Lübecker Märtyrer als Grafic Novel
Düstere Geschichte, farbig erzählt
Das Gedenken an die Lübecker Märtyrer wird 2023 um eine Facette reicher. Zum 80. Jahrestag der Ermordung der Männer soll eine Graphic Novel erscheinen, die vor allem Jüngeren einen Zugang zur Geschichte der Geistlichen ermöglichen soll.
Es ist ein besonderes Projekt, das Karen Meyer-Rebentisch zum Abschluss ihrer Zeit als Leiterin der Lübecker Gedenkstätte Lutherkirche auf den Weg gebracht hat: Zum 80. Jahrestag der Ermordung der Lübecker Märtyrer soll im nächsten Jahr ein Buch über das Leben der katholischen Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange sowie des evangelisch-lutherischen Pastors Karl Friedrich Stellbrink erscheinen. Auf etwa 140 Seiten wird dann von den Geistlichen und der Geschichte ihres Wirkens in Lübeck erzählt – und zwar als Comic.
Wobei der Begriff Comic eher in die Irre führt, denn mit dem Witz und dem Peng, Puff und Paff von Donald Duck oder Asterix und Obelix hat das Ganze nichts zu tun, weshalb nicht nur Fachleute eher von einer Graphic Novel sprechen. Es ist ein Genre, das sich in den vergangenen drei, vier Jahrzehnten als eigenständige Form für das Erzählen komplexer Geschichten etabliert hat. Und zwar spätestens mit der Ende der 1980er Jahre erschienen Graphic Novel „Maus. Die Geschichte eines Überlebenden.“ Darin erzählte Art Spiegelmann in Bildern die Geschichte seines Vaters, eines Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz. Spiegelmann erhielt dafür 1992 den Pulitzer-Preis. „Er hat es geschafft, Menschen für das Thema zu gewinnen und sich damit auseinanderzusetzen, die er sonst nicht erreicht hätte, weil sie keine Geschichtsbücher lesen oder kein Interesse an historischen Sachverhalten haben“, sagt Karen Meyer-Rebentisch.
Und genau diese Art der Geschichtsvermittlung ist auch das Ziel des Comiczeichners Jeff Hemmer und des Literaturwissenschaftlers Dennis Bock, die gemeinsam mit Karen Meyer-Rebentisch die Graphic Novel in Bild und Text entwickeln. „Mit der szenischen Erzählung ist es leichter, die Leserschaft an die Thematik heranzuführen. Manches, das sonst umständlich beschrieben werden müsste, lässt sich als Bild relativ einfach darstellen“, sagt Meyer-Rebentisch. Sie sieht vor allem Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe für das Buch, das voraussichtlich im Oktober 2023 erscheinen wird.
Sie selbst ließ sich vor vielen Jahren von den Büchern von Heinz-Joachim Draeger faszinieren, der zum Beispiel die Entwicklung einer historischen Altstadt am Beispiel Lübecks zum Gegenstand seiner Zeichnungen machte. Entscheidend war jedoch eine Begegnung mit Dennis Bock vom Referat Kirche im Dialog der evangelischen Nordkirche, der sich in früheren Jahren viel mit Comics und der Vermittlung geschichtlicher Themen darin beschäftigt hatte. „Er war sofort Feuer und Flamme“, erinnert sich Meyer-Rebentisch. Sie sei sehr froh, dass mehrere Stiftungen bereit waren, das Vorhaben zu fördern.
Eduard Müller war am schwierigsten zu zeichnen
Auf eine entsprechende Ausschreibung hin bewarb sich dann der Bremer Comiczeichner Jeff Hemmer. Der 39-Jährige ist sonst eher auf der kurzen Bildstrecke zu Hause und hat unter anderem für Amnesty International gezeichnet. Er erklärt, wie er sich an das Thema herangearbeitet hat. Dazu gehörte zunächst die intensive Lektüre über die Lübecker Märtyrer und die Sichtung der historischen Aufnahmen der vier Männer. Doch gerade die Zahl der historischen Aufnahmen ist sehr ungleich verteilt. Von Hermann Lange etwa gebe es weniger Fotos als von Prassek, Müller und Stellbrink. „Was für mich als Zeichner wichtig ist, dass ich auch die Profile sehe, damit ich zum Beispiel die Nase zeichnen kann“, erläutert Hemmer. Ein anderer Punkt betrifft andere charakteristische Äußerlichkeiten. Bei Prassek sind die abstehenden Ohren legendär und auch die markanten Gesichtszüge mit dem Bärtchen bei Stellbrink sind vergleichsweise leicht darzustellen. „Eduard Müller ist von den Charakteristika her der Schwierigste“, findet Hemmer: lichtes Haar, keine Brille, nichts anderes Signifikantes: „Bei ihm war es am schwierigsten, ihn zu packen und zu zeichnen.“
Zu den Grundüberlegungen gehört, wie viele Einzelbilder – sogenannte Panels – für eine Szene benötigt werden, was darin zu sehen ist und wie die Dialoge dazu formuliert werden. Für Jeff Hemmer ist es ein bisschen wie ein Film, den er sich im Kopf vorstellt. Sehr wichtig ist ihm dann auch die Bildrecherche. Wo hat Familie Lange damals in Emden gewohnt, im bürgerlichen Viertel oder im jüdischen Viertel? Für Hemmer ist es wichtig, dass solche Details stimmen. „Das wird den meisten nicht auffallen, aber es ist gut, wenn ich Fehler vermeiden kann“, sagt er. Das Team weiß auch, dass es sich mit jedem Dialog auf eine Gratwanderung begibt. Denn letztlich sind die Dialoge nicht im Wortlaut dokumentiert und können nur mittelbar aus Situationen, Briefen oder anderen Aufzeichnungen hergeleitet werden. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Fiktion und Fakten mache die Arbeit an einer Graphic Novel aber besonders spannend. „Wir müssen uns total viel ausdenken, weil nicht erzählt ist, wie es war. Es ist eine Gratwanderung, denn es muss plausibel sein, darf nichts beschönigen und nichts unterschlagen, muss aber auch spannend, greifbar und erlebbar sein“, erläutert Hemmer.
So, wie sich die Geschichte entwickelt, so entwickelt sich übrigens auch der Zeichenstil. Waren die ersten Entwürfe und großen Szenen noch von großer Detailgenauigkeit geprägt, arbeitet der Künstler jetzt eher mit dem „Ligne claire“, der „klaren Linie“, für die Hergé mit seinen Comics von „Tim und Struppi“ zum Vorbild wurde. Präzise Konturen und einfarbige Kolorierungen zeichnen diesen Stil aus, bei dem ansonsten die Hintergründe sehr realistisch gestaltet sind. Denn Vereinfachungen bei den Zeichnungen sind im Zweifelsfall weniger schlimm als eine Graphic Novel, die am Ende den Lübecker Märtyrern historisch nicht gerecht wird.
Marco Heinen