder in der Familie: Angst ist ein Gefühl, das ernst zu nehmen ist – und Spott über vermeintliche Feiglinge hilft nicht weiter.

Und andererseits?

Im deutschsprachigen Raum gibt es die sogenannte German Angst. Wir schauen auf ein halbes Jahrtausend zurück, während dem Kriege, Zerstörung und Hungersnot immer wiedergekehrt sind. Die Bibel sagt, es sei ein großes Geschenk, wenn Gott 40 Jahre Frieden schenkt – das zeigt, dass Unruhe seit biblischen Zeiten eine Herausforderung ist. Der heutige Fortschritt erscheint uns selbstverständlich, obwohl die Welt unserer Großeltern noch ganz anders aussah. Die Gene vergessen offenbar nicht so schnell – und die Werte sind etwas, das sich nur sehr langsam verändert.

Über Werte wird viel diskutiert ...

In Deutschland haben wir eine Philosophie des Pessimismus gehabt, wenn wir an Schopenhauer oder Nietzsche denken. In der deutschen Intelligenz gilt es bis heute als schick, Zweifel und Einwände zu haben. Gerade Männer dürfen nicht euphorisch sein, sondern müssen das Haar in der Suppe finden.

Aber die Bibel sagt auch „Fürchtet euch nicht“...

Die Bibel berichtet uns von einer brutalen Zeit. Das war keine „gute alte Zeit“, und die Vorstellung, früher hätten die Menschen die Werte noch gelebt, kann sich eigentlich nicht auf die Bibel gründen. Umso erstaunlicher ist es, dass die spirituelle Botschaft eben nicht ist: „Versteckt euch und flüchtet“, sondern ein Gegenprogramm. Das macht diese Botschaft so stark: Auch wenn die Welt untergeht – Gott ist mit uns.

Der Glaube könnte also eine Ressource sein?

Unbedingt. Die biblische Zeit war von römischer Besatzung und Sklaverei geprägt, Frauen hatten nichts zu sagen. Jesus Christus beruft sich dagegen auf Maria; die Ersten, die die Auferstehung bezeugt haben, waren Frauen. Jesus handelte mutig, und auch die Geschichten der Märtyrer zeugen von Mut.

Sie bezeichnen Hoffnung als „christlichen Skill“. Unter einem Skill stellen wir uns etwas vor, das sich aktiv einüben lässt ...

Im Volksmund bezeichnen wir vieles als Gefühle: „Ich bin verliebt, glücklich oder hoffnungsvoll“. Die moderne Psychologie lehrt, dass dies keine Emotionen sind, sondern Lebenshaltungen, Einstellungen und Verhaltensweisen. In wen ich mich verliebe, da ist ein gewisser Zufall dabei. Aber wenn ich eine Ehe und eine Familie aufbauen will, dann muss ich diese Liebe praktizieren. Heute trennen sich viele Menschen, wenn das Gefühl der Verliebtheit nachlässt – die kirchliche Sexualmoral lehrt dagegen, dass sich Liebe einüben lässt, genauso wie Glaube und Hoffnung. Dafür hat sie noch keine moderne Sprache gefunden; ich würde es Kompetenz oder eben Skill nennen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Das beste Beispiel ist die Selbstwirksamkeit – oder, als Gegenpol, die erlernte Hoffnungslosigkeit. Im Elternhaus, in der Schule oder Jugendarbeit kann man jungen Menschen entweder Selbstvertrauen vermitteln oder aber sie beschimpfen und bestrafen. Beide Spiralen gibt es, und in der modernen Pädagogik ist man sich dessen bewusst. Auch in beruflichen Teams oder in Ehen gibt es Gründe, warum es funktioniert oder eben nicht. Positive Faktoren sind etwa gemeinsame Freude, Friedfertigkeit, schnell vergeben, sich gegenseitig ermutigen.

Wie kann man das aktiv üben?

Im „Hoffnungsbarometer“ haben wir immer wieder gefragt, was die Menschen tun, um Zuversicht zu schöpfen. Ganz wichtig ist: Es beginnt bei mir selbst. Es geht nicht darum, zu beten im Vertrauen darauf, dass Gott es mir dann schon schenken wird. Ich muss den ers­ten Schritt machen. Ein Dankbarkeitstagebuch oder ein Abendgebet sind gute Möglichkeiten, sich täglich bewusst zu machen, was uns Kraft gibt.

Andreas Walker
Andreas Walker ist Co-Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung swissfuture. Foto: kna/Willy Surbeck

Welche Faktoren gibt es noch?

Wichtig ist die Gemeinschaft. Alleine zu Hause, vergraben mit dem Handy – das führt zu Einsamkeit und Hilflosigkeit. Manche Menschen finden Gemeinschaft in der Familie oder im Kollegenkreis. Andere müssen sich einen Freundeskreis aktiv aufbauen. Hoffnung lernen wir gemeinsam, indem wir einander trösten, ermutigen und aufbauen.
Ein weiterer Faktor ist Bewegung und Naturerfahrung – das ist, je nach Wohnort, sehr ungleich verteilt. Natur zu erleben, Sonne und frischen Wind – dass dies guttut, ist medizinisch erwiesen. Der klassische Waldlauf oder Abendspaziergang ist dabei noch effektiver als das Laufband im Fitnessstudio, wo ich auf einem Bildschirm doch wieder negative Nachrichten verfolge.

Stichwort Nachrichten: Gerade im Zusammenhang mit der Klimakrise werden oft auch positive Zukunftsvisionen gefordert. Wie sehen Sie das?

Das ist ein Spannungsfeld. Die Frage ist: Stimme ich in Verzweiflung und Panikmache ein? Oder sage ich gerade als Christ Ja zum Leben? Das klingt ein bisschen nach Wellness, dabei ist es eine Herausforderung, das Leben als Abenteuer und als Lernprozess zu begreifen. Die Handlungen müssen von mir kommen, das kann ich weder an die Politik noch an den Papst delegieren.

Zugleich fühlen sich viele Menschen dauerhaft gestresst und überlastet – wie soll man da ins Handeln kommen?

Achtsamkeit und Meditation boomen. Auch in diesem Bereich gibt es eine kirchliche Tradition: den Rosenkranz oder Psalmen beten, Morgen- und Abendgebet, zur inneren Ruhe kommen. Wir neigen dazu, in die Extreme zu kippen, zum Beispiel zwischen Hamsterrad des Alltags und Urlaubszeiten. Wichtig ist, eine Balance zu finden.

Wenn sich viele Ideen der Psychologie durchaus schon in der Bibel finden, könnte man dann nicht stärker zusammenarbeiten?

Die Kirche hat einige ideengeschichtliche Schlachten verloren. Umgekehrt hat die Psychologie den Menschen lange als biologische Maschine betrachtet. Inzwischen ist klar: Der Mensch hat das Bedürfnis nach Spiritualität. Bei Fragen des Menschenbildes, nach dem Gelingen von Beziehungen und einem glücklichen Leben sind die alten, weisen Schriften durchaus zielführend. Es ist sinnvoll, beiden zuzuhören – Religionen und der Psychologie –- und sich herausfordern zu lassen.

Andreas M. Walker ist Co-Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung swissfuture. Das „Hoffnungsbarometer“ ist eine seit 2009 laufende Untersuchung in Deutschland und der Schweiz zur Erfahrung des Phänomens Hoffnung im Alltag der Menschen.

Paula Konersmann