Zwei Tischlergesellen auf der Walz

Ruhe finden bei Kolping

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Zwei junge Männer mit Hut, Stock und Gepäck über der Schulter schauen sich an. Es sind zwei Wandergesellen
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Foto: Lisa Discher

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Robin (links) und Jonas (rechts) wünschen sich eine "fixe Tippelei". Das heißt so viel viel "Gute Reise". 

Per Anhalter von Holland nach Osnabrück. Für eine Nacht schlafen zwei Tischlergesellen im Osnabrücker Kolpinghaus, am nächsten Tag geht es direkt weiter. Von zwei jungen Männern, die auf die Walz gehen und sich selbst finden.

Drei Jahre und einen Tag unterwegs sein – zu Fuß oder per Anhalter. So verlangt es die Tradition der Walz, der die Tischlergesellen Jonas und Robin auf ihrer Suche nach Arbeit folgen. Gestern noch in Holland, haben sie einen Tag später ihr Nachtlager im Osnabrücker Kolpinghaus aufgeschlagen. Am nächsten Tag geht es dann weiter, „irgendwo Richtung Norden“, sagt Jonas, Robin nickt.  Auf der Walz nennen sie nur diese Namen. Nachname, Herkunft und sozialer Status? Unwichtig. Als Tischler mit abgeschlossener Berufsausbildung befinden sie sich auf ihrer großen Wanderschaft, der Walz. Auf die darf nur, wer unverheiratet, kinderlos, straf- und schuldenfrei ist, und: unter dreißig.

Tradition geht auch modern

Im Kolpinghaus in Osnabrück gibt es ein Zimmer für Frauen und Männer auf der Walz  – mit Stockbetten und eigenem Badezimmer. Am Abend sind Jonas und Robin in Osnabrück angekommen, haben sich gefreut über die Schlafmöglichkeit in der Kolpingstraße Nummer fünf. Das Schwarz ihrer Kleidung ist ein Hinweis auf das Holzgewerk, dem sie als Tischlergesellen angehören. Details durchbrechen dabei das, was man von alter Tradition nicht unbedingt erwartet: An Jonas’ Ohrläppchen baumelt ein Gummibärchen-Ohrring in blassem Rosa, eine pinke Haarsträhne schaut unter seiner Hutkrempe hervor. Die Nägel – bunt lackiert.

Stephan Düing steht mit beiden Gesellen vor dem Osnabrücker Kolpinghaus. Die jungen Männer tragen traditionelle Kleidung in schwarz, halten die Wanderstöcke in den Händen.
Diözesansekretär Düing mit den Gesellen. Foto: Lisa Discher

Gerade sitzen die beiden mit dem Osnabrücker Diözesansekretär Stefan Düing beim Kaffee. Er erzählt vom Sinn und Zweck der Kolpinghäuser: Neben Obdach, geht es auch um emotionalen Beistand, Verpflegung und vor allem Gemeinschaft. Die ist ein rares Gut auf der Walz – so reisen die Männer und Frauen meistens alleine.  „Gemeinsam hier angekommen sind wir, weil wir letzte Woche noch Urlaub gemacht haben“, so Jonas. Segeln in Holland. Robin ergänzt: „Nächste Woche trennen sich unsere Wege wieder.“

Dann ziehen sie wieder alleine durch die Welt, stets angewiesen auf die Hilfsbereitschaft anderer. Darum lautet ihre Devise: „Wir verlassen jeden Ort besser, als wir ihn vorgefunden haben.“ Benimmt man sich daneben, könnte dem Nächsten schließlich Obdach und Arbeit verwehrt werden. Mit Anstand und Respekt – wie gewohnt – geht es für die beiden also weiter. Daumen raus: vom Süden in den Norden, von Ost nach West.

Wir arbeiten, um zu reisen und reisen, um zu arbeiten.

„Ich war gefühlt schon überall“, so Jonas. „Von Flensburg bis Schloss Neuschwanstein, von Sachsen bis ins Rheinland.“ In ganz Deutschland perfektionieren sie ihr Handwerk. Aber nicht nur, sagt Jonas. „Wir arbeiten, um zu reisen und reisen, um zu arbeiten.“ Und Arbeit, die findet sich – Angebote müssen sie häufig ablehnen. „Das gilt aber nur für unser Gewerk“, betonen die Tischler. In den Meisterbetrieben lernen sie so von den unterschiedlichsten Fachleuten. In den Städten, genauso wie auf dem Land.

Letzteres zieht Robin dem lauten Treiben der Stadt jedoch vor. „In der Stadt verliere ich Energie, im Wald tanke ich auf.“ In der Natur fühlt er sich nicht einsam. „Wenn ich alleine im Wald bin und es mir nicht gut geht, dann fange ich an, für die Leute zu singen, die ich liebe“ und das, obwohl er gar nicht singen kann, wie er lachend zugibt. Manchmal durchbricht er die Stille des Waldes und spricht zu den Menschen, die er vermisst. Zur Familie zu Hause, die weit weg ist – mindesten 50 Kilometer. Denn das regelt die Bannmeile für Handwerker auf der Walz.

Die Sache mit der Einsamkeit

Jonas fühlt sich auf der Walz wohl, ist schon über ein Jahr unterwegs. Alleine ist er zwar, aber nicht einsam, sagt er. Robin hingegen gibt zu, dass er gerade noch dabei ist, sich aus der Komfortzone herauszubewegen. Seit vier Monaten ist er auf Wanderschaft. Während der Walz muss man mit sich selbst umgehen, sich selbst zuhören. „Ständig steht man vor neuen Herausforderungen. Um sich herum und in sich“, sagt Robin. Smartphones haben sie nicht dabei, dafür wäre auch kein Platz im Gepäckbündel. Jonas hat nicht einmal eine Isomatte dabei – im Osnabrücker Kolpinghaus war das dank der Stockbetten zum Glück kein Problem.

Geweckt vom Sonnenaufgang, knallroter Himmel über dem Wasser. Das war wunderschön.

Zwei junge Männer stehen in einem Zimmer. Es ist die Unterkunft mit Stockbetten im Osnabrücker Kolpinghaus. Beide schauen in die Kamera und lächeln. Im Hintergrund erkennt man ein Bild des Pfarrers Adolph Kolping, dem Gründer der Kolpingsfamilien.
Richtige Betten, eigenes Badezimmer und Adolph Kolping an der Wand. Es schläft sich gut in Osnabrücks Kolpinghaus. Foto: Lisa Discher

Nächte wie die in Osnabrück sind Robin und Jonas nicht gewohnt, sagen sie. Im Winter suchen sie in Kirchen Obdach, schlafen auf den kalten Steinböden. Im Sommer schlafen sie oft im Freien, wo immer es sich anbietet. Manchmal auf der eigenen Kleidung, die das Bett ersetzt. Doch das macht ihnen nichts aus. Jonas erinnert sich, wie er eine Nacht am Ufer eines Sees verbrachte: Einschlafen unter Sternen. „Geweckt vom Sonnenaufgang, knallroter Himmel über dem Wasser. Das war wunderschön.“ Robin geht es ähnlich, vieles, was er auf der Walz erlebt hat, hätte er früher nicht für möglich gehalten. Sein Highlight: Klippenspringen aus zehn Metern Höhe. „Das hätte ich mich sonst nicht getraut“, sagt er.

Auf ihrer bisherigen Reise haben sie unvergessliche Momente und Romantisches erlebt. Romantisch wie Walz selbst, die aus der Zeit gefallen scheint und doch gut investiert ist: Sie verfeinern ihr Handwerk und finden ihren Platz in der Welt.

Lisa Discher

So viele Kolpinghäuser gibt es im Norden

Stefan Düing, Diözesansekretär, kümmert sich im Kolpinghaus Osnabrück um ankommende Gesellinnen und Gesellen. Die können nicht nur in Osnabrück unterkommen, so Düing. Denn: „In jeder großen Stadt in Deutschland gibt es Häuser der Kolpingsfamilie“, betont er. Circa 220 sind es in ganz Deutschland, etwa zehn allein im Norden.

Es geht bei Kolping jedoch nicht nur um Obdach, betont Düing. Kolping heißt auch: Raum für Gemeinschaft und emotionalen Beistand. Die heutigen Kolpinghäuser gehen zurück auf den Priester Adolph Kolping. Der erkannte Mitte des 19. Jahrhunderts, dass es zu wenig Unterkünfte für die reisenden Gesellen gab und handelte. So entstanden die Kolpinghäuser, die noch heute für jene Werte stehen, die Kolping schon damals vertrat: Nächstenliebe und Fürsorge.

Hier finden Sie weitere Informationen zu den Kolpinghäusern.