Poetry Slam

"Kirche regt mich auf"

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Am 21. März ist Welttag der Poesie. Neben klassischen Gedichten von Schiller, Goethe und Eichendorff ist heute vor allem eine moderne Form der Dichtung beliebt: der Poetry-Slam. Die junge Poetin Hannah Wulftange spricht über ihre Haltung zur Kirche, die sie in einem Poetry-Slam festgehalten hat.


Hannah Wulftange trägt ihren Poetry Slam auf der Bühne vor. Foto: privat

Hannah Wulftange ist wütend. Diese Wut fasst sie während einer Busfahrt in Worte. 20 Minuten, länger braucht sie nicht, um einen Text in Reimform zu verfassen, in dem sie die Kirche anklagt. Der erste Vers lautet: „Kirche regt mich auf.“ Wulftange fordert einen transparenten Umgang mit Missbrauchsfällen, keinen Pflichtzölibat für Priester, die Frauenweihe – und dass die Kirche Kinder und Jugendliche besser anspricht.

Wulftange ist eine engagierte junge Frau. Sie „brennt“ für die katholische Jugendarbeit. Die Kirche ist ihr wichtig, deshalb fällt ihre Kritik so hart aus. Mindestens zweimal in der Woche ist die 19-Jährige im Martinusheim in Hagen a.T.W. Das Jugendzentrum im südlichen Osnabrücker Land, frisch renoviert, ist ihr zweites Zuhause. Sie leitet Gruppenstunden für Messdiener, organisiert Zeltlager im Messdienervorstand und ist Firmkatechetin in ihrer Gemeinde. Zurzeit absolviert Hannah Wulftange ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Katholischen Landvolkhochschule Oesede und betreut dort Schulklassen und Mutter-Kind-Seminare. Sie überlegt sogar, Theologie zu studieren, um ihr Ehrenamt zum Beruf zu machen.

Was war der Auslöser für ihren Text, den sie später sogar auf Bühnen vorträgt? Sie erzählt von einem Erlebnis in der Schule: Die Messdiener wollten neue Gruppenkinder anwerben und hatten Anmeldungen verteilt. Beim Einsammeln der Zettel sagten Eltern, dass sie ihr Kind auf keinen Fall anmelden würden, weil sie nicht wollten, dass es irgendetwas mit der Kirche zu tun hat.

Bei allem, was sie stört: kein Gedanke an einen Austritt aus der Kirche

„Das ist das Schlimmste, was man mir sagen kann“, sagt Hannah Wulftange und wird lauter. „Mich macht das so wütend, weil ich finde, dass es auch gute Seiten an der Kirche gibt, zum Beispiel die Messdiener. Sonst würden wir das ja alles nicht machen.“ Bei allem, was sie stört, habe sie nie daran gedacht, aus der Kirche auszutreten. Zweifel hat sie trotzdem: Soll sie sich wirklich auf ein Theologiestudium festlegen, „für immer mit der Kirche zu tun haben“? Ihre vorläufige Antwort lautet: Ja. Sie könne gut differenzieren, was die guten und schlechten Seiten der Kirche sind. „Das heißt aber nicht, dass ich nicht megawütend auf das bin, was passiert.“ Nicht auf die Eltern, die ihr Kind nicht in der Messdienerarbeit sehen wollen. Sie kann sogar verstehen, wenn Menschen der Kirche den Rücken kehren. In ihrem Poetry-Slam schreibt Wulftange: 

„Wenn eine Institution Fehler macht, 
die Macht ausnutzt, 
ist leicht gedacht, 
zu sagen, ich muss hier einfach raus. 
Ich halte es hier nicht mehr aus
in so einem Gotteshaus.“ 

Trotzdem, sagt sie, löse ein Austritt nicht die Probleme. In ihrem Slam schreibt sie weiter:

„Kirche ist ganz oft ziemlich bescheuert. 
Doch wer nur auf der Hassschiene steuert,
kann das Meer des Guten niemals sehen.“

Poetry kann mit Poesie oder Dichtung übersetzt werden, während Slam vom englischen to slam – schlagen – kommt. In der Zusammensetzung beider Worte handelt es sich also um einen Schlagabtausch mit Worten. Bei einem Poetry-Slam, einem modernen Dichterwettstreit, treten Poetinnen und Poeten mit selbsgeschriebenen Texten gegeneinander an. Das Publikum bestimmt, wer am Ende als Sieger von der Bühne geht.

Glaubt sie wirklich, dass sich die Kirche ändert und sich Forderungen nach mehr Transparenz, Frauenweihe oder einer Segnung gleichgeschlechtlicher Paare umsetzen lassen? „Ich hoffe auf jeden Fall darauf“, sagt sie, glaubt aber nicht, dass sie als Messdienerin im großen Stil dazu beitragen, sondern eher Akzente setzen kann. 

Zum Beispiel in der Messdienerarbeit. „Alles, was ich da reinstecke, gibt den Kindern megaviele Erinnerungen. Und das gehört ja irgendwie auch zur Kirche – und auch zu meinem Glauben, diese Gemeinschaft zu leben.“ Selten erlebe man so starke Gemeinschaften wie in der kirchlichen Jugendarbeit. Sie erinnert sich an eine Situation: als alle stolz ihre Pullover mit dem Messdienerlogo trugen, weil sie froh waren, das Zeitlager gemeinsam auf die Beine gestellt zu haben.

Dieses Gemeinschaftsgefühl erlebt Wulftange auch, wenn die Messdiener in Hagen einen Jugendgottesdienst gestalten. Im Juni vergangenen Jahres ging es um das Thema Mut, da wollten sie sich positionieren, als Messdienergruppe klarmachen: „Uns nervt, dass die Kirche Segnungsfeiern für Homosexuelle verbietet und dass wir weniger Anmeldungen von Gruppenkindern bekommen, weil die Kirche so einen schlechten Ruf hat.“

Text vor 4000 Menschen vorgetragen

Damals trug Hannah Wulftange ihren Poetry-Slam zum ersten Mal vor. Sie kannte fast jeden in der Jugendmesse und fühlte sich relativ sicher. Trotzdem musste sie den Mut aufbringen, „um das überhaupt Leuten zu erzählen und zu zeigen, was ich so schreibe, es ist ja doch irgendwie persönlich“, erinnert sie sich. Bei der Nordwestdeutschen Ministrantenwallfahrt im Sommer 2022 bewarb sich Wulftange mit ihrem Text beim Preacher-Slam, einem Wettbewerb, bei dem Poetry-Slams als Predigten vorgetragen werden. Sie ging als Siegerin von der Bühne.

Damit hatte sie nicht gerechnet, denn ursprünglich hatte sie ja auf einer Busfahrt nur ihre Wut rauslassen und später in der Jugendmesse Haltung zeigen wollen. Auf einmal durfte sie ihren Text vor 4000 Menschen vortragen – und hatte das erste Mal Angst vor Kritik. „Das ist ja kein Poetry-Slam, der nicht aneckt.“ Doch sie merkte: „Alle denken das Gleiche, und ich hab’s einfach nur ausgesprochen.“ Sie bekam viele stärkende Rückmeldungen. Das macht ihr Hoffnung – dass viele Menschen so denken wie sie, aber trotzdem noch Lust haben, sich in der Kirche zu engagieren.

Wulftange nahm an einem Preacher-Slam-Wettbewerb in Oldenburg teil und gewann auch dort. Das Vortragen macht ihr langsam richtig Spaß. Ihr fällt es leicht, zu formulieren, besonders in Reimform. „Ich merke, dass es manchmal leichter ist, die Botschaft klar rüberzubringen, wenn man reimt. In Texten, die ungereimt sind, verliert man sich irgendwann in seinen Worten, und dann muss man doch ein ganzes Buch schreiben.“

Slams haben beim Publikum eine besondere Wirkung, stellt Hannah Wulftange fest. Der Reim bleibt im Gedächtnis und berührt. „Ich glaube, wenn man einen Poetry-Slam vorträgt, ist es etwas ganz anderes, als wenn ich zwei Meinungen zur Kirche in einem Essay vorlese.“ Sie selbst bekommt schnell Gänsehaut, wenn sie sich Poetry-Slams anhört. 
Brauchen wir mehr Poesie? Hannah Wulftange überlegt. „In diesem Fall war es schon so, dass ich Poesie gebraucht habe“, sagt sie und deutet auf ihren Text, den sie im Bus geschrieben hat. „Aber ich bin jetzt auch nicht abhängig davon“, sagt sie und grinst.

Luzia Arlinghaus