Letzte-Hilfe-Kurse

Fürsorge in den letzten Tagen des Lebens

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Hände, die sich festhalten
Nachweis

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„Du bist nicht allein“ – der Kontakt über die Hände signalisiert dem Sterbenden, dass ein Begleiter da ist.

Hand halten, Ruhe ausstrahlen, klar. Aber was können Angehörige noch für einen Sterbenden tun? Und wie erkennen sie bei Kranken, wann es wirklich zu Ende geht? Das Wissen darüber vermitteln Kurse zur „Letzten Hilfe“, angeboten von Hospizdiensten.

Mit Liebe gekocht: Da steht die Suppe und die Familie freut sich. „Die magst du doch so gerne“, heißt es. Doch der sterbenskranke Schwiegervater lehnt das Essen ab. Leichtes Kopfschütteln, nein danke. Vielleicht ist er zu schwach, vielleicht wird ihm sogar schlecht von dem Geruch, der durch den Raum zieht. Keinesfalls darf man ihn jetzt zum Essen überreden. Wenn Angehörige das wissen, müssen sie auch nicht beleidigt sein, dass die extra gekochte Mahlzeit abgelehnt wird. Im Sterbeprozess braucht der Mensch weniger Energie. „Man stirbt nicht, weil man aufhört zu essen und zu trinken, sondern man hört auf, zu essen und zu trinken, weil man stirbt“, sagt Marion Heitling vom Hospizdienst Spes Viva.

Mehr Wissen über das Sterben

Heitling ist an diesem Abend eine von zwei Referentinnen, die im Pfarrheim in Belm im Osnabrücker Land einen Letzte-Hilfe-Kurs anbieten, ein vierstündiges Seminar, das Wissen über die letzten Tage des Lebens vermittelt und darüber, wie Angehörige, Nachbarn und Freunde diese Zeit für den Sterbenden noch gut gestalten können – gemeinsam mit professionellen Pflegediensten und oft auch mit den Experten für „Palliative Care“. Der Begriff der Palliativversorgung steht für die professionelle Betreuung von Kranken, die als nicht weiter behandelbar aus dem Krankenhaus entlassen wurden und zu Hause, in einer Pflegeeinrichtung oder im Hospiz ihre letzten Wochen oder Monate verbringen. Heitling und Co-Referentin Sandra Kötter wissen gut Bescheid, sie haben Kenntnisse in Palliative Care.

Die Kursteilnehmer dagegen bringen verschiedene Voraussetzungen mit. Eine Frau erzählt, ihre Eltern seien recht schnell verstorben, eine andere hat der sterbenden Schwiegermutter die Hand gehalten und später auch den Schwiegervater begleitet, eine dritte sagt, ihre Schwiegermutter habe zuletzt im Koma gelegen: „Ich hatte Scheu, als sie im Sterben lag.“ Eine jüngere Frau hat als Therapeutin mit lebensbedrohlich erkrankten Menschen zu tun und will sich fortbilden und eine andere Teilnehmerin würde gerne wissen, ob sie die Schwiegermutter, die täglich mehr dahinschwindet, auf das Thema Sterben ansprechen soll. Sie alle haben an diesem Abend Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Es geht im Letzte-Hilfe-Kurs also um das Umsorgen von Kranken am Lebensende. Eins macht Sandra Kötter, Geschäftsführerin des Hospizdienstes Spes Viva in Ostercappeln, gleich klar: „Jedes Sterben ist anders, jeder Mensch stirbt individuell.“ Deshalb können an dem Abend zwar Hinweise gegeben werden, aber später muss jeder in einer aktuellen Situation intuitiv reagieren. Doch wie erkenne ich, dass ein Mensch sich dem Lebensende nähert? Anzeichen können sein, dass Essen und Trinken unwichtig werden, die Person generell immer schwächer wird, sich oft hinlegt, kein Interesse mehr an den alltäglichen Dingen hat, um die sich das Leben sonst drehte. Wenn abgeklärt ist, dass die körperliche Schwäche kein Zeichen einer Erkrankung ist, kann sie als Indiz genommen werden, dass es zu Ende geht.

Schaumstoffstäbchen und Flüssigkeit auf einem Tisch
Im Letzte-Hilfe-Kurs lernen die Teilnehmenden, wie sie in den letzten Stunden für ihre Angehörigen oder Freunde da sein können. Foto: Andrea Kolhoff

Und dann gibt es die konkreten Zeichen, dass ein Mensch wirklich bald stirbt. Er zeigt eine veränderte Bewusstseinslage, wirkt manchmal verwirrt, reagiert immer weniger auf Ansprache, hält keinen Blickkontakt. Manche beschreiben, die kranke Person schaue an ihnen vorbei, „stiert“ ins Irgendwo, manchmal sprechen die Kranken dabei die Namen von bereits verstorbenen Personen aus, als ob sie diese erblicken. Die Atmung wird flach, die Haut blass, Hände und Füße werden kalt. Hier könne man dafür sorgen, dass die Füße warm gehalten werden, denn Fürsorge tut gut, auch wenn die Kranken nicht mehr unmittelbar auf Ansprache reagieren. Auch Personen, die im Koma liegen und nicht antworten können, sollte man begleiten, am Bett sitzen und die Hand halten. 

Vorsicht gilt dann mit dem, was untereinander gesprochen wird: Streit unter Angehörigen hat im Sterbezimmer nichts zu suchen. Aus Erzählungen von Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebt haben und wieder zurückgeholt wurden, ist bekannt, dass der Gehörsinn als Letztes geht. Das kann man sich auch zunutze machen, indem man bis zuletzt mit dem Sterbenden spricht und ihnen den Abschied erleichtert mit Sätzen wie: „Du darfst jetzt gehen“, „Wir kommen klar“ oder „Mir geht es gut.“ Marion Heitling sagt: „Das ist für Sterbende auch eine Erleichterung.“ 

Manchmal brauchen Sterbende in den letzten Stunden Medikamente gegen Panik, wenn sie unruhig sind und Angst haben. Oft kommen bei älteren Menschen Erinnerungen an schlimme Erlebnisse hoch, aus dem Krieg oder von Flucht und Vertreibung. Und manchmal werden dann den Ehrenamtlichen vom Hospizdienst Dinge anvertraut, die die Familie nicht hören soll. 

Auch für körperliche Beschwerden gibt es Lösungen. Wenn jemand nicht mehr trinken, aber noch schlucken kann, können gegen das Durstgefühl Eiswürfel gelutscht werden, diese lassen sich im Gefrierfach mit dem Lieblingsgetränk selbst herstellen. Wenn viel durch den Mund geatmet wurde, können Borken im Mund entstehen. Um dies zu verhindern, gibt es für die Mundpflege spezielle Schaumstoffstäbchen aus der Apotheke. Sie werden in das Lieblingsgetränk des Kranken getaucht, das kann auch ein Bier sein. 

„Es ist ein Schock, wenn jemand stirbt, aber es muss kein Chaos entstehen“

Der Letzte-Hilfe-Kurs wird in ganz Deutschland nach demselben Schema angeboten; eine Broschüre listet genau auf, was Angehörige selbst tun können. Und sie werden aufgefordert, selbst rechtzeitig an Patientenverfügung und Vollmachten für den eigenen Krankheitsfall zu denken. Im Kurs werden außerdem gute Hinweise für die Zeit nach Eintritt des Todes eines Angehörigen gegeben. So muss ein Arzt den Tod feststellen, aber dafür soll man nicht den Rettungswagen alarmieren. „Man muss nicht mitten in der Nacht jemanden anrufen“, sagt Marion Heitling. Sinnvoll sei, die Krankenakte des Verstorbenen bereitzulegen, sodass der Arzt, der feststellen soll, ob ein natürlicher Tod vorliegt, die Berichte einsehen kann. Die verstorbene Person kann aufgebahrt noch viele Stunden in der Wohnung bleiben, bis alle sich verabschiedet haben. Manche Familien halten eine kleine Andacht oder benachrichtigen einen Geistlichen. Je eher über alles nachgedacht wurde, desto überlegter können die Angehörigen handeln. Kötter: „Es ist ein Schock, wenn jemand stirbt, aber es muss kein Chaos entstehen.“

Andrea Kolhoff