Kontakte des Bistums Magdeburg nach Tutajew

Zu Gast in Russland ohne Sanktionen

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26 Jahre bestehen Kontakte des Bistums nach Tutajew. Während der Fußball-Weltmeisterschaft war eine Gruppe in der russischen Stadt und hatte interessante Begegnungen. Gedanken von Propst i.R. Gerhard Nachtwei.

Zu Besuch in Nikulskoje, Geburtsort von Valentina Tereschkowa, die vor 55 Jahren als erste Frau in der Erdumlaufbahn flog. | Foto: privat
 
Tutajew liegt an der Wolga zirka 350 Kilometer nordöstlich von Moskau. Viele Menschen aus dem Bistum sind im Rahmen der „Partnerschaftsaktion Ost“ schon dort gewesen, haben Hilfsgüter für Bedürftige hingebracht oder aber finanzielle Unterstützung etwa für die Kinderreichenorganisation, den Invalidenverband, das orthodoxe Gymnasium, Kindertanzgruppen geleistet. Und immer wieder waren auch Tutajewer bei uns zu Gast und haben uns unter anderem mit Tänzen und Liedern begeistert.
Vom 25. Juni bis 6. Juli nun sind wir mit einer kleinen Gruppe nach Tutajew gereist. Mit dabei war die neue Leiterin der „Partnerschaftsaktion Ost“, Anastasia Gladziwa. Wir konnten in Tutajew – zusätzlich zur regelmäßigen Unterstützung durch die „Partnerschaftsaktion Ost“ für Einrichtungen in Tutajew – 1200 Euro der Gemeinde St. Peter und Paul in Dessau aus der Schulranzenaktion überreichen, eine jährliche Initiative seit 2005. Zum Abschluss unserer Begegnung in Tutajew wurde jeder von uns gebeten, kurz zu sagen, was ihm an Russland gefällt und was nicht. Ich erinnerte daran, dass ich seit 26 Jahren nach Tutajew  komme und immer neue Eindrücke gewonnen habe, auch diesmal. Aber ich müsste sie erst noch verarbeiten.
Zurück in Deutschland wurde ich immer wieder gefragt, wie wir die Fußballweltmeisterschaft vor Ort erlebt haben. Doch unser Programm war mit Begegnungen voll ausgefüllt. Wir haben fast nichts davon mitbekommen, außer dem schmählichen Ausscheiden der deutschen Mannschaft. Das tat aber auch den Russen leid.
Am letzten Tag unserer Reise las ich jedoch in Moskau über das frühe Ausscheiden der deutschen Mannschaft in einer Zeitung den Tweet (Worte) des Gouverneurs des Gebietes Lipezk: „Deutschland ist so blamabel ausgeschieden, weil es auf dieser Erde zwei Weltkriege entfacht hat und sich die Seelen der Millionen von ihnen Ermordeten gerächt haben und sich weiter rächen werden.“
 
Als deutsche Freunde überall willkommen
Nein! So haben wir die Reaktion der russischen Menschen an keinem Ort erlebt, auch nicht in Moskau. Wir Deutschen waren überall als Freunde und Gäste willkommen. Es trifft wohl zu, dass russische Menschen mehr vom Gefühl als vom Kopf her leben, was sich in der Art und Weise der Begegnungen zeigt. Es erklärt wohl auch, dass nach fast 100 Jahren eines aggressiven, kämpferischen Atheismus und Kommunismus heute 80 Prozent der Russen getauft sind.
Am einem Sonntag waren wir in Nikulskoje, dem Geburtsort von Valentina Tereschkowa, zum orthodoxen Gottesdienst, der etwa zweieinhalb Stunden dauerte. Wir erlebten eine lebendige Gemeinde, auch mit Familien und Kindern. Und für mich noch überraschender: Neben dem Museum für Valentina Tereschkowa, der ersten Kosmonautin, ist jetzt eine neue Kirche gebaut, finanziert durch Spenden besonders von Valentina Tereschkowa und dem russischen Verteidigungsministerium. Die kommunistische Propaganda hatte gerade die Raumfahrt als Beweis dafür angeführt, dass der Sozialismus den Himmel erobert habe und dort kein Gott sei. Im Gespräch mit dem sehr aufgeschlossenen Priester nach dem Gottesdienst und Tage später auch mit dem zuständigen Bischof kamen wir zu der gemeinsamen Überzeugung, dass eine Gesellschaft ohne Glaube, Hoffnung und Liebe keine Überlebenschance haben kann. Deshalb: Zwischen Deutschen und Russen, Katholiken und Orthodoxen gibt es keine „Sanktionen“. Und trotz der viel schlechteren Lebensbedingungen zum Beispiel hinsichtlich des geringen Einkommens, der steigenden Preise, der maroden Straßen gehen die russischen Menschen viel gelassener mit der gegenwärtigen Situation um, als wir Deutschen mit unseren im Verhältnis viel geringeren Problemen.
 
Tereschkowas Erfahrung bei ihrem Raumflug
Dass der Mensch nicht Herr der Geschichte ist, hat Valentina Tereschkowa wohl schon bei ihrem Raumflug 1963 erfahren. Im Museum wurde uns erzählt, was man zu sowjetischen Zeiten verschwiegen hat: Valentina Tereschkowa sollte nach einer Erdumrundung zurückkehren. Aber sie schlief ein und wäre um ein Haar aus der Umlaufbahn ins Weltall geraten, wo die Kapsel heute noch schweben würde. Man konnte sie gerade noch wecken, aber sie musste dreimal die Erde umrunden, bevor sie landen konnte. Das veranlasste Koroljew, den Vater der russischen Raumfahrt, zu der Äußerung, dass er nie wieder eine Frau ins All schicken würde.
Danke an die russischen Freunde für die Erfahrung, dass es Glaubende, Hoffende und Liebende sind, die die Welt zum Guten verändern. Und ich gebe gern den herzlichen Dank und die Grüße der russischen Freunde an alle deutschen Freunde und Unterstützer weiter.