Markantes Knotenstock-Wegekreuz in Twistringen
Ein Kampf auf Leben und Tod
Foto: privat
Dieses markante Kreuz steht seit gut zwei Jahren am Flurstück „Ehrenburger Hof und wurde in diesem Sommer gesegnet. Es handelt sich um ein sogenanntes Knotenstock-Wegekreuz. Und wer genau hinschaut, erkennt die Gemeinsamkeiten von Kreuz und uralten Sagen. Geschaffen hat es Alfred Bullermann, ein Künstler aus Friesoythe, der auch den Bischofsstab für den Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer angefertigt hat. Für das besondere Wegekreuz hat er kürzlich den Designpreis „Deutscher Metallbaupreis 2024“ erhalten.
Das Kreuz wurde nicht aus Holz gefertigt, sondern aus Eisen. „Knapp 750 Kilogramm haben wir hier auf ein Fundament gestellt“, sagt Klaus Göken, der Auftraggeber aus Syke. Göken und seine Frau Annegret sind die Besitzer des Waldstücks, in dessen Mitte das Kreuz errichtet wurde. Warum in Form eines Knotenkreuzes? Klaus Göke sammelt seit vielen Jahren solche verwundenen Stöcke. Man nennt sie Knotenstock, Stenz, Ziegenhainer oder Zwirbelstock. Viele Menschen verwenden sie gerne auch als Wanderstock; für einen Handwerker, den Zimmermann auf der Walz, ist der Knotenstock ein „must have. „In der Dehmse kann man von solchen Knotenstöcken viele Hundert finden, man muss aber genau hinschauen“, sagt Göken.
Aber wie entsteht so ein Knotenstock? Klaus Göken hat sich während der Corona-Pandemie näher damit befasst. Es braucht einen jungen Baum, der nach oben strebt und bereits einen kleinen Stamm entwickelt hat. In unmittelbarer Nähe des Bäumchens muss das Waldgeißblatt wachsen. Sobald ein vorderer Trieb des Waldgeißblattes den Stamm erreicht, windet sich die Spitze beim Weiterwachsen um den Stamm. Dabei übertrumpft das Längenwachstum der Waldgeißblattes zunächst das Wachstum des kleinen Baums. Die dabei entstehenden Windungen legt das Waldgeißblatt sehr eng am Stamm des Bäumchens an, denn es braucht den Stamm als Stütze, um zum Sonnenlicht zu streben.
Da das Waldgeißblatt zunächst frisch und grün ist, ist dass alles kein Problem, aber nach einem Jahr beginnt es zu verholzen. Das hat zur Folge, dass sich aus der zunächst um den Stamm gewickelten weichen Windung nunmehr ein starres Korsett bildet. Mit der Verholzung verliert dieser Teil des Waldgeißblattes jede Beweglichkeit, und durch die Verholzung selbst wird das Baumstämmchen dann eingeklemmt. Es hat überhaupt keine Chance, sich von der Fessel des Waldgeißblatts zu befreien.
Der kleine Stamm muss auch in die Breite weiterwachsen, und genau das kann er erst einmal nicht, daran hindert ihn die Umschlingung in seiner „Forstgefangenschaft“. Der Baum sitzt in der Falle und kann nicht weglaufen. Schlimmer noch: Das kleine Stämmchen will nach außen wachsen und nur direkt unterhalb der Rinde liegt die Wachstumszone. Durch das Wachsen nach außen und das gleichzeitig feste Korsett baut sich nun großer Druck auf. Das führt zu einer heftigen Entzündung in der Wachstumszone. Dadurch setzt ein schnelles (Turbo)Wachstum des Baumstamms genau an den Stellen ein, an der es so fest umschlungen und entzündet ist und so heftig gepresst wird. Jetzt setzt ein Wettrennen ein – ein Wettrennen zwischen dem umschlungenen Stamm und dem umschlingenden Waldgeißblatt, ein Rennen auf Leben und Tod, ein echter Todeskampf.
Am Ende befreit sich der Baum aus dem Würgegriff durch einen Gegenangriff
Der Stamm wächst aufgrund der Entzündung so schnell, dass er dabei das ihn umschlingende Waldgeißblatt überwallt, und das kann man am Knotenstock sehr gut erkennen. Man kann auch sehen, wie eng das Holz des Waldgeißblattes am Stamm anliegt. Wenn das Bäumchen schnell genug den „Feindestrieb“ überwächst, gewinnt es das Rennen und umschließt schließlich vollständig den gesamten Trieb es Waldgeißblatts.
Jetzt dreht sich die Situation, denn das Waldgeißblatt wird daran gehindert, sein eigenes Wachstum fortzusetzen, das nicht nur nach oben zum Licht geht. Auch der Trieb des Waldgeißblattes will sich in die Breite ausdehnen, was aber nicht mehr möglich ist, weil jetzt der Stamm den Trieb des Waldgeißblatt fest einklemmt, jetzt ist das Waldgeißblatt gefangen.
Nun wird das Waldgeißblatt erdrückt und stirbt, der bedrohte Baum gewinnt, und das Wachstum an den entzündeten Stellen des Stamms setzt sich weiter fort. „Am Ende hat also der kleine vitale Baum eine kluge List angewendet, denn es überwächst die Spiralwindung und befreit sich aus dem Würgegriff durch einen Gegenangriff. Der Knotenstock ist letztlich das Zeugnis eines echten Todeskampfes zwischen zwei Lebewesen“, sagt Göken.
Der überlebende Stamm behält seine Narben, seine Schmisse, seine Furchen, seine Verletzungen, seine Verwindungen für immer. Eine Besonderheit: Auf der nördlichen Welthalbkugel verlaufen die Spiralwindungen von unten aus gesehen im Uhrzeigersinn um den Stamm, auf der südlichen Welthalbkugel andersherum.
Göken: „Bis zu Beginn der Corona-Zeit habe ich solche Knotenstöcke immer mal wieder mitgenommen, aus dem einfachen Grund: Ich finde seit meiner Kindheit eine sehr starke Schönheit darin, die gewundene Form ist verwegen.“ Im Knotenstock-Kreuz sieht Göken auch ein Symbol für die heutige Zeit: „Nicht selten stellt sich in unserem Leben, sei es privat oder beruflich, etwas in den Weg, das wir zunächst einmal annehmen müssen. Aber mit einer klugen List kann man das Hindernis überwinden. Wenn uns die Natur dies an dem einfachen Beispiel des Knotenstocks zeigt, ist das doch auch für uns Inspiration genug, selbst die Hoffnung nicht zu verlieren, dass es da immer einen klugen Weg aus der Schlinge gibt.“ Insofern erinnern ihn die Knotenstöcke an die kluge Grete in der Sage.
Und auch sonst kann Göken seinem Wald viel abgewinnen. Wer die Dehmse betritt, den Ehrenburger Hof aufsucht, sagt er, der empfinde diesen Hochwald unweigerlich als eine Art Kathedrale, mit den 30 Meter hohen Baumkronen als Dach, dem Singen der Vögel und Rauschen des Waldes als klangliche Untermalung. „Nun stößt man im Zentrum auf dieses Knotenstock-Wegekreuz, und die Einladung zum Lobpreis auf Gottes Schöpfung gilt.“ (kb)