Missbrauchsstudie muss Konsequenzen haben

Studie stellt Frage nach Strukturen

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Die Missbrauchsstudie muss Konsequenzen für die Ausbildung und die Auswahl von Priestern haben, fordert Andrea Fischer. Seit zehn Monaten steht die ehemalige Bundesgesundheitsministerin an der Spitze des Bischöflichen Beraterstabes zu Fragen des sexuellen Missbrauchs im Bistum Hildesheim.


Andrea Fischer sieht das Bistum auf einem guten Weg, fordert aber weitere Konsequenzen. | Foto: Branahl

Die Zahlen von Missbrauchstätern und -opfern liegen jetzt auf dem Tisch. Reicht das oder müssen jetzt auch konkrete Namen und Vorgänge benannt werden?

Eine Namensnennung von Tätern und anderen Verantwortlichen wäre sicher im Sinne der Opfer. Ich fürchte allerdings, dass viele Täter nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können, weil sie verstorben oder die Taten verjährt sind. Dennoch wäre es gut, so weit wie möglich Aufklärung zu betreiben.

Im vergangenen Jahr wurde bereits eine Studie zu Missbrauchsfällen im Bistum Hildesheim vorgestellt. Dabei hat sich gezeigt, dass es auch in nicht allzu ferner Vergangenheit noch Fehler im Umgang mit Missbrauchstätern gegeben hat. Ist das Bistum mittlerweile so aufgestellt, dass sich derartige Vorgänge nicht wiederholen können?

Das Bistum hat weitreichende Konsequenzen gezogen, aber ich kann nicht versprechen, dass nicht doch noch irgendwo Fehler passieren. Bischof Wilmer drängt auf große Achtsamkeit und ich bin sicher, dass er dafür sorgt, dass künftig nichts unter den Teppich gekehrt wird. Ich denke, seine eindeutige Haltung ist eine Ermutigung für die Opfer, sich an uns zu wenden.

Im Bistum Hildesheim wurden 848 Personalakten durchgesehen, 46 Priester gelten demnach als Beschuldigte, das sind 5,4 Prozent. Sowohl die Autoren der Studie als auch Bischof Wilmer sprechen davon, dass es darüber hinaus noch eine nicht unerhebliche Dunkelziffer gibt. Wie bewerten Sie die Zahlen?

Die Zahlen sind erschreckend genug, dennoch müssen wir davon ausgehen, dass es weitere Fälle gibt. Noch kenne ich die komplette Studie nicht und ich kann nicht sagen, ob es sinnvoll erscheint, eine tiefergehende Aufarbeitung für das Bistum zu fordern. Wir werden das im Beraterstab diskutieren.

Mittlerweile gibt es erhebliche Kritik an der Methodik der Studie, weil die Wissenschaftler nur das bekommen haben, was ihnen von den Bistümern zur Verfügung gestellt wurde. Ist das nicht ein Manko und kratzt an der Glaubwürdigkeit der Studie wie der Kirche?

Das Vorgehen zeigt, dass die deutschen Bischöfe nicht wirklich den Mut hatten, sich allen Verbrechen, die in der Kirche geschehen sind, umfänglich zu stellen. Die Bischofskonferenz muss sich die Frage stellen lassen, ob sie versucht hat zu verhindern, dass das ganze Ausmaß zu Tage tritt. Im Rahmen dessen, was den Wissenschaftlern an Material zur Verfügung gestellt wurde, ist die Methodik der Studie meines Wissens nicht zu bemängeln.

Das Bistum hat an 41 Personen 170 000 Euro in Anerkennung ihres Leids gezahlt, zwischen 1000 und 10 000 Euro pro Fall, im Schnitt gut 4000. Kann man damit erlittenes Leid wiedergutmachen?

Natürlich nicht, aber trotzdem ist es wichtig, den Menschen auf diese Art und Weise symbolisch zu sagen, dass man anerkennt, dass sie innerhalb der Kirche zu Opfern geworden sind und dass die Kirche damit ihre Verantwortung für das schreckliche Geschehen übernimmt. Das sollte man nicht geringschätzen, und ich glaube, das hat auch eine große Bedeutung für die Opfer, auch wenn die Beträge das erlittene Leid nicht annähernd wieder gut machen können.

Der Bischöfliche Beraterstab für Fragen des sexuellen Missbrauchs soll um externen Sachverstand erweitert werden. Gibt es da schon konkrete Pläne, in welche Richtung das geht und wer hinzukommen soll?

Der Beraterstab wird sich zunächst dadurch verändern, dass künftig fünf Ansprechpartner an fünf verschiedenen Orten des Bistums zur Verfügung stehen werden, sodass es für Menschen leichter sein wird, in der Nähe ihres Wohnortes jemanden zu finden, der ihnen zuhört, wenn sie zu Opfern von sexualisierter Gewalt geworden sind. Das sind fünf Personen, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur Kirche stehen. Ihre Namen werden wir bald bekanntgeben können, da laufen noch die letzten Gespräche. Bislang haben wir noch nicht abschließend diskutiert, ob noch weitere Personen in den Beraterstab kommen sollen. Es gibt ja auch bereits heute mehrere Mitglieder des Gremiums, die nicht bei der Kirche arbeiten. Bei der Zahl der Mitglieder des Beraterstabes muss man darauf achten, dass er arbeitsfähig bleibt.

Das Bistum hat in den letzten Jahren viel in die Präventionsarbeit investiert. Ist das, was dort geschieht schon ausreichend oder gibt es noch Lücken?

Das lässt sich heute noch nicht abschließend beurteilen. Gehört habe ich davon, dass es Menschen gibt, die sich vor einer Teilnahme an Präventionsschulungen drücken möchten. Das dürfen wir nicht durchgehen lassen. Es kommt auch vor, dass sich beispielsweise ältere ehrenamtliche Mitarbeiter regelrecht angegriffen fühlen, wenn sie an verpflichtenden Schulungen teilnehmen sollen. Hier müssen wir Aufklärung leisten. Was die Umsetzung von Schutzkonzepten angeht, ist der Stand unterschiedlich. Einige Einrichtungen sind schon sehr weit, andere stehen noch am Anfang, aber insgesamt ist das Bistum auf einem guten Weg.

Wissen Sie von aktuellen Missbrauchsfällen im Bistum?

In der letzten Sitzung des Beraterstabes ging es darum, dass sich ein Mädchen von einem Lehrer bedrängt fühlte. Wir haben dann den Kontakt zu dem Mädchen und seinen Eltern gesucht, aber es wollte niemand mit uns reden. Auch das kommt vor. Ich leite den Beraterstab jetzt seit Dezember letzten Jahres, seitdem bin ich mit einem einzigen Fall befasst gewesen, der sich im Bereich der Geistlichen abspielte, und der betraf einen Priester in Ausbildung.

Welche Rolle spielen Machtstrukturen in der Kirche? Was muss sich da ändern?

Die Frage nach den Strukturen der Kirche wird durch diese Studie in jedem Fall aufgeworfen. Wir müssen feststellen, dass das Priestertum offenbar Männer angezogen hat, die mit ihrer Sexualität im Unreinen sind und die sie auf die falsche Art und Weise ausgelebt haben. Das stellt ganz viele Fragen an die Pries­terausbildung und -auswahl. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Kirche sich nicht grundlegend ändern müsste, um andere Strukturen zu schaffen. Aber das können wir nicht im Bistum Hildesheim allein lösen.

Interview: Matthias Bode
 

 

Schon mehr als 10 000 Mitarbeiter wurden geschult

Sanktionen gegen beschuldigte Priester ausgesprochen

Von den 46 beschuldigten Priestern sind 36 verstorben. Die 10 noch lebenden Geistlichen wurden zur Rechenschaft gezogen. Acht von ihnen sind nicht mehr im aktiven Dienst. Den zwei noch aktiven Priestern wurde kein sexueller Missbrauch zur Last gelegt, sondern grenzüberschreitendes Verhalten. Beide haben intensive Sensibilisierungsmaßnahmen und Auflagen erhalten.

Gegen vier der acht beschuldigten Priester, die nicht mehr im aktiven Dienst sind, wurden Strafanzeigen gestellt, bei einem Priester wurde auf Verlangen des Betroffenen auf eine Strafanzeige verzichtet. Alle acht Priester sind kirchlich sanktioniert worden.
Die Sanktionen reichen, je nach Schwere der Vergehen, von pastoralen Auflagen (darunter klare Distanz zu Kindern, Jugendlichen und / oder schutzbefohlenen Erwachsenen) sowie dem Verbot, öffentlich Gottesdienste zu feiern bis zur Entlassung aus dem Klerikerstand (Laisierung).

Beraterstab wurde nach Untersuchung umgestaltet

Das Bistum Hildesheim hat vor knapp einem Jahr ein Gutachten zu mehreren mutmaßlichen Missbrauchsfällen veröffentlicht, den das unabhängige Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) aus München im Auftrag der Diözese erstellt hat. Auf Empfehlung der Gutachter hat das Bistum den Bischöflichen Beraterstab in Fragen sexualisierter Gewalt umgestaltet.

Die Leiterin des Bischöflichen Beraterstabes zu Fragen sexuellen Missbrauchs, Andrea Fischer, ist vom Bistum Hildesheim unabhängig. Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin übt diese Funktion ehrenamtlich aus und steht in keinem Dienst- oder Abhängigkeitsverhältnis zum Bistum Hildesheim (Interview siehe oben).

Andrea Fischer hat ihr Amt im Dezember 2017 von Domkapitular Martin Wilk (Leiter der Hauptabteilung Personal/Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat Hildesheim) übernommen. Ihr zur Seite steht seit Kurzem mit Heidrun Mederacke eine hauptamtliche Referentin. Außerdem wird das Bistum in den kommenden Wochen externe, unabhängige Fachleute benennen, die als Ansprechpersonen für Fälle sexualisierter Gewalt in fünf verschiedenen Regionen des Bistums angesiedelt sein werden.

Als weitere Folge aus dem IPP-Gutachten wird bis zum Endes des Jahres eine neue Verfahrensordnung in Kraft gesetzt, die Intervention und Prävention eindeutig beschreibt und regelt. Das Papier liegt aktuell externen Fachleuten zur Prüfung vor.

Knapp 150 000 Euro für Präventionsarbeit

Alle Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich mit Kindern, Jugendlichen oder schutzbefohlenen Erwachsenen arbeiten, werden in der Prävention geschult. Diese Schulungen sind verpflichtend. Bisher sind 2134 hauptberufliche Mitarbeiter sowie 7881 Ehrenamtliche geschult worden -– zusammen mehr als 10 000.

Im Haushaltsetat 2018 des Bistums Hildesheim sind 148 700 Euro für die Präventionsarbeit vorgesehen. Darunter fallen die Personalkosten für die hauptamtliche Präventionsbeauftragte sowie zwei Sekretärinnen mit jeweils einer halben Stelle. Außerdem sind Mitarbeiter des Fachbereichs Jugendpastoral in einem vereinbarten Kontingent in der Präventionsarbeit tätig.

Für die Präventionsarbeit im Caritas­verband der Diözese Hildesheim gibt es kein gesondertes Budget. Alle Einrichtungen und Dienste finanzieren die Schulungen ihrer Mitarbeiter sowohl hinsichtlich der Honorar- und Tagungskosten als auch den Ertragsausfall resp. die Vertretungskosten selbst. Der Diözesan-Caritasverband finanziert die Schulungen in den Kindertagesstätten.

Die mit der Präventionsarbeit beauftragte Referentin der Caritas arbeitet zu etwa 12 Stunden pro Woche in diesem Bereich und wird durch eine Verwaltungskraft mit sechs Wochenstunden unterstützt.