Abschied aus Leipzig

Was bleibt von den Jesuiten?

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Eine letzte gemeinsame heilige Messe zum Abschied von den Leipzigern feiern die Jesuiten am 30. Juni um 18 Uhr in der Propsteikirche. Nach 69 Jahren löst der Orden seine Niederlassung in der größten sächsischen Stadt auf.

Zu Austausch und Begegnung nutzten die Jesuiten am Floßplatz vor allem das morgendliche Frühstück nach einer Messfeier in der Hauskapelle. | Foto: Dorothee Wanzek

 

In einer pulsierenden, kulturell umtriebigen und atheistisch geprägten Universitätsstadt wie Leipzig fühlen sich die Jesuiten mit ihren Zielen und dem, was sie können, bestens aufgehoben. Das sieht die Leitung der Ordensprovinz in München nicht anders, und doch werden in der vierten Etage des Gründerzeit-Mietshauses am Floßplatz 32 auf ihr Geheiß hin in der nächsten Woche die ersten Umzugskisten gepackt. Gewissermaßen als Vorhut hat der bisherige Seelsorger des St. Elisabeth-Krankenhauses, Pater Martin Müller, die Stadt sogar bereits im Januar verlassen.
Die Zahlen, die der Leipziger Superior Pater Clemens Maaß beim jüngsten Kirchweihfest der Propstei präsentierte, sprechen Bände: Von den 320 Brüdern, die Ende März zur deutsch-schwedischen Ordensprovinz gehörten, war mehr als ein Drittel bereits im Alter über 80. Die Altersgruppe der 55- bis 59-Jährigen, zu der Pater Maaß selbst gehört, umfasst dagegen nur noch 34 Brüder. Im Jahr werden im Durchschnitt nur noch zwei bis drei junge Männer in die Erprobungsphase des Ordens aufgenommen. „Wenn wir arbeits- und lebensfähig bleiben und die Unter-Fünfzigjährigen nicht über Gebühr auspressen wollen, kommen wir nicht umhin, uns aus einigen Gebieten zu verabschieden“, stellt Clemens Maaß nüchtern fest.
Seitdem die Rückzugs-Entscheidung publik wurde, haben viele Leipziger – Christen wie Andersgläubige – den Jesuiten Bedauern und große Wertschätzung für ihren bisherigen Dienst in der Stadt zum Ausdruck gebracht. Und doch fragen sich die fünf Verbliebenen zuweilen: „Wird es überhaupt auffallen, wenn wir nicht mehr da sind?“ Die Jesuiten haben in Leipzig keine Schule gebaut und keine großen Werke gegründet, sie haben es auch nicht als vorrangige Aufgabe verstanden, das Leben  der Pfarreien mitzuprägen. „Was bleiben wird, sind wohl eher die menschlichen Beziehungen, die Erinnerungen an gelegentliche Gottesdienste, Predigten, Exerzitien – nichts wirklich Messbares“, vermutet der Superior. Zu einer Institution für Leipzig sei gewissermaßen der älteste der Patres geworden, Pater Bernd Knüfer, der 28 Jahre in der Stadt verbracht hat und hier im Dezember seinen 80. Geburtstag feierte.
Seine Ankunft im Jahr 1991 markiert den Beginn einer neuen Etappe jesuitischen Lebens in Leipzig. Nicht nur, dass er aus der südlichen Provinz des damals noch zweigeteilten deutschen Jesuiten-Territoriums stammte, die seit 1950 in der Mozartstraße 10 ansässigen Brüder dagegen aus der Nordprovinz. Er stand für einen Generationswechsel und ein anderes Verständnis der Aufgaben, die eine Stadt wie Leipzig für den Orden bot.

Religiöse Bildung für Katholiken in der DDR
Otto Ogiermann, Gerhard Kroll und andere Jesuiten, die in der DDR wirkten, zeichneten sich vor allem durch eine rege Reisetätigkeit zur intellektuellen und spirituellen Stärkung der Katholiken aus. Sie boten Gesprächsangebote und Beichtgelegenheit und hielten Vorträge, die besonders gefragt waren, da religiöse Literatur in der DDR nur eingeschränkt zugänglich war.
Die Bandbreite der Themen, mit denen die Patres bis Mitte der 70er Jahre durch alle Pfarreien der DDR zogen, war breit: „Einwände gegen das Christentum“, christlicher Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in den 60er Jahren der Konzilsaufbruch ... Wenn die Ordensmänner nicht auf Reisen waren, arbeiteten sie an Vorträgen und an Buchpublikationen für den St. Benno Verlag, dem sie auch bei der Beschaffung von Drucklizenzen für westliche Literatur halfen. Otto Ogiermann schrieb unter anderem Bücher über den Jesuitenpater Alfred Delp, Gerhard Krolls Bestseller „Auf den Spuren Jesu“ findet sich bis heute in vielen Bücherregalen ostdeutscher Katholiken.
Als Bernd Knüfer 52-jährig nach Leipzig kam, waren die Jesuiten in der Mozartstraße im Rentenalter. Das Interesse für ihr klassisches Vortragsangebot hatte – auch durch den wachsenden Einfluss des Fernsehens – abgenommen. Die jüngeren Mitbrüder aus dem Süden der Republik hatten anderes im Sinn und eröffneten deshalb eine eigene Niederlassung. Einige von ihnen hatten eine „Initiativgruppe Leben im Subproletariat“ gegründet und kamen mit der Absicht nach Leipzig, sich hier vorwiegend sozialen Randgruppen zuzuwenden. „Schon bald erkannten wir aber, dass es hier damals gar keine sozial minderbemittelten Regionen gab, auch das Ausmaß der Obdachlosigkeit war geringer als erwartet“, erinnert sich Pater Knüfer. Er und seine Weggefährten engagierten sich für Flüchtlinge, gründeten beispielsweise den Leipziger Flüchtlingsrat, erkannten aber schon bald als eigentliche Leipziger Not die Religionslosigkeit. Zugleich nahmen sie wahr, dass die Kirchen sich einigelten und fast ausschließlich eigene „Schäfchen“ im Blick hatten. Mit der Kontaktstelle Orientierung gründeten die Jesuiten in der Innenstadt einen Begegnungsraum, der das Gespräch zwischen Christen und für Spiritualität und Sinnsuche aufgeschlossenen Mitbürgern ohne kirchliche Prägung fördern sollte.

Was die Jesuiten aus Leipzig mitnehmen
„Gerade dort habe ich selbst viel gelernt“, sagt Pater Knüfer. Sehr schnell habe man ihm unmissverständlich deutlich gemacht: „Der Ossi verträgt viel, aber nicht wenn er ideologisch bekehrt werden soll.“ Ins Gespräch zu kommen und ethische Gemeinsamkeiten zu suchen, verlange, über Kerninhalte des eigenen Glaubens in einer allgemein verständlichen Sprache zu reden und zugängliche Bilder zu verwenden. „Wenn ich mich nicht hinter Phrasen verstecken kann, muss ich meinen Glauben selbst tiefer ergründen“, erläutert der Pater.
Auch seine Mitbrüder fühlen sich durch ihren Leipzig-Aufenthalt bereichert. Studentenpfarrer Christian Braunigger weiß es zu schätzen, dass die Kirche hier – anders als er es in seiner westdeutschen Heimat erlebt hat, mit bescheideneren Strukturen zurechtkommen muss. Es fördere die Lebendigkeit, die Eigenverantwortlichkeit und das Engagement, wenn der Kirche weniger Geld und Personal zur Verfügung steht, ist er überzeugt. Vietnamesenseesorger Pater Stefan Taeubner hat besonders das interessierte freundliche Miteinander unter den Priestern der Stadt schätzen gelernt. Bruder Michael Hainz, Dozent am evangelischen Institut für Praktische Theologie, ist dankbar für das gute ökumenische Klima, das er an der Universität erfahren hat, aber auch bei vielen anderen Gelegenheiten, etwa den für ihn unvergesslichen ökumenischen Exerzitien im Alltag.
Manches, was die Jesuiten in Leipzig begonnen haben, wird weitergeführt. Klar ist zum Beispiel bereits, dass die Katholische Studentengemeinde demnächst von einem Dominikanerpater seelsorglich begleitet wird. Die „Feier des Erwachsenwerdens“, bisher von der Kontaktstelle Orientierung verantwortet, führen Mitarbeiter der Propsteigemeinde weiter. Für manches Kursangebot der Kontaktstelle setzen sich langjährige Teilnehmer nun ehrenamtlich selbst den Hut auf. Stefan Taeubner wird als einziger Jesuit in Leipzig bleiben und in der Pfarrei Leipzig-Schönefeld wohnen. Mit seinen fundierten vietnamesischen Sprach- und Landeskenntnissen ist er als Pfarrer der lebendigen vietnamesischen Gemeinde nicht so einfach zu ersetzen.
Seine Mitbrüder verschlägt es in alle Himmelsrichtungen: Michael Hainz wird künftig beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin arbeiten, Christian Braunigger zieht nach Bad Godesberg, Bernd Knüfer nach München. Clemens Maaß kennt seinen nächsten Einsatzort selbst noch nicht. Der Superior wird der letzte sein, der am Floßplatz die Wohnungstür hinter sich zuzieht – ein wenig wehmütig, aber auch in der Einsicht, dass die Jesuiten nicht um ihrer selbst willen existieren und dass sie nicht die einzigen sind, die in Leipzig Christus nachfolgen.
„Entscheidend ist, dass es weiterhin Christen gibt, die in Leipzig Herz und Hirn für Gott offenhalten und anderen Menschen dabei helfen, ihren Weg der Nachfolge zu finden“, meint er. Mehr als das Ende der Leipziger Jesuiten-Ära bewege ihn die Frage Jesu, die im Lukas-Evangelium überliefert ist: Wird der Herr, wenn er wiederkommt, noch Glauben vorfinden auf der Erde?...

Von Dorothee Wanzek