Rituale an wichtigen Stationen des Lebens

Unbewusstes sichtbar machen

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Am Übergang zu einem neuen Lebensabschnitt geben Rituale Kraft. Die traditionellen Rituale der Kirche nehmen vor allem die spirituelle Dimension des Lebens in den Blick, weniger die menschliche. Der Wurzener Pfarrer Uwe Peukert bezieht deshalb neue, ergänzende Rituale in seine Arbeit ein.

Manja Mundry schreibt einen feierlichen Brief an ihre Tochter Johanna - ein emotionaler Moment, für den sie noch Monate später dankbar ist.    Foto: Familie Mundry

 

Am Tag nach ihrer Firmung trafen sich drei Jugendliche der Pfarrei Wurzen mit ihren Familien in der Naunhofer Kirche Zum guten Hirten. Ihr Pfarrer Uwe Peukert nahm sie gemeinsam mit der Mügelner Familientherapeutin Anneliese Günster im Vorraum der kleinen Kirche in Empfang – für ein bestärkendes Ritual am Übergang von der Kindheit zum Erwachsenwerden.
Das Ritual begann mit einem Blick zurück auf die Wurzeln, zu den Vorfahren, von denen das eigene Leben ausgeht. Pfarrer Peukert überraschte die Jugendlichen mit einer Zahl: Wer 25 Generationen zurückblickt, schaut damit auf sage und schreibe 16 Millionen direkte Vorfahren. Wer sich alleine fühle, solle sich das ruhig gelegentlich vor Augen führen. Wer wollte, hatte ein Kuscheltier oder ein anderes Symbol für seine zu Ende gehende Kindheit dabei, das er auf einer vorbereiteten Ablage zurücklassen konnte.

Eine Intensität, die im Alltag so nicht spürbar ist
Mit einem Symbol für die begonnene Jugend stellte sich jeder der drei den Anwesenden im Kirchenschiff vor – ein Handy, ein Personalausweis, ein Bierdeckel... Die anwesenden Männer und Frauen formierten sich im Altarraum jeweils zu einem Kreis. Einzeln begaben sich die Familien nun mit den beiden Ritual-Anleitern noch einmal in den „Raum der Kindheit“ im Eingangsbereich der Kirche. Vater und Mutter lasen ihrem Kind nacheinander feierlich einen persönlichen Brief vor, den sie zuvor verfasst hatten. Sie sprachen darin ihren Segen aus und die Erlaubnis, dass der Sohn oder die Tochter einen ganz eigenen Weg geht, der ganz anders sein darf als der Weg der Eltern. Sie brachten auch zum Ausdruck, was sie an ihrem Kind besonders schätzen und lieben. Gemeinsam mit dem Brief überreichten sie ein Geschenk.
Daraufhin folgten die Jugendlichen dem Pfarrer über eine hölzerne Schwelle in den Altarraum, wo man sie im Kreis der erwachsenen Frauen oder Männer herzlich willkommen hieß. Nach einem deutenden Gebet endete das Ritual mit einem Augenblick der Stille, untermalt von einem Musikstück, in dem der Stimmungswechsel vom schmerzlichen Loslassen hin zur freudigen Aufbruchstimmung mitschwang.

ZUR SACHE
Die Kraft der Rituale
Der Wurzener Pfarrer Uwe Peukert ist überzeugt: „Wenn das Menschliche nicht geklärt ist, findet der Glaube keinen Halt“. Bereits im Mittelalter seien Theologen wie Thomas von Aquin zu ähnlicher Erkenntnis gelangt: „Die Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie.“ Uwe Peukert motivierte diese Einsicht dazu, sich zusätzlich zu seiner Ausbildung zum Priester auch als Geistlicher Begleiter und als systemischer Familientherapeut weiterbilden zu lassen.
Gemeinsam mit der katholischen Familientherapeutin Anneliese Günster gibt er für Therapeuten-Kollegen seit einigen Jahren Seminare zum Thema „Rituale“ und erinnert dabei an Erfahrungswissen, das nicht mehr so präsent ist wie in früheren Jahrhunderten, wenngleich es auch für moderne Menschen wertvoll wäre. „Ein Ritual ist wie eine Brücke über den Fluss des Lebens“, sagt Anneliese Günster. Bei der Übernahme einer neuen Aufgabe, dem Eintritt in den Ruhestand oder anderen Lebens-Übergängen können Rituale bestärkend wirken. Sie können das Geschehen vertiefen und Wesentliches ans Licht rücken.

Johanna Mundry denkt immer wieder gerne an die festliche Stunde in der Naunhofer Kirche zurück, die mittlerweile fast sieben Monate zurückliegt. Gerade wenn es einmal zu Reibereien kommt, nimmt sie sich gerne wieder die Briefe ihrer Eltern vor und erinnert sich an die intensiven, sehr emotionalen Augenblicke in der Kirche. Auch Anneliese Günster ist noch immer berührt von den Erinnerungen: „Es waren herausgegebene Momente, in der sehr viel Liebe spürbar war“, erzählt sie. Im Alltag sei das in dieser Intensität sicher seltener erfahrbar.
 Dass sie und Pfarrer Peukert als Zeugen mit dabei waren, hat die Wichtigkeit und den feierlichen Ernst der vorgelesenen Worte unterstrichen, empfand Johannas Mutter Manja Mundry. Sie empfand das Ritual in Naunhof als wohltuende Ergänzung zur vorausgegangenen Firmung, bei der die Eltern vor allem organisatorisch einbezogen waren. Besonders der Brief an ihre Tochter war für sie ein wertvoller Anstoß, sich Zeit zu nehmen und gründlich zu überlegen, was sie ihrer ältesten Tochter mitgeben möchte auf ihren Lebensweg. Durchaus hilfreich gewesen sei, dass Pfarrer Peukert den Eltern Briefvorlagen gab, an denen sie sich orientieren konnte. Wie wichtig es sei, die eigenen Kinder freizulassen, sei ihr durch das Ritual noch deutlicher geworden: „Natürlich war mir bewusst, dass ich sie für ihren eigenen Lebensweg freigeben muss, doch als Mutter ist man eben auch Glucke...“ Ein Bild, das der Pfarrer bei einem einführenden Elternabend ins Spiel brachte, hat es ihr und ihrem Mann besonders angetan: „Wir lassen die Kinder in ihren eigenen Booten in See stechen, doch sie sollen wissen, dass sie bei uns einen Hafen haben, zu dem sie immer wieder zurück können.“
Johannas jüngere Schwester durfte nicht dabei sein, als die Eltern ihre Briefe vorlasen. Die besondere Atmosphäre des Augenblicks hat sie dennoch erfasst. Auch wenn sie auf ihre neugierigen Fragen nur zur Antwort erhielt „Was da geschehen ist, kann man nicht beschreiben“, ist sie sich ganz sicher: Das möchte ich unbedingt auch mal erleben. Auch die Großmutter ist froh über das Erlebte. Ihr persönlich haben die wertschätzenden Worte über die ältere Generation gut getan.
Seit 2006 haben Uwe Peukert und Anneliese Günster das Ritual nun schon mehrfach angeboten. Sie haben es weiter entwickelt und der jeweiligen Situation angepasst. In Zwönitz, wo es die ersten Male stattfand, trafen sich die Familien in der kleinen Annenkapelle in einem nahegelegenen Waldstück. Den Bezug zu den vorausgehenden Generationen, von der zum Auftakt des Rituals die Rede ist, hatten sie dort in einer Anna-Selbdritt-Figur sogleich vor Augen. Gelernt hat Pfarrer Peukert in Zwönitz unter anderem, dass derartige Angebote keinesfalls verpflichtend für alle Firmlinge sein sollten, sondern dass sie von Freiwiligkeit leben. Die positiven Rückmeldungen, die er – zuweilen Jahre später – von früheren Teilnehmern erhält, bestärken ihn, weiter am Ball zu bleiben. Als Berater begegnet er zudem immer wieder Menschen, die noch als Erwachsene auf den Segen ihrer Eltern warten und auf die Erlaubnis, ihren eignen Weg gehen zu dürfen.

Gerne berichtet Uwe Peukert von seinen Ritual-Erfahrungen. Telefon 0 34 25/92 51 92; E-Mail: pfr.kath-wurzen@freenet.de

Von Dorothee Wanzek