Roemer- und Pelizaeus-Museum präsentiert Kunstwerke aus mehreren Jahrtausenden
Wo das Herz gewogen wird
Das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum präsentiert Kunstwerke aus mehreren Jahrtausenden, darunter Grabstelen aus dem Alten Ägypten und mittelalterliche Altäre aus der Region.
Menschen und Götter – das ist eine komplizierte Angelegenheit. Bereits in der Ur- und Frühgeschichte wurden Ahnen, Helden und Götter verehrt, daran erinnern die vielen Grabbeigaben, Werkzeuge und Amulette in den Vitrinen und Depots der Museen. Der Glaube an überirdische Mächte gehört zur Geschichte der Menschheit, schließlich geht es dabei um die großen Fragen: Woher kommen wir, wohin gehen wir und wo stehen wir heute? Die Antworten können unterschiedlich ausfallen, der Wahrheit kann man sich aus verschiedenen Perspektiven nähern.
Oft sind die verschiedenen Kulturen und Traditionen miteinander verflochten. Götter, Symbole und Rituale werden übernommen oder angepasst.
Religiöse Spuren finden sich in zahlreichen Zusammenhängen. Manche Stücke kommen von weither, andere stammen aus den umliegenden Kirchen, Klöstern und Kapellen, die im Lauf der Geschichte umgebaut, zerstört oder aufgegeben wurden.
Jüngst erst kehrte die kirchengeschichtliche Sammlung in das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum zurück. Zu den Prunkstücken zählt der Trinitatis-Altar aus dem 15. Jahrhundert, der ursprünglich im Trinitatis-Hospital am Hildesheimer Andreas-Platz stand, ein prachtvolles Bildwerk zur geistlichen Bewältigung von Krankheit, Schuld und Schmerz.
Eine Predigt in Bildern
„Das Trinitatis-Hospital in Hildesheim ist ähnlich bedeutend wie das berühmte Heilig-Geist-Hospital in Lübeck“, erläutert der Hildesheimer Kunsthistoriker Stefan Bölke. Er freut sich, dass dieser wertvolle Altar nun wieder in die Untere Portiunkula der ehemaligen Martini-Kirche zurück gekehrt ist. Dort stand er auch, nachdem er im 19. Jahrhundert dem Museum übergeben worden war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte der Altar als Dauerleihgabe in die St.-Bernward-Kirche, später dann war das Kunstwerk in der Sonderausstellung „Zeiten-Wende 1400“ im Hildesheimer Dommuseum zu sehen.
Diese Predigt in Bildern erinnert an das Leiden Christi, fordert zur Nachfolge auf, stellt den geöffneten Himmel in Aussicht: Not, Gebrechen und Trost werden in diesem Bildprogramm vereint, ähnliche Beispiele finden sich im norddeutschen Raum auch andernorts. Bemerkenswert ist, dass auch die Reformatoren die Bilderfolge nicht angetastet haben: Am Hildesheimer Trinitatis-Altar findet sich noch die Darstellung der Marienkrönung, in evangelischer Tradition wurde sie häufig durch die Kreuzigungsszene ersetzt.
Zu den Höhepunkten der kirchengeschichtlichen Sammlung gehört auch die berühmte Cusanus-Tafel, eine hölzerne Texttafel, die der Philosoph, Theologe und Reformer Nikolaus von Kues im 15. Jahrhundert in Auftrag gegeben hat, um den Menschen die kirchlichen Texte nicht nur auf Latein, sondern auch in der Volkssprache, also möglichst niedrigschwellig, zugänglich zu machen: Das Vater-Unser, das Ave-Maria, das Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote im Hildesheimer Dialekt, das war seinerzeit ein gewaltiger Schritt nach vorn: Für Nicolaus Cusanus, dem Bischof von Brixen, standen authentische Glaubensvermittlung und Glaubenserfahrung im Vordergrund. Auch Kelche, Monstranzen, Pretiosen und Pilgerzeichen sind in dem historischen Gebäudeteil des Museums zu sehen, darunter ein Aquamanile aus dem 13. Jahrhundert, dessen Pendant im benachbarten Dommuseum aufbewahrt wird.
Spannende Einblicke in das Leben am Nil
In Hildesheim gibt es zahlreichen Brücken zwischen Kirchen-, Stadt- und Sammlungsgeschichte. Der Museumsgründer Hermann Roemer engagierte sich nicht nur für die stadtgeschichtliche Sammlung, er sorgte auch auch dafür, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Hildesheim ein „Ägyptisches Zimmer“ eingerichtet wurde. Die Basis für die hochkarätige Altägyptensammlung legte der Hildesheimer Kaufmann Wilhelm Pelizaeus. Mit mehr als 9000 Objekten besitzt das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum die bundesweit zweitgrößte Altägypten-Sammlung. In der Dauerausstellung im Neubau gibt es spannende Einblicke in das Leben am Nil. Fast alles, was wir von den alten Ägyptern wissen, ist uns in ihren Gräbern und Nekropolen überliefert worden.
„Aus dieser Jahrtausende alten Tradition wurden einige Vorstellungen über die griechisch-römische Zeit bis ins Christentum überführt und lebten in den Grundzügen weiter“, erläutert Regine Schulz, Professorin für Ägyptologie und Wissenschaftliche Direktorin des Museums. „Faszinierend ist, dass schon die alten Ägypter nach dem Ursprung der Welt gefragt haben: Was war zuerst? Gibt es einen Schöpfergott, einen Ur-Gott, der Raum und Zeit, Diesseits und Jenseits, der aus dem Nichts heraus Ordnung, Struktur und Gerechtigkeit geschaffen hat?“ Aus diesen Fragen hat sich eine komplexe Religion aus Haupt- und Nebengöttern, Priestern und Pharaonen entwickelt, dabei waren Leben und Tod eng aufeinander bezogen. Auch deshalb hatte der Name der Verstorbenen an den Grabstelen eine besondere Bedeutung, der Name war Teil der Person. Das bezeugen zahlreiche Inschriften und Stelen, etwa die Horbeit-Stelen aus der Zeit Ramses II., darunter die bekannte Stele des Mose. Die Herrscher kommunizierten mit den Göttern, um für das Wohl der Menschen zu sorgen. „Die Menschen waren so etwas wie die kleinen Geschwister der Götter, für die der Pharao die Verantwortung trug“.
Für die Reise ins Jenseits sorgfältig mumifiziert
Für die Reise ins Jenseits wurden die Verstorbenen sorgfältig mumifiziert und mit zahlreichen Grabbeigaben ausgestattet. Doch um im Jenseits aufzuerstehen, mussten sie zunächst vor dem Totengericht bestehen. „Es gab ein negatives Sündenbekenntnis und das Herz wurde gewogen. Wer aber im Leben den Aufgabenkatalog nicht erfüllt hatte, wurde den Totenfressern überlassen“, erklärt Schulz.
So heißt es in den Totenbüchern etwa: „Ich habe keinen Gott beleidigt“ oder: „Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, und ich habe keine Tiere misshandelt“. Viele religiöse Textsammlungen reichen bis in die römische Zeit hinein. „Der Jenseitsglaube der alten Ägypter war positiv, im Gegensatz zum Hades nach antiker Vorstellung“, betont die Ägyptologin. „In der antiken Welt des Mittelmeerraumes gab es zahlreiche religiöse Konzepte und Vernetzungen. Das System war offen und durchlässig, Götter und Glaubenstraditionen wurden integriert. So übernahmen im frühen Christentum oftmals die Heiligen die Rolle der Götter.“
Auf den Grabreliefs aus frühchristlicher Zeit finden sich oft antike und christliche Symbole. Etwa auf der koptischen Grabstele einer unbekannten Frau aus dem 5. oder 6. nachchristlichen Jahrhundert: Sie hebt ihre Hände zum Gebet empor. Im Giebelfeld erscheint ein Vogel, er könnte ein Symbol für Christus sein, der die Verstorbene in den Himmel trägt. An den Seiten rankt Blattwerk – als Erinnerung an das Paradies.
Das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum ist mittwochs bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Sonntags um 14.30 Uhr gibt es öffentliche Führungen durch die Dauerausstellung „Ägypten“. www.rpmuseum.de.
Karin Dzionara
Auf Spurensuche im Bistum
Religiöse und kulturelle Traditionen sind eng miteinander verflochten, denn Kunst ist in ihren Ursprüngen ein Ausdruck von Religiosität. Was wäre das Christentum ohne die großartigen Altäre, Gemälde und Skulpturen? Selbst in der zeitgenössischen Kunst tauchen christliche Motive auf, oft in neuen und anderen Zusammenhängen: als Anfragen, als Ausdruck des Zweifels oder der Suche nach Sinn. In vielen der rund 800 norddeutschen Museen und Heimatstuben finden sich Kunstwerke und Erinnerungsstücke mit religiösen Bezügen. In unserer Serie stellen wir Ihnen Exponate vor, die sich mit unterschiedlichen Glaubenstraditionen beschäftigen. Eine Spurensuche.