Sexualtherapeut spricht über Missbrauch in der Kirche

Problematisch ist nicht nur der Zölibat

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Immer wieder erschüttert sexueller Missbrauch die Kirche. Es sei „höchste Zeit“, Strukturen zu ändern und Hilfe bekannter zu machen, sagt Sexualtherapeut Wolfgang Weig und fordert einen besseren Umgang mit Sexualität bei Priestern. Er spricht am 24. Februar in Christus König, Osnabrück.


Der ehemalige Pfarrer von St. Elisabeth in Osnabrück steht im Verdacht des Besitzes von Kinderpornografie. Kirchliche Strukturen könnten solche Neigungen fördern, sagt Wolfgang Weig. Foto: Thomas Osterfeld

Beginnen wir mit der Frage, die Thema Ihres Vortrags ist: „Wie kann ein Mensch so etwas tun?“ 

Menschen, die so etwas tun, haben ein Problem, in manchen Fällen sind sie krank. Dahinter kann eine Pädophilie, also sexuelles Interesse an Kindern, stehen oder auch eine Sucht, wenn eine suchthafte Nutzung zum Beispiel von Gewalt- und Sexvideos im Bereich des Internet oder des Darknet vorliegt. 

Gibt es Hilfsangebote?

Es existieren heute viele Hilfsangebote, auch in Osnabrück. Wir haben eine kleine Ambulanz im Marienhospital, die bei Klärung und Vermittlung helfen kann. Spezielle Angebote für Pädophile gibt es in einem Projekt, das in Norddeutschland in Hamburg und Hannover vertreten ist. Auch die Beratungsstellen des Bistums stehen bereit.

Wie erfolgsversprechend sind diese Angebote?

Eine Internetsucht wird behandelt wie eine Sucht, also durchaus mit Aussicht auf Erfolg. Keineswegs alle, die im Internet oder Darknet mit Kinderpornografie unterwegs sind, sind auch pädophil. 
Bei einer Neigung zur Pädophilie kann man mit den Betroffenen erarbeiten, dass sie ihre Neigung nicht ausleben. Es ist aber wichtig, dass sie sich sehr frühzeitig melden. Bei Menschen, die erst im ausgeprägten Stadium kommen und womöglich bereits übergriffig geworden sind, gibt es leider eine hohe Versagensquote. Nicht nur die Kirche, auch Ärzte und Psychotherapeuten und auch staatliche Gerichte sind hier viel zu lange zu naiv und zu optimistisch gewesen. Diese Menschen kann man eigentlich nur noch wegsperren. 

Ist das alles genügend bekannt? 

Leider nein, und die Angebote werden oft auch nicht rechtzeitig in Anspruch genommen. Viele Menschen haben Scheu und Scham bei diesem Thema.

Gibt es Unterschiede bei Pädophilie?

Es gibt Menschen, die sind „kernpädophil“ und merken das oft sehr früh. Es gibt aber auch „Ersatzpädophile“, die eigentlich nicht auf Kinder fixiert, sondern eher unreif sind und ihre Sexualität mit erwachsenen Partnern nicht entwickeln konnten, weil sie zum Beispiel nie einen Partner hatten oder es sich nicht zubilligen, Partner zu sein. Therapeutische Ansätze zielen hier auf Nachreifung und Entwicklung der Beziehungsfähigkeit zu Erwachsenen. Diese Menschen haben ja keine Störungen im eigentlichen Sinn. Sie sind durch ihre Lebensgeschichte und ihre Einstellungen dahin gekommen. Hier spielt auch der Zölibat mit hinein. 

Sind zölibatär lebende Priester stärker gefährdet? 

Es gibt keine Hinweise, dass Priester häufiger betroffen sind. Pädophilie hat auch nichts mit Homo- oder Heterosexualität zu tun. Aber es kann natürlich sein, dass jemand Priester wird, weil er eine unreife Sexualität hat. Auch kann die Tabuisierung von und der fehlende Zugang zu Sex dazu führen, dass man sich im Internet Sexvideos ansieht, sich dabei befriedigt und süchtig wird. 

Was sagt die Seelsorgestudie, an der Sie mitgearbeitet haben, dazu?

In der Seelsorgestudie haben wir 2016 Fakten über Intimität, Beziehungen und Sexualität von 8500 Hauptamtlichen, Priestern und Diakonen aus 22 Bistümern gesammelt. Hier zeigte sich, dass die Zahl der Männer mit schlechten oder nicht ausgereiften Beziehungsstilen unter den Priestern deutlich überrepräsentiert war.


Sexualtherapeut Wolfgang Weig. Foto: Astrid Fleute

Wie kann man solche Taten und Neigungen verhindern? 

Alle Menschen sollten eine gesunde, befriedigende Sexualität entwickeln können. Die Kirche hat viel zu lange alles abgewertet, was mit Sex und Körper zu tun hat. Sexualität ist ein Gottesgeschenk. Vor Ort tut sich hier zum Glück einiges. Aber offizielle Kirchenstellen sind noch weit von einem guten gelingenden Umgang mit Sexualität entfernt.

Was raten Sie Priestern?

Priester müssen unbedingt dafür sorgen, dass sie gute Beziehungen pflegen, Freunde haben, im liebevollen Austausch mit anderen Menschen, auch in gutem Kontakt mit anderen Priestern sind. Auch mit ihrer eigenen Sexualität müssen sie einen guten Umgang entwickeln. Ich denke an gute Fantasien und liebevolle Beziehungen auf Augenhöhe. 
In jedem Bistum sollte es wie bei uns eine Zusammenarbeit mit Fachleuten und Beratungsstellen geben. Ich habe bereits im Priesterrat und verschiedenen Gremien des Bistums unsere Arbeit vorgestellt und sensibilisiere die angehenden Priester. Meine Botschaft kommt aber nicht bei jedem an. Die Scheu, sich zu melden, ist oft einfach zu groß.

Warum?

Das ist wie bei einer Sucht, es ist sehr schwer, davon loszukommen und dazu zu stehen. Oft sind es Angehörige, Ehepartner oder gute Freunde, die auf die Problematik aufmerksam machen und zur Beratung drängen. Auch verheiratete Männer können ja in dieses Fahrwasser geraten. Dieses Umfeld fehlt vielen Priestern. Hier spielt auch die stärker werdende Einsamkeit und Vereinzelung der Priester mit rein. Das ist schlimmer geworden.

Wie sieht es mit der Auswahl der Priesteramtskandidaten aus?

Bei der Auswahl der Priesterbewerber müssen die Verantwortlichen auf jeden Fall auf die persönliche Reife und den bisherigen Lebensweg achten. In Osnabrück werden Kandidaten zusätzlich von zwei Fachleuten, einer davon bin ich, begutachtet. Wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind, würde unser Bischof einer Weihe nicht zustimmen. Leider ist das nicht in allen Bistümern so. 
Für Priester, die am Zölibat scheitern, muss es Supervision, Hilfe und Begleitung geben. In solchen Fällen sollte jedes Bistum verträgliche Lösungen anbieten. Unser Bistum ist hier auf einem guten Weg, die katholische Kirche insgesamt nicht.

Was fordern Sie?

Ich bin absolut für eine Abschaffung des Pflichtzölibats. Aber nicht nur der Zölibat ist problematisch, sondern auch die Stellung der Frau in der Kirche. Es wird höchste Zeit, dass wir hier Strukturen ändern und in der Konsequenz Frauen zu allen Ämtern zulassen. 

Interview: Astrid Fleute


Zur Sache

Prof. Dr. Wolfgang Weig spricht am 24. Februar, um 20 Uhr in Christus König, Osnabrück, zum Thema „Wie kann ein Mensch so etwas tun?“ Hintergrund ist der Vorfall um Pfarrer B. aus Osnabrück, der des Konsums von Kinderpornographie verdächtigt wird.

Weig ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und war in den Niels-Stensen-Kliniken Leiter des Zentrums für seelische Gesundheit. An der Uni Osnabrück lehrte der Sexualtherapeut auch Psychopathologie (seel. Störungen), Psychohygiene (seel. Gesundheit) und Sexualwissenschaften. Heute arbeitet er noch in der Psychiatrisch-psychotherapeutischen Ambulanz am Marienhospital Osnabrück.