Predigtreihe im Tag des Herrn

Wo wir am Ende sind, hat Jesus noch Möglichkeiten

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Angesichts der Coronakrise veröffentlicht der Tag des Herrn die schriftliche Sonntagspredigt. Den Auftakt zum fünften Fastensonntag macht die Erfurter Seelsorgeamtsleiterin Anne Rademacher über das Evangelium von der Auferweckung des Lazarus.

Wie einem Freund streckt Jesus uns die Hand entgegen: „Komm heraus!“, sagt er zu Lazarus. Das dürfen wir auf Jesus Freunde bis heute beziehen. Wo wir ganz am Ende sind, hat Jesus noch Handlungsspielraum.    Foto: imago images/imagebroker
 
Der heutige Evangelientext lebt von Worten: „Komm heraus!“ – und ich frage mich und Jesus: Wann rufst du uns das zu? Wann können wir unbeschwert raus?
„Wärst du da gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben.“ – und ich sage dem Herrn: Wo warst du? Warst du da, als uns das Virus erreichte?
Dann aber vor allem der Dialog zwischen Marta und Jesus um die Auferstehung. Jesus fragt nach ihrem Glauben und Marta antwortet mit dem, was sie über die Ewigkeit gelernt hat. Aber er will keine Verschiebung auf später. Jetzt, in seiner Nähe, geschieht Heil. Und ich rufe: Gilt das auch für uns? Macht er es mit uns genauso?
Mit meinen Fragen baue ich eine Beziehung zu Jesus auf, ein wenig so, wie die der Akteure im Evangelium. In der benediktinischen Tradition heißt es: Maria, Marta und Lazarus – Freunde des Herrn. Ich lese aus dem Text etwas von dieser Freundschaft. Jesus wird im Johannesevangelium oft als etwas unterkühlt dargestellt – hier weint er. Er weint um den Freund. Er macht das Leid seiner Freunde zu seinem Leid. Darauf möchte ich setzen: dass er mit uns trauert. Dass es ihm nicht egal ist, wie es uns geht. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass er unsere Bitten hört und unsere Klagen bei ihm ein offenes Ohr finden. Ohne zu wissen, wie und wann es geschieht, flehe ich ihn um ein Ende der Krise an.
 
Eine Zeit sein, wo wir unseren Glauben ins Gespräch bringen
Die Freunde im biblischen Text sind an den verschiedensten Orten. Jesus bleibt erst, wo er ist, dann geht er doch hin. Marta geht ihm entgegen und redet mit ihm. Dann kommt Maria hinterher und sie alle gehen zum Grab. Aus dem wiederum kommt Lazarus dann heraus. Es scheint nicht selbstverständlich, zusammenzukommen. Aber als sie sich treffen, reden sie. Am faszinierendsten finde ich das Gespräch zwischen Jesus und Marta. Sie reden zunächst über abstrakte Glaubensdinge: „Ich weiß, dass er auferstehen wird…“, dann aber wird es konkret und Jesus fragt, ob sie an seine Macht und Vollmacht glaubt. Das bejaht sie, aber wahrscheinlich versteht sie erst richtig als Lazarus aus dem Grab kommt. Maria klagt ihn an: „Wärst du dagewesen!“. Daraus – so scheint es – wächst die Auferweckung. Die Freundschaft umgreift die Rede über das Leben und über Glaubensdinge ebenso wie die Klage und die gemeinsame Lösung. Ist das nicht ein wenig wie in unserer Situation?
Dr. Anne Rademacher leitet das Seelsorgeamt des Bistums Erfurt.    Foto: Bistum Erfurt

Es ist fast unmöglich, an einem Ort zusammenzukommen. Mir sagte eine Frau: „Es ist so schwer, dass ich nicht mit Freunden reden kann, so wie es sonst immer geht – ungeplant, in den beiläufigen Treffen! Gerade jetzt, wo uns als Familie die Decke auf den Kopf fällt!“ Ja, wir müssen Kontakte planen. Und dann entscheiden, worüber geredet wird. Die Klage braucht sicher ihren Raum, um den anderen Anteil an unseren Sorgen und unserem Leid zu geben. Aber es könnte auch eine Zeit sein, wo wir unseren Glauben ins Gespräch bringen. Das, worauf wir uns verlassen und das, was brüchig wird. Vielleicht trauen wir uns sogar, von Allgemeinplätzen auf die drängenden Fragen zu kommen, auf das Innerste unseres Glaubens. Mag sein, dass sich Freundschaften sogar vertiefen. Und wir sollten darüber reden, was uns Hoffnung macht. Woran wir uns festhalten, wo wir Lichtblicke haben: im beginnenden Frühling, in intensiver Zeit mit der Familie, in den Zeugnissen von Solidarität in unserem Land…
An anderer Stelle sagt Jesus uns: „Ich habe euch Freunde genannt.“ (Joh 15,15) Das ermutigt, seine Freundschaft mit Maria, Marta und Lazarus auf uns zu übertragen. Und, ja wir dürfen uns in allen dreien ein wenig wiederfinden. Mit Maria können wir ihm Vorwürfe machen. Wenn er unser Freund ist, dann darf die Klage und Anklage in unserem Beten einen Platz haben. Es ist erlaubt, ihm Vorwürfe zu machen. Er wird sie sich anhören und er wird mit uns weinen. Durch die Tränen aber dürfen wir hoffen und sehen (wenn auch verschwommen), dass er Rettung will. Wie Marta können wir unseren gelernten Glauben zitieren, all das, was wir wissen. Wir dürfen aber auch darum ringen, den Sätzen Leben einzuhauchen: Gott ist überall, nicht nur in der Kirche! Nicht nur in der Kommunion kannst du Jesu Gegenwart erfahren! Gott hält alles in seinen Händen! Jesus trägt auch unsere Leiden am Kreuz!... Hier können eigene Sätze eingefügt werden. Vielleicht ist jetzt die Zeit, sie Christus hinzuhalten und ihn zu bitten, er möge sie uns aus tiefstem Herzen glauben lassen. Bleibt noch Lazarus: Er kann nichts zu seiner Rettung beitragen. Er ist verstummt, er kann nichts tun. Mag sein, dass sich mancher derzeit so vorkommt: unfähig zu handeln, eingebunden in äußere Zwänge und nicht mal in der Lage zu schreien oder zu weinen. Jesus ruft ihn dennoch aus dem Grab. Das dürfen wir auf Jesus Freunde bis heute beziehen. Wo wir ganz am Ende sind, hat Jesus noch Handlungsspielraum. Sein unbedingter Wille ist unser Heil. Nichts und niemand hält ihn davon ab uns Leben zu schenken. Die Gebetsworte aus dem Kreuz-weg können das ausdrücken: Herr Jesus Christus, erbarme dich über uns und über die ganze Welt!