Islamismus: Der Religionspädagoge Bülent Ucar im Gespräch

"Man darf junge Menschen niemals aufgeben"

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Bülent Ucar
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Foto:  imago/Metodi Popow

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Bülent Ucar: Professor für Islamische Religionspädagogik und Leiter des Instituts für Islamische Theologie an der Uni Osnabrück

Nach der Messerattacke von Mannheim wird verstärkt über Islamismus in Deutschland diskutiert. Wochen zuvor haben die Demonstrationen muslimischer Männer für ein Kalifat viele Menschen entsetzt. Was hilft gegen religiösen Extremismus? Fragen an den islamischen Theologen Bülent Ucar.

Herr Professor Ucar, hat die islamische Gemeinschaft in Deutschland ein Problem mit den Werten unseres Landes?

Richtig ist, dass es einen harten Kern an religiösen Extremisten auch unter Muslimen gibt. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber es sind in den letzten Jahren keine besonderen Auffälligkeiten zu verzeichnen.

Was heißt das?

Die Zahl der muslimischen Extremisten ist relativ stabil, wenn man sich die Verfassungsschutzberichte der letzten 20 Jahre anschaut. Die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland befürwortet die Demokratie wie auch die plurale Gesellschaftsordnung und die Menschenrechte. Von den mehr als sechs Millionen Muslimen sind vielleicht ein paar Tausend in Essen oder Hamburg für ein Kalifat auf die Straße gegangen. Diese Leute kommen aus einer bekannten, extremistischen Gruppe, die in der gesamten islamischen Welt ein einheitliches staatliches Gebilde schaffen will, das von einem Kalifen geführt wird. Aber es ist eine absolute Randgruppe, nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit.

Protest gegen Islamismus
Klare Botschaft: Zwei junge Frauen positionieren sich in Hamburg. Foto: imago/Markus Matzel

Es gibt eine nicht-repräsentative Studie, in der junge Muslime befragt wurden. Ein Großteil dieser Jugendlichen sagt, die Gesetze des Koran stünden über den Gesetzen des Staates. 

Das Verfassungsgericht hat mehrfach klargestellt, dass es nicht auf die innere Haltung eines Menschen zur verfassungsmäßigen Ordnung ankommt, sondern auf die tatsächliche Treue dieses Menschen zu den Gesetzen. Keine Weltanschauung entbindet von der Treue zu den Gesetzen. Aber der Vergleich in der Frage ist schon falsch. 

Warum? 

Man hat früher den Katholiken vorgeworfen, dass sie nicht gesetzestreu sein könnten, weil sie als höchste Autorität den Papst anerkennen. Hier wird ein Gegensatz konstruiert, den es nicht gibt. Man kann – auch vom gesellschaftlichen Mainstream abweichende – Glaubensüberzeugungen haben und gleichzeitig selbstverständlich staatliche Gesetze einhalten und sich treu zur verfassungsmäßigen Ordnung positionieren.  

Dennoch gibt es in der deutschen Gesellschaft ein Misstrauen, dass viele Muslime mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung fremdeln. Woher kommt dieses Misstrauen?

Über 99 Prozent der Muslime in Deutschland haben eine Migrationsgeschichte. Und dann sind diese Menschen noch Angehörige einer fremden Religion. Diese Ebenen vermischen sich und verunsichern die Mehrheitsgesellschaft. Außerdem sind die meisten Muslime in Deutschland im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft religiöser und konservativer. Es ist absolut legitim, dass Menschen ein konservativeres Weltbild haben, solange sie etwa homosexuelle Menschen nicht diskriminieren, anderen ihr Familienbild nicht aufoktroyieren und Menschen nicht zwingen, so zu leben, wie sie es am liebsten tun würden. 

Verändern sich diese Haltungen, je länger die Menschen hier leben?

Oft entsteht der Eindruck, als wäre einzig die liberale Version der religiösen Rezeption und Praxis legitim und alles andere zumindest problematisch und verwerflich. Unser Grundgesetz erlaubt jedoch jede Form von religiöser Praxis im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aber die Erfahrung in den letzten Jahrzehnten zeigt: Je länger Menschen in Deutschland leben, desto mehr passen sie sich auch an.

Wie zeigt sich das?

Bei den türkischstämmigen Muslimen, die mit am längsten in Deutschland leben, hat die Religiosität abgenommen. Die Zahl der Kinder sinkt, das Hochzeitsalter und die Scheidungsquote steigen. Mit der Zeit liberalisieren sich religiöse Einstellungen und Praxis. 2016 hatten wir einen großen Zustrom an Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan, die wiederum mit einer deutlich konservativen Haltung gekommen sind. Aber auch die werden sich mit der Zeit anpassen.

Was hilft gegen religiösen Extremismus?

Es wird immer einen harten Kern an Extremisten geben, den man nie erreichen wird. Aber einen erheblichen Teil der Menschen kann man aus dieser Falle herausholen. Das geht über Dialog, Bildung und Aufklärung. Egal, ob es um religiösen Extremismus, politisch rechten oder linken Extremismus geht. Wenn junge Menschen in eine extremistische Ecke abdriften, darf man sie niemals aufgeben. Man muss über politische Bildungsprogramme, durch persönliche Kontakte und religiöse Begegnung und Austausch ihnen alternative Weltsichten aufzeigen.

Dafür fehlen wahrscheinlich Geld und Menschen, die das machen.

Geld muss die Bundesregierung zur Verfügung stellen. Denn eines ist klar: Der Anteil der Muslime in Deutschland wird weiter steigen. Wir dürfen uns den inneren Frieden nicht von muslimischen oder rechten Extremisten kaputt machen lassen. Deshalb darf die Regierung an dieser Stelle nicht sparen. Ein Beispiel ist ja unsere Arbeit mit der Ausbildung von Religionslehrern, Seelsorgern und Imamen. Die Unterstützung von Trägern, die Aufklärungs- und Präventionsprojekte auf die Beine stellen, muss gestärkt werden.

Das Interview wurde vor der Messerattacke von Mannheim geführt.

Zur Person
Bülent Ucar ist Professor für Islamische Religionspädagogik und leitet seit 2012 das Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn war der 47-Jährige unter anderem als Islamkunde-Lehrer tätig.

 

Ulrich Waschki