In einer evangelischen Kirche zu Gast
Mehr Ökumene wagen
Foto: Janne Aufderhaar
Ein hoher Bauzaun umgibt die katholische Kirche. Gemeindeleiter Stephan Unland schiebt ihn für Pastorin Gesine Jacobskötter zur Seite. Auf dem Weg sprießt das Unkraut zwischen den Fugen. „Hier müsste eigentlich mal was gemacht werden“, sagt Unland, doch lohnen würde es sich wohl nicht, denn die Fertigstellung der Kirche in diesem Jahr ist ziemlich ausgeschlossen. Anstelle der gewohnten massiven Kirchentür gibt es nun eine Holzplatte mit integriertem Schloss als Eingang. Unland öffnet sie und zeigt, was sich im Inneren befindet: Leere. Keine Bänke, kein Altar, kein Weihwasserbecken. Nicht einmal der Boden ist noch da. Ein großer grauer Raum, der nur aufgrund des Umrisses und der Fenster noch an eine Kirche erinnert. Ganz hinten im Altarraum steht ein Gerüst. Unland erklärt, dass ein Teil der Mauer durch Fenster ersetzt werden soll. Doch zurzeit liegen die Bauarbeiten, die im Sommer 2023 begonnen haben, auf Eis. Im Oktober wurde ein Schadstoff in der Außenfassade entdeckt. „Erst wenn die Ergebnisse des Schadstoffgutachtens vorliegen, kann man die weitere Sanierung planen. Es kommt zu einer Verzögerung von mindestens einem Jahr“, sagt Unland.
„Nettes Begegnen“ der Gemeinde am Sonntag
Den Gemeindemitgliedern scheint das allerdings nicht viel auszumachen. Seit sich beide Gemeinden eine Kirche teilen und dadurch auch manche Gottesdienste zusammen feiern, kommt die Frage auf: „Warum haben wir das nicht schon früher gemacht?“ Da jetzt die katholische Messe und der evangelische Gottesdienst sonntags direkt hintereinander gefeiert werden, komme es zu einem „netten Begegnen zwischen den Menschen“ sagt Stephan Unland. Die Katholiken starten zurzeit um neun Uhr und die Protestanten um halb elf. Beide haben ihre Zeit jeweils um eine halbe Stunde verändert. „Das ist das Einzige, was die Gemeindemitglieder stört. Für manche ist neun Uhr einfach zu früh“, sagt Unland. Unter der Woche nutzen die Katholiken die Kapelle St. Elisabeth am Kurpark. Der Alltag funktioniere damit gut, sagt Gesine Jacobskötter.
Dass das Simultaneum, wie man eine gemeinsam genutzte Kirche nennt, so gut bei den Gemeindemitgliedern ankommt, führt Jacobskötter auf die Verbundenheit der Menschen im Ort zurück. Man kenne sich schon von Vereinen oder Verbänden. Für die Pastorin führte die Anwesenheit der Katholiken gleich zu zwei Veränderungen in ihrer Kirche. Sie freut sich, ein bislang nur bei den Katholiken existierendes Angebot jetzt auch bei sich umsetzen zu können. Seit dem vergangenen Sommer ist die Jesus-Christus-Kirche dienstags bis samstags ganzjährig geöffnet, sodass jeder, der möchte, auch außerhalb des Gottesdienstes die Kirche besuchen kann. Zudem nutzte die Pastorin die Gelegenheit, einen Raum der Kirche, der bisher für Verschiedenes genutzt worden war, zu einer zweiten Sakristei umzubauen. Unland weiß das zu schätzen: „Es gibt ein großes wechselseitiges Interesse, dass sich alle wohlfühlen.“
Warum machen wir nicht mehr zusammen?
Dennoch bleibe eine „Sehnsucht nach dem vertrauten Raum“. Denn in einer evangelischen Kirche gibt es keinen Tabernakel für die Eucharistie und auch kein Weihwasserbecken. Jacobskötter sagt, die damalige Küsterin hätte Bedenken gehabt, dass der würzige Geruch des Weihrauchs nach der Messe in der Kirche hängen bleiben könnte. Doch die Pastorin sieht darin kein Problem: „Man kann ja lüften“ sagt sie lachend. Unland sagt: „Wir verwenden ja nicht in jeder Messe Weihrauch“. Jacobskötter zeigt sich verständnisvoll: „Es ist, als ob ich zu Hause bin und du zu Gast bei mir.“
„Warum machen wir nicht mehr zusammen?“ – das ist eine Frage der Organisation und der Verbundenheit. Seitdem die Katholiken in der Jesus-Christus-Kirche zu Gast sind, treffen auch Unland und Jacobskötter öfter aufeinander. „Wir sprechen mehr miteinander. Wofür wir uns früher extra verabredet haben, das können wir heute zwischen den Gottesdiensten klären.“ Das findet die Pastorin sehr praktisch. Mit Blick auf die Zukunft zieht sie mehr ökumenische Gottesdienste in Betracht. Aus personellen Gründen sei das nicht nur möglich, sondern auch notwendig, ergänzt sie.
Gemeindeleiter Unland kann das Anliegen nachvollziehen, denn für die Gottesdienstbesucher seien die Unterschiede zwischen den Konfessionen so spezifisch theologisch, dass sie oft keine Relevanz mehr hätten. „Es wird inzwischen mehr auf das Verbindende, die Geschwisterlichkeit geschaut“, sagt Unland und freut sich, dass sich die Gläubigen in diese Richtung entwickeln.