Projekt „Grablege Christi“
„Karfreitag fühlbar machen“
An Karfreitag bietet das Projekt „Grablege Christi“ in Jossgrund-Oberndorf eine besondere Passionsandacht. Die Initiatorin INK – die Künstlerin Ingrid Sonntag-Ramirez Ponce – lebt und arbeitet im hessischen Spessart und in Andalusien. Im Interview spricht sie über ihren Bezug zum Gedenktag der Kreuzigung Jesu. Von Evelyn Schwab
Ist der Karfreitag ein stimmiger Rahmen, um dem Kummer eines ganzen Jahres Raum zu geben?
Gibt es einen stimmigeren Rahmen? Auch die Seele benötigt Entlastung. Das geschieht am besten, wenn wir uns mit Trauer, Leid und Verlust intensiv auseinandersetzen. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass unverarbeitete Trauer krank macht. Deshalb sollten wir der Trauer unbedingt Raum und Zeit geben. Der Karfreitag fordert uns regelrecht dazu auf und bietet uns dazu in der Kirche einen Raum. Zudem dürfen wir dort gewahr werden, dass wir nicht alleine sind in unserer Trauer, unserem Leid.
Sie selbst haben manchmal ein Karfreitags-Feeling, aus dem heraus Kunst entsteht?
In der Stille des Kirchenraums, auch abseits der Gottesdienste, ganz auf mein persönliches, stilles Gespräch mit Gott zurückgeworfen, das das Leben, den Tod und den Raum dazwischen zum Inhalt hat, kommt die Antwort auf meine Fragen oft als eine Art „Idee“. Diese kann dann die Initialzündung für ein Kunstwerk sein. Ich bearbeite die Idee mit Stift oder Pinsel und mache sie sichtbar – für mich, aber auch für andere. Mir hilft es, zu verstehen.
Wird das Projekt emotional aufrührend sein?
Wir werden sieben Kunstwerke aus meiner Hand im Kirchenraum „erscheinend und verflüchtigend“ sehen, dazu acht Musikstücke aus mehreren Jahrhunderten und neun Texte aus zwei Jahrtausenden hören. Sie alle haben gemeinsam, dass sie auf ganz unterschiedliche Weise Blickwinkel auf den Karfreitag erlauben und dadurch eine Essenz bilden, die komprimierter kaum sein kann. Es wird emotional aufrührend sein.
Kirchen eröffnen Räume, um Stimmungslagen auf die Spur zu kommen. Werden mit der Grablege Christi auch Menschen angesprochen, die das nicht mehr aus dem eigenen Alltag kennen?
Ganz unbedingt. Dadurch, dass wir unterschiedliche Künste nutzen, um den Karfreitag fühlbar zu machen, und die Auswahl der Darbietenden aus den Bereichen von Oper bis Lichttechnik in ihrem Fach renommiert ist, haben wir sogar Gäste weit über die Bistumsgrenzen hinaus. Darunter befinden sich regelmäßige Kirchgänger und Kirchgängerinnen genauso wie Menschen, die schon lange keine Kirche mehr betreten haben. Ich bin sehr froh, dass die Pfarrgemeinde St. Martin in Jossgrund-Oberndorf zusammen mit Pfarrer Daniel Göller den Mut, aber auch großen persönlichen Einsatz aufbringt, um die Botschaft des christlichen Glaubens auf neue Weise erlebbar zu machen.
Braucht es Mut, um sich der Atmosphäre eines Karfreitags zu stellen?
Nichts benötigt mehr Mut – gerade in diesen Zeiten eines Krieges in Europa. Und nichts ist wichtiger, als gerade jetzt diesen Mut aufzubringen. Nur durch die Auseinandersetzung mit Tod und Trauer werden wir zur Erkenntnis kommen, dass Leben und Freude die schützenswertesten Geschenke Gottes an uns sind.
Wie deutet das Projekt einerseits die tiefe Trauer und andererseits die christliche Hoffnung, dass dies nicht das Ende sein kann?
Alleine die Auswahl der Musikstücke und Texte in ihrer Bandbreite der Quellen zeigen dies schon auf. Wir hören neben Stellen aus der Bibel auch einen Text eines Flüchtlingskindes, neben Auszügen aus Bachs Johannespassion finden wir eine Komposition von Max Reger. In meinen Bildwerken finden Sie neben einem Zitat der „Madonna della Sedia“ von Raffael auch realen Stacheldraht und einen Blatt-vergoldeten Heiligenschein. Drei der Kunstwerke sind Zeichnungen, dreidimensional collagiert.
Wir warten auf Ostern. Macht uns erlebtes Leid stark?
Wir müssen ja gar nicht stark sein, wir werden gestärkt – und das ganz bedingungslos durch die Botschaft des Triduum Sacrum (der heiligen drei Tage).
Hat der Karfreitag auch eine Trostfunktion?
Manchmal denke ich, dass es Vorhersehung war, dass dieses Kunstprojekt gerade jetzt umgesetzt werden kann, um von Liebe und Zuversicht zu künden. Ich hoffe und wünsche von ganzem Herzen, dass auch in der Ukraine und in allen anderen Kriegs- und Krisengebieten der Welt nach all dem Leid die Liebe siegen wird. Fangen wir hier im Kleinen an.
Interview: Evelyn Schwab
www.ink-malerei.de
https://www.aussicht.online/artikel/die-frau-die-alles-zeichnen-kann