Jugend und Corona

"Macht einfach was"

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Die Corona-Pandemie verändert das Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Schule und Studium, in der Familie und in der Freizeit. Ein Experte rät ihnen: „Bleibt aktiv und haltet Kontakt!“


Junge Menschen müssen sich finden und entwickeln. Das funktioniert aber schlecht, wenn man nichts erlebt, betont Erziehungsberater Michael Ottens. Foto: istockphoto/Finn Hafemann

Wie gut Jugendliche und junge Erwachsene die psychischen und sozialen Folgen von „Corona“ bewältigen, hängt von der Dauer der Pandemie und von der Unterstützung ab, die sie jetzt bekommen. Das sagt Michael Ottens (46) von der Psychologischen Beratungsstelle in Papenburg. Er ist dort seit 15 Jahren Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberater. Die Arbeit mit jungen Leuten ist ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit. 

Was bedeutet die „Corona-Krise“ für junge Leute?

Das ist eine Ausnahmesituation, die sie so noch nie erlebt haben. Schon in der Schule ist alles viel anstrengender für sie: durch Masken, Klassensplitting, ständiges Lüften – mancher sitzt da gerade in dicker Jacke und mit Decke – und auch Homeschooling. Und natürlich können sie ihre Freunde nicht wie sonst treffen. Sie müssen auswählen, wen sie sehen dürfen und haben sicher Angst, dadurch Freunde zu verlieren. Ich denke an eine junge Frau, die gerade 18 Jahre alt geworden ist. Mehr als ein Schild aufstellen und vom Gartenzaun ’rüber winken ging da nicht. Junge Menschen sind jetzt in ihrer Freizeit viel stärker eingeschränkt als wir etwas älteren. Sie tun mir echt leid.

Jugend ist nicht gleich Jugend. Wie ist das in den einzelnen Altersstufen?

Da sind natürlich verschiedene Themen dran. Bei den 15- bis 17-Jährigen mag es vor allem um Freundschaften und soziale Kontakte gehen. Aber bei den jungen Erwachsenen kommen noch ganz andere Probleme dazu. Wo soll ich einen Partner oder eine Partnerin finden, wenn ich nirgends hingehen darf? Wo finde ich einen Ausbildungsplatz, kann ich meinen Job behalten? Braucht mich nach dem Studium überhaupt noch jemand? Das können richtige Zukunftsängste werden. Ich weiß von einem jungen Paar, das bauen und sich ein gemeinsames Leben aufbauen will. Da wird gerade viel infrage gestellt und ausgebremst. 

Und sehen Sie auch Unterschiede bei Jungen und Mädchen? 

Ich will das nicht verallgemeinern, aber eine Tendenz sehe ich schon. Mädchen haben oft ein breiteres Freizeitspektrum – die nähen, basteln, malen oder machen sonst was. Das können sie auch allein oder zu zweit – und schicken sich dann gegenseitig Fotos von den Ergebnissen zu. Jungs können im Moment vielen ihrer Hobbys nicht nachgehen, weil zum Beispiel Mannschaftssportarten wie Fußball, Judo oder Schwimmen ausfallen. Das ist alles nicht ganz einfach.

Macht sich die Situation in Ihrer Beratungsarbeit bemerkbar?

Ja, schon – ich höre das von Jugendlichen selbst, von Kollegen, aber vor allem von Eltern. Die Belastungen durch die Beschränkungen und finanzielle Sorgen treffen die ganze Familie. Und Krisen, die es schon vorher gab, laufen ja weiter. Das potenziert sich jetzt. Viele sind noch in der Phase, diese Situation überhaupt faktisch akzeptieren zu können. Und das wäre eigentlich das Wichtigste. Es ist, wie es ist und wir kommen da nur gemeinsam durch.

Fürchten Sie langfristige Folgen für junge Leute – und falls ja, welche?

Es gibt Studien, denen zufolge sich das Risiko für psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen durch Corona verdoppelt hat. Für mich hängt sehr viel davon ab, wie lange diese Krise dauert, wie gut die persönliche Konstitution ist und welche Unterstützung junge Leute bekommen. Für ein paar Monate oder ein gutes halbes Jahr werden die meisten damit klarkommen. Aber wenn ein 14- oder 15-Jähriger lange in dieser Situation steckt – was wird das dann für ein junger Erwachsener? Junge Leute müssen sich noch finden und entwickeln, aber das funktioniert schlecht, wenn man nichts erlebt. Und dazu gehört auch die Party, der Kneipenabend und das Treffen mit Freunden. Wie soll man sonst Leute kennenlernen? Wenn es noch lange dauert, wird das Spuren hinterlassen. Ich denke an mehr Gereiztheit, Spannungen, Einschlafstörungen, Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit und inneren Rückzug.


Michael Ottens arbeitet in der Psychologischen Beratungsstelle
des Bistums in Papenburg. Foto: Ragnar Wilke

Wie können junge Leute sich selber helfen?

Ganz konkrete Empfehlungen möchte ich mir verkneifen, das kann für jeden unterschiedlich sein. Aber bleibt auf jeden Fall irgendwie aktiv und versucht eure Kontakte zu halten – durch Telefon, WhatsApp, Skype oder was auch immer. Ich weiß von Mädchen, die online Nähkurse machen. Ansonsten: Spielt, singt, tanzt, geht raus an die frische Luft,  geht zu zweit spazieren oder joggen, nehmt einen Sketch für die Oma mit dem Handy auf, baut euch einen Wohnungsparcour. Macht einfach was. 

Was können Eltern machen, um die jungen Leute zu unterstützen?

Ganz wichtig ist es jetzt, die Bedürfnisse der Jugendlichen wahrzunehmen. Was braucht mein Kind gerade? Sind es die Kontakte, Bewegung oder der Kuschelmoment auf dem Sofa? Oft kann das ganz einfach sein: das Lieblingsessen kochen, sich einen tollen Film aussuchen und sich zusammen einen schönen Nachmittag machen. Manchmal ist es auch gut, die Jugendlichen gezielt für eine Stunde nach draußen zu schicken – bei Tageslicht! Eine Kollegin von mir zum Beispiel geht mit ihrem Sohn regelmäßig um einen See laufen. 

Und wenn jemand vor allem vor dem Computer sitzt?

Da wäre ich mit einigen Regeln im Moment etwas großzügiger. Wenn also Jungs vor dem PC sitzen und zocken, muss man das sicher beobachten, aber nicht gleich verbieten. Die tauschen sich dabei aus und erzählen sich was. Sie stillen damit in diesem Moment ihre sozialen Bedürfnisse. Das Gaming darf nur nicht zu viel werden.

Zuweilen kritisieren Erwachsene das Verhalten von Jugendlichen in dieser Krise. Wie stehen Sie dazu?

Mich ärgert das ehrlich gesagt. Im Großen und Ganzen haben Jugendliche ein großes Verantwortungsbewusstsein. Sie tragen die Masken, halten sich an die Regeln, übernehmen auch bestimmte Dienste und gehen eben gerade nicht auf Partys. Das kann man nicht von allen Erwachsenen sagen ...

Interview: Petra Diek-Münchow


Im Bistum Osnabrück gibt es zehn Psychologische Beratungsstellen, bei denen Jugendliche sich auch selber melden können, wenn sie Probleme haben. Mehr Informationen darüber gibt es hier

Was vermissen junge Leute? Wie gehen sie mit der Krise um? Wir haben einige gefragt. Mehr dazu in der aktuellen Ausgabe des Kirchenboten