Ernteaktion "Gelbe Band"

Die Kirschen im fremden Garten

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Rot und verlockend leuchten die Kirschen im Baum, die oberen sind ein Festmahl für die Vögel, die an den unteren Zweigen sind schnell abgepflückt. Doch wer erntet die Kirschen in der mittleren Höhe, was schwierig ist, wenn man zu alt ist, um noch auf die Leiter zu klettern? Und wer pflückt die Stachelbeeren, wenn die Familie im Urlaub ist? 


Die Früchte, die hoch oben hängen, können manche Gartenbesitzer nicht mehr selbst pflücken. Foto: Andrea Kolhoff

Auf solche Fragen bietet die Initiative „Das Gelbe Band“ eine Antwort, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Obstbaumbesitzer und Erntewillige zusammenzubringen, damit keine Lebensmittel verschwendet werden. Wer von den Früchten seines Baumes abgeben will, kann den Baum mit einem gelben Band kennzeichnen, dadurch ist klar, dass er für andere zur Verfügung steht. Wer nicht will, dass Fremde sein Grundstück betreten, stellt schon geerntetes Obst in einem Korb an die Straße und kennzeichnet diesen mit dem Band, der Korb wird gefunden, weil der Standort bekannt ist.

Pilotprojekt im Kreis Esslingen
Den Anfang der Initiative „Das Gelbe Band“ machte ein Pilotprojekt im Landkreis Esslingen. 2019 veranlasste erstmals der Kreis Esslingen (Baden-Württemberg), dass Bäume auf Streuobstwiesen, von denen man die Äpfel pflücken durfte, mit einem gelben Band gekennzeichnet und auf einer Standortkarte aufgeführt werden. Die Aktion war so erfolgreich, dass das Projekt 2020 von der Initiative „Zu gut für die Tonne!“ mit dem Bundespreis als vorbildhaftes Projekt gegen Lebensmittelverschwendung ausgezeichnet wurde.


Beispiel Niedersachsen
In Niedersachsen findet die Ernteaktion „Das Gelbe Band“ jetzt schon zum dritten Mal statt, verbunden mit Aktionstagen gegen Lebensmittelverschwendung im September. Federführend ist das Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen (ZEHN). Es sammelt die Registrierungen der Anbieter und stellt die Daten zu Erntestandorten auf einer Karte zur Verfügung. Dort, wo ein Baum oder Strauch mit dem gelben Band gekennzeichnet ist, kann gepflückt werden. Ohne dieses Band wäre es Diebstahl. Das Grundstück darf zum Ernten betreten werden, ohne die durch das Band vorliegende Erlaubnis der Eigentümer wäre es Hausfriedensbruch.


Wo gibt es die Bänder?
Niedersachsens Baumbesitzer, die bei der Aktion „Das Gelbe Band“ mitmachen wollen, können Bänder und Infoblätter beim ZEHN bestellen. 2020 wurden rund 1800 Bänder verteilt, 2021 rund 3300 Bänder an mehr als 170 Standorten. 

Wichtig sei, dass sich tatsächlich die Baumbesitzer registrieren lassen, sagt Maren Meyer vom ZEHN. Die Ökotrophologin ist Leiterin des Projekts. Nur wenn die Besitzer  – Privatpersonen oder zum Beispiel eine Kommune mit ihrer Streuobstwiese – sich selbst registrieren, könne das Obst zum Pflücken für jedermann freigegeben werden. Es sei nicht rechtens, als Aktivist einfach gelbe Bänder um fremde Bäume zu schlingen und sie zu Teilnehmern an der Aktion zu erklären, weil man die Ziele gut findet. 


Wie lasse ich mich registrieren?
Wer die Früchte seines Obstbaums zum Pflücken freigeben will, kann sich als Baumbesitzer beim ZEHN regstrieren lassen. Das geht online auf der Internet­seite; oder man lädt den Vordruck herunter und druckt ihn aus, falls jemand nicht interneterfahren ist. So können die Baumbesitzer den Vordruck in Ruhe lesen und ausfüllen und dann einscannen und per E-Mail schicken oder den Ausdruck im Brief ans ZEHN schicken (Sedanstraße 4, 26121 Oldenburg).

Registriert werden können Obstbäume und -sträucher. Also der Kirschbaum, der Johannisbeerbusch, der Baum mit dem Sommerapfel, der Birnbaum oder Walnussbaum. Bei der Registrierung geben die Baumbesitzer in einem Extrafeld auch an, wo der Baum steht und was zu beachten ist, zum Beispiel „Feldweg, Baum steht hinter dem Stromhäuschen“.  


Infomaterial zum Verbreiten
Mit den Bändern kommt auch Informationsmaterial. Dieses kann man in der Nachbarschaft oder am Schriftenstand der Kirche auslegen, damit die Aktion bekannter wird. Maren Meyer vom ZEHN würde sich freuen, wenn das Projekt auch in anderen Bundesländern durchgeführt würde, „damit das Gelbe Band als Zeichen etabliert wird“. Sie könnte sich vorstellen, dass Kommunen als Besitzer von Streuobstwiesen oder Schrebergärtner die Pflückaktion in ihrem Umfeld einführen, damit die Menschen „Lebensmittel wieder wertschätzen“. Informationen gebe es beim ZEHN. „Wir stehen für alle Infos bereit“, sagt sie.


Wo kann ich selbst ernten?
Wer selbst für den Eigenbedarf pflücken möchte, kann in Niedersachsen auf der Internetseite des ZEHN sehen, ob in seiner Nähe Standorte von registrierten Bäumen sind. Neben dem Ortsnamen wird eine Adresse angegeben und zum Beispiel der Hinweis „verschiedene Obstsorten“. Ob es schon reif ist, wenn man ankommt, oder von anderen geerntet wurde, steht nicht dabei. Das ZEHN weist darauf hin, dass das gelbe Band aus reißfestem Papier ist und in der Nähe eines freigegebenen Baums oft auch das Hinweisplakat zur Aktion hängt. Keinesfalls dürften die Bäume mit Bäumen aus gewerblichen Obstplantagen verwechselt werden, wo gelbe Bänder aus Plastik verwendet werden.


Was man beachten soll
Den Pflückern werden die Hinweise gegeben, sich auf dem fremden Grundstück umsichtig zu verhalten, auf Stolperfallen zu achten, keine Äste abzubrechen und den Standort so zu verlassen, wie man ihn vorgefunden hat. Man solle nur pflücken, was in Reichweite ist oder das Obst vom Boden aufsammeln. 

Doch wenn dieser Reichweitenhinweis befolgt wird, löst das Freigeben des Baums nicht die Probleme von älteren Gartenbesitzern, die sich wünschen, dass auch von den hohen Ästen geerntet wird. Das, was in Reichweite liegt, können sie ja selbst noch pflücken. Es steht Grundstücksbesitzern frei, das Ernten mit Leitern zu erlauben, aufgrund von Haftunsregelungen sollten sie die Pflücker aber nicht damit beauftragen, für sie etwas mitzupflücken. Wird eine Leiter der Grundstücksbesitzer verwendet, haften sie für die Verkehrssicherheit der Leiter. Letzten Endes muss jeder selbst entscheiden, ob er im fremden Garten auf eine Leiter steigen will.

Andrea Kolhoff


Zur Sache

Fallen gehört zum Lebensrisiko

Grundstücksbesitzer haben wegen der Verkehrssicherungspflicht eine gewisse Verantwortung, wenn sie das Betreten ihres Grundstücks gestatten. Das Grundstück darf keine offenkundigen Stolperfallen enthalten, zum Beispiel eine versteckte und nicht ausreichend gesicherte Grube. Bäume, die ersichtlich morsch sind, dürfen nicht zum Pflücken freigegeben werden. Oft ist eine Grundstückshaftpflicht für Grundstücke bis 3000 Quadratmeter in der privaten Haftpflichtversicherung enthalten. Der bayerische Jurist Rainer Hilsberg hat im Onlineportal der Taspo-Baumzeitung folgende Hinweise gegeben:  

- Die Verkehrssicherungspflicht bezieht sich auf Sicherungsmaßnahmen, die ein verständiger und umsichtiger Mensch für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren. Dabei muss nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden.

- Rutscht ein Obstsammler auf geplatztem Fallobst aus und verletzt sich dabei, hat sich damit eine erfahrungsgemäß beim Betreten einer Streuobstwiese zu berücksichtigende Gefahr verwirklicht und er muss seinen Schaden selbst tragen.

- Gleiches gilt, wenn er von herabfallendem Obst getroffen oder von Insekten gestochen wird sowie wenn ein Ast bricht, an den die Leiter angelehnt war oder die Obstbaumleiter in Mauslöcher einsinkt und dadurch der Pflückende zu Fall kommt. 

- Der Obstpflücker muss die Verhältnisse so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbieten.

- Beim Herabfallen von einer Leiter verwirklicht sich das allgemeine Lebensrisiko: es passiert ein Unglück, aber kein Unrecht, für das der Grundstücksbesitzer haftbar gemacht werden könnte.

- Das Ernten für den Eigenbedarf erfolgt auf eigene Gefahr.